Angela Merkel bleibt stur. Am Tag nach der Abwahl von Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) lehnt die Bundeskanzlerin es ab, im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen. Warum sollte sie auch? Anders als die Katastrophe, zu der nun viele die Wahl von Ralph Brinkhaus (CDU) aufbauschen, lässt sich der Wechsel an der Fraktionsspitze auch als normaler demokratischer Vorgang deuten.
Die Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU hatten die Wahl zwischen zwei Bewerbern, und sie haben sich mit klarer Mehrheit für den Herausforderer entschieden. Gewiss, Angela Merkel und auch Horst Seehofer hatten sich für Kauder starkgemacht, und sie hatten wohl beide nicht damit gerechnet, dass Brinkhaus mit seiner Gegenkandidatur Erfolg haben könnte. Doch letztlich haben sie sich den eigenen Autoritätsverlust selbst zuzuschreiben.
Nach dem Dauerzwist in der Regierung, pocht die Unionsfraktion auf mehr Eigenständigkeit. Angesichts des jämmerlichen Bildes von Rivalität und Selbstblockade, das die Kanzlerin und ihr Innenminister seit Monaten abgeben, ist das folgerichtig. Die Parlamentsfraktion hat nicht die erste Aufgabe, alles zu schlucken und alles gutzuheißen, was die Regierung tut, sondern hat sie zu kontrollieren. Und wenn sie sich nun auf dieses Selbstverständnis besinnt, ist Volker Kauder schlicht der falsche Mann.
Eher Zuchtmeister nach dem Vorbild des langjährigen Fraktionschefs der SPD, Herbert Wehner, denn Moderator und Vermittler hat sich Kauder im Laufe der 13 Jahre viele Feinde gemacht. Es ist sicher nicht leicht, die vielen Grüppchen und Clübchen innerhalb der Union unter einen Hut zu bringen, doch ein autoritärer Führungsstil, der mit Druck und Drohungen jede andere Auffassung im Keim erstickt, der die Abgeordneten auf die Rolle von Ja-Sagern reduziert, funktioniert spätestens in Zeiten der Krise nicht mehr.
Ausdruck der Krise war, dass es überhaupt zu einer Gegenkandidatur kam, die unnötig dramatisierend auch gern als Kampfabstimmung bezeichnet wird. Das hatte es seit Jahrzehnten nicht gegeben, doch Brinkhaus ahnte, dass die Zeit reif war. Er konnte die Enttäuschten, die Unzufriedenen, die Karrieristen hinter sich bringen. Unterschiedlichste Beweggründe, die mit der Erwartung von nahen Neuwahlen und dem Blick auf die Zeit nach Merkel zu tun haben.
Erneuerung ist – wie in der SPD – das Schlagwort in der CDU. Inhaltlich und personell gefüllt ist es nicht. Merkel hat Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer in Position gebracht. Allerdings haben Vertraute der Kanzlerin zwischen Wertkonservativen und Union der Mitte einen schweren Stand. Die Abwahl ihres langjährigen Vertrauten Kauder hat Merkel als eigene Niederlage eingeräumt. Ihre Macht schwindet. Einer, der sie ihr streitig machen kann, ist freilich nicht in Sicht.
Insoweit sind die vielstimmigen Vertrauensbekundungen der Unionsfraktion an die Kanzlerin schon nachvollziehbar. In der aktuellen Lage verspricht sich dort niemand etwas von einem Rücktritt der Kanzlerin, einem Bruch der Koalition und Neuwahlen. Das Warnsignal jedoch ist unübersehbar und es kann sein Gutes haben: eine Stärkung der Demokratie gegen ihre Feinde.
Nach der vorherigen Großen Koalition, die sich im Bundestag auf eine so übermäßig große Mehrheit stützen konnte, dass das Parlament kaum mehr Beachtung fand, gab es zu Beginn der Neuauflage die Zusage, den Bundestag stärken und die ihm zukommende Bedeutung achten zu wollen. Die Wirklichkeit im vergangenen Jahr sah anders aus. Der permanente Streit, den insbesondere die CSU provoziert, drängte die Sacharbeit in den Hintergrund und stärkte einzig und allein die äußerst Rechten.
Mehr Demokratie wagen! Diese Zusage, die Willy Brandt vor nun fast 50 Jahren in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler gab, bleibt eine Forderung der Stunde. Fortschritt wird aus Krisen geboren, und eine lebendige Demokratie, in der Ämter nicht vergeben, sondern im fairen Wettstreit von Wahlen errungen werden, ist ohne Zweifel ein Fortschritt.
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