Hans-Georg Maaßen, bisheriger Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, wird nach langem, unwürdigem Gerangel nicht entlassen, sondern Sonderbeauftragter für europäische und internationale Fragen im Bundesinnenministerium. Volker Kauder wird als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion trotz Appellen von Merkel, Seehofer und Dobrindt nicht wieder-, sondern abgewählt. Mit der ersten Personalie hat das Berliner Koalitionsdreigestirn Merkel, Seehofer und Nahles, das alltags wie sonntags nur noch im Krisenmodus zu agieren scheint, versucht, aus der Bredouille herauszukommen, in die es sich anscheinend fernab jeglichen Gespürs für die Auswirkungen dieses Trauerspiels auf die Stimmungs- und Gemütslage in der Bevölkerung hineinmanövriert hatte. Mit der zweiten hat die Unionsfraktion ihren Spitzenleuten die Gefolgschaft verweigert und bewiesen, dass sie näher dran ist an der besagten Stimmungslage innerhalb und außerhalb der Partei. Ohne jetzt in das Horn all derjenigen stoßen zu wollen, die hämisch kommentieren – wer hatte denn schon mit dem Sieg von Ralph Brinkhaus gerechnet: keiner! -, können beide Vorgänge doch nur als das bezeichnet werden, was sie offensichtlich sind: vielsagende Belege für die Realitätsferne und die Entrücktheit von den Anliegen, Sorgen und Nöten nicht nur der Bevölkerung, sondern sogar der eigenen politischen Freunde, in der Union genauso wie in der SPD. Die Aussage, man habe sich geirrt, ist ein Eingeständnis der eigenen Hilf- und Ratlosigkeit.
Was die Personalie Maaßen für die zukünftige Fach- und Sacharbeit im Innenministerium bedeutet, lohnt sich im Übrigen weiter zu beobachten. Schon die Formulierung der Kanzlerin, es gebe einen klaren Verantwortungsbereich für den Sonderbeauftragten, „ohne die übrige Arbeit im Bundesinnenministerium zu behindern“, lässt erkennen, wie unwohl sie sich fühlte und dass ihr bewusst war, keine glatte Lösung gefunden zu haben. Sonderbeauftragte, die quer oder parallel zu eigentlich zuständigen Bereichen einer Behörde arbeiten sollen, sind in aller Regel keine Hilfe, sondern ein Problem. Jeder, der eine Behörde von innen kennt, wird dies bestätigen können. Es handelt sich um eine Scheinlösung, die mehr Probleme aufwirft, als sie löst. Aber das wird ja so leicht nach außen hin nicht sichtbar, also verfuhr man nach der Parole: Augen zu und durch.
Die nächste, wichtigere Klippe für das schlingernde Schiff war für Angela Merkel nur zwei Tage später die Abstimmung über Volker Kauder als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Das ordentlich vorzubereiten bzw. frühzeitig zur Aussendung von klaren Signalen der personellen Erneuerung zu nutzen, war schon vorher verpasst worden und nach der Ankündigung von Ralph Brinkhaus, zu kandidieren, nicht mehr möglich. Also galt auch hier: Augen zu und durch. Die Reaktion der Kanzlerin auf den Sieg von Ralph Brinkhaus zeigt, dass sie auf dem falschen Fuß erwischt wurde: Sie sagte als erstes dem neuen Fraktionsvorsitzenden ihre Unterstützung zu! Hallo? Wer hängt denn hier von wem ab?
Was heißt das aber nun für die Union? Wie geht es weiter? Mit der Berufung von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Generalsekretärin wurde ein erster mutiger Schritt getan, mit der Neubesetzung der Fraktionsspitze wurde das nun fortgesetzt, wenn auch von unten erzwungen. Was jetzt noch fehlt, ist ein erkennbarer Fahrplan für den personellen Neubeginn in den Parteispitzen von CDU und CSU. Nach der Bayernwahl dürften die Tage von Horst Seehofer gezählt sein, dann bleibt nur noch die Frage: Wer folgt CDU-intern wann auf Angela Merkel? Die CDU-Vorsitzende ist klug genug zu erkennen, dass sie selbst handeln muss, und das bald, wenn sie nicht behandelt werden will. Noch hat sie das Heft in der Hand. Es spricht viel, sehr viel dafür, dass sie als Regierungschefin gerade jetzt gebraucht wird. Dies gilt national wie international, aber nicht unbefristet. Auf ihrer Agenda als Kanzlerin stehen drängende politische Probleme, die sie nur bewältigen wird, wenn sie die Lust am Untergang, die nicht nur in der SPD spürbar ist, noch einmal durch eine Lust am Gestalten ersetzen kann. Dazu muss sie sich selbst hinterfragen und den Zeitpunkt definieren, ab dem es auch ohne sie weitergehen kann. Auf dem nächsten Bundesparteitag ihrer Partei sollte sie dazu etwas sagen.
Es geht darum, die hierzulande vorherrschende parteipolitische Verdrossenheit in neue Energie für Regierungshandeln umzuwandeln, die angesichts der großen inneren wie äußeren Herausforderungen dringend nötig ist. Nur so kann das Vertrauen in die Politik zurückgewonnen werden, das zu viele verloren haben. Weil der desolate Zustand der SPD nicht erkennbar schnell zu verbessern ist – leider, denn er färbt auf das ganze System ab -, sollte sich die Kanzlerin und Parteivorsitzende ihrer Verantwortung stellen und mehr Mut zur gründlichen Erneuerung demonstrieren. Angela Merkel hat es noch selbst in der Hand, ihre vierte und letzte Amtsperiode erhobenen Hauptes zu beenden, zu wünschen wäre es ihr.
Bildquelle: Wikipedia, Armin Linnartz, CC BY-SA 3.0