„Merkels Rede war Ausnahmezustand genug“, kommentiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung(FAZ) den ungewöhnlichen Fernsehauftritt von Angela Merkel. In der Tat, wann hat es das mal außerhalb der Neujahrsreden gegeben, dass Bundeskanzler vor die Fernsehkameras getreten sind, um eine Rede an die Nation zu halten. Die „FAZ“ fängt diesen außergewöhnlichen Moment auch deshalb ein wie viele andere Journalisten. Zwar habe die Kanzlerin nicht den Stil des französischen Staatspräsidenten Macron gewählt und auf Blut, Schweiß und Tränen verzichtet und auch darauf, das Virus mit einem Krieg zu vergleichen. Wer den Krieg erlebt habe, der wisse, wie unsinnig solche Vergleiche seien. Wir haben in unserem Blog erst gestern darauf verwiesen und Berichte aus den letzten blutigen Kriegstagen Ende März 1945 zitiert, als hier im Lande alles am Boden lag.
Die „Süddeutsche Zeitung“ rückt die Dramatik der Merkel-Rede in den Mittelpunkt ihrer Berichterstattung. Schon der Titel des Aufmachers auf der Seite 1 zeigt die Bewertung der Ansprache durch die Münchner Redaktion: „Letzter Aufruf“, heißt es da, will sagen: Wenn ihr da draußen euch jetzt nicht an die Regeln und Vorschriften haltet, müssen wir zu härteren Maßnahmen greifen. Das wäre dann die Ausgangssperre. In diese Richtung kommentiert auch der „Südkurier“ aus Konstanz.. Auf der Seite 2 der SZ hat der Berliner SZ-Bürochef Nico Fried aufgeschrieben, wer früher von den Kanzlern aus welchem Anlass vor die TV-Kameras gegangen ist: Konrad Adenauer habe 1962 zum Besuch des damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy gesprochen. Helmut Schmidt habe sich 1977 an die Nation gewandt, als die RAF Arbeitgeber-Präsident Hanns-Martin Schleyer entführt hatte. Eine dramatische Lage damals. Helmut Kohln würdigte 1990 in einer TV-Ansprache die deutsche Vereinigung. Sein Amtsnachfolger von der SPD, Gerhard Schröder, verteidigte 2003 sein Nein zum Krieg im Irak.
Gegen den Vertrauensverlust der Politik
Merkels Rede war eindrucksvoll, ruhig vorgetragen, ohne Emotionen, aber gerade diese Art des Vortrags nahm die Menschen mit, fesselte Millionen Zuschauer über 15 Minuten vor den Bildschirmen. Die Zürcher NZZ(Neue Zürcher Zeitung) wählte den Titel für ihren Kommentar : „Merkel redet gegen den Vertrauensverlust der Politik“. Und sie habe mal den Ton einer Lehrerin gewählt, ein anderes Mal den einer Pastorin. Aber auch darin lag die Wirkung ihrer Rede. Und was das Vertrauen der Politik betrifft, speziell ihrer Groko, beweisen die Chefin wie ihre Minister Hubertus Heil, Olaf Scholz, Jens Spahn und Peter Altmeier, dass sie nicht nur über Politik reden, sondern machen, in Windeseile neue Regeln über Kurzarbeitergeld beschließen und verkünden, um den Arbeitnehmern wie Arbeitgebern in dieser Notsituation zu helfen. Und sie sind präsent, täglich treten sie vor die Kameras und stellen sich den Fragen der Journalisten, an ihrer Seite medizinische Experten der Charité.
Die“ Bild“-Zeitung stuft Merkels-Rede als dramatisch ein, bewegend, die Menschen hätten eine einfühlsame, besorgte Regierungschefin erlebt. Merkel habe dabei den richtigen Ton getroffen. Wenn das die größte Herausforderung nach dem 2. Weltkrieg sei, von der die Kanzlerin gesprochen habe, dann zeige das, was wirklich auf dem Spiel stehe: „Alles, was wir uns aufgebaut und erarbeitet haben.“ Allerdings gibt sich Springers-Boulevard-Blatt nicht mit dem Lob zufrieden und fordert: „Wir wollen konkrete Antworten“. Ähnlich liest es sich bei „Cicero“, wo von einer protestantischen Feldpredigt die Rede ist, die aber große Lücken aufweise.
Es ist Ernst, hatte Angela Merkel die Bürgerinnen und Bürger auf die bedrohliche Situation einstimmen wollen, die ganz offensichtlich nicht von allen Zeitgenossen geteilt wird. Man geht in Gruppen spazieren, feiert Corona-Parties. Deshalb mahnte die Kanzlerin: „Nehmen sie das Ernst.“ Heißt, es ist nicht mehr kurz vor, sondern eher kurz nach Zwölf. Wenn jetzt nicht alle mitmachen und außerhalb der Fahrt zur Arbeit zu Hause bleiben, auf soziale Kontakte verzichten, kann es ein böses Ende nehmen, weil dann die Ansteckungsgefahr noch größer ist und die Krankenhäuser überfordert werden. Also Abstand als Zeichen von Respekt und Freundschaft, keine körperliche Nähe. Und bitte kein weiteres Horten von Klopapier, Mehl und Seife. Es ist genug von allem für alle da, versucht Merkel die Deutschen zu beruhigen. Die „Kölnische Rundschau“ meint dazu: „Jetzt muss es jeder verstanden haben. “ Die Corona-Krise ist der Ernstfall und kein Grund zu irgendwelchen Feiern. Nicht umsonst schließen die Restaurants schon am Nachmittag, nicht umsonst die weltweite Reisewarnung, kein Urlaub, auch nicht in Deutschland. Das Kölner Blatt nimmt sich dieses Ernstfalles an: „Die Krise ist existentiell, weil sie ..das Leben von Millionen Menschen allein in Deutschland bedrohen kann.“
Größte Herausforderung nach 1945
Die „Frankfurter Rundschau“ liegt in ihrer Einschätzung auf der beschriebenen roten Linie. „Die größte Herausforderung seit dem 2. Weltkrieg“ spielt sich in der Tat gerade vor unseren Augen ab, der Gegner ist unsichtbar, aber lebensgefährlich. Der „Münchner Merkur“ sieht uns alle auf die Probe gestellt wie nie zuvor. So hatte es auch die Regierungschefin formuliert, die im 15. Jahr ihrer Amtszeit, 15 Monate vor dem geplanten Ende ihrer Kanzlerschaft, eine solche Herkules-Aufgabe zu lösen hat, die viele im Land an die Grenze der Belastbarkeit führen kann. Wer weiß schon, ob das alles auszuhalten ist, ob das Geld reicht zum Leben, wenn nicht mehr gearbeitet und verdient wird?! Ja, der Bundesfinanzminister hat von vollen Kassen gesprochen und davon, dass man alles tun werde, um den Menschen zu helfen. Auch Merkel hat gestern bei ihrem historischen TV-Auftritt dieses Versprechen abgegeben.
In den Heute-Nachrichten des ZDF kommentierte der Leiter des Hauptstadtbüros, Theo Koll, Merkels Rede. Die Kanzlerin habe sich jetzt an die Spitze gesetzt und die Pandemie zur Chefsache erklärt, womit ihr Gesundheitsminister Jens Spahn nicht zurückgesetzt wurde Sie hat zu Recht die politische Verantwortung in ihre Hände genommen. Als Kanzlerin muss sie regieren, führen, steuern, gerade jetzt. Merkel habe bewusst vom Ernst der Lage gesprochen, so Theo Koll, ihre gesamte Rede habe ernst wirken wollen. Es sei ein strategischer Appell gewesen: Haltet Abstand, alle, tut, was ihr könnt, alle, es kommt auf jeden an, ohne Ausnahme.
Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ greift in seiner Kommentierung die Kritik an Merkels angeblicher anfänglicher Zurückhaltung in dieser Krise auf. Mit ihrem Appell, der dringend nötig gewesen sei, habe sie sich zwar „mit wuchtigen Worten ans Volk“ gewandt, doch dabei eine Chance verstreichen“ lassen. „All das ersetzt nicht die eine, leitende erklärende Ansprache, die es in einer Krise solchen Ausmaßes braucht. Auf die politische Rhetorik, auf die Kraft des guten Arguments kommt es an, weil die Pandemie nur solidarisch von der Gesellschaft bekämpft und überwunden werden kann- vor allem, indem wir von Dingen ablassen und verzichten.“
Dagegen würdigen die Journalisten des Hamburger Wochenmagazins „Die Zeit“ die Rede Merkels als ungewöhnlich emotional. „Merkel habe die Bewältigung der Corona-Krise nun auch zu ihrer persönlichen Aufgabe gemacht. Diese Krise wird das Erbe der Kanzlerin definieren wie sonst wohl kaum eine Herausforderung in den vergangenen 20 Jahren.“ Das „Dringendste“ gegen die Ausbreitung des Virus „sind wir selbst“, hatte die Kanzlerin am Ende ihrer Rede bittend und mahnend gesagt und hinzugefügt. “ Alle zählen, es braucht unser aller Anstrengung.“ Die „Schwäbischen Zeitung“ lobt: „Es war der besonnene Auftritt einer Frau, die Krisen kann.“ Eindeutig, eindringlich, schnörkellos, gerichtet an die Vernunft ihrer Landsleute und an deren Intelligenz. Jeder sollte jetzt wissen, was die Stunde geschlagen hat.
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