NATO

Militaristische Ambitionen stehen dem Grundgesetzanspruch der Friedfertigkeit entgegen

Wenn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron große Entwürfe zur europäischen Zukunft ausbreitet, reagiert Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gern mit Schweigen. Monatelang ignorierte sie die Reformideen aus dem Elyseepalast, dann überließ sie es ihrer Nachfolgerin im CDU-Vorsitz zu antworten. Viel Substanzielles fiel Annegret Kramp-Karrenbauer allerdings nicht ein. So würgt Berlin den deutsch-französischen Motor ab, der für die Entwicklung der Europäischen Union von entscheidender Bedeutung ist.

Auf das Hirntod-Interview zur Nato allerdings antwortete Merkel prompt. So drastisch dürfe man den Zustand der Nato nicht beschreiben, so eine starke Wortwahl sei unnötig, erwiderte die Kanzlerin dem französischen Präsidenten. Sie hatte US-Außenminister Mike Pompeo in Berlin zu Gast. Offizieller Anlass war der Mauerfall vor 30 Jahren. Vor allem aber ging es um ein Bekenntnis zum transatlantischen Bündnis, um den deutschen Beitrag zur Nato und darum, die Risse im deutsch-amerikanischen Verhältnis zu kitten.

Erst im Mai hatte Pompeo einen geplanten Berlin-Besuch kurzfristig und mit lapidarer Begründung abgesagt. Das galt als Affront, doch offiziell schwieg Merkel auch dazu. Sie setzt offenbar auf leisetreterisches Wohlverhalten gegenüber dem großen Bruder in Washington. Dabei wären deutliche Worte gerade unter Bündnispartnern überfällig, und eine Klarstellung zur Rolle der Nato gehört unbedingt dazu.

Seit seinem Amtsantritt hat US-Präsident Donald Trump die gemeinsame Geschäftsgrundlage des Militärbündnisses in Frage gestellt. Er droht mit dem Verlassen der Nato, pocht auf milliardenschwere Rüstungsausgaben, stürzt sich in diplomatische und militärische Alleingänge und kümmert sich einen feuchten Kehricht um die Interessen der Bündnispartner. Das Klimaabkommen von Paris, das Atomabkommen mit dem Iran, der Brexit, die Beziehungen zu Russland, die Handelspolitik, die Vereinten Nationen: Trumps internationale Politik ist durch und durch destruktiv.

In Syrien zeichnet sich das überdeutlich ab. Mit seinem Truppenabzug gibt Trump dem Nato-Mitglied Türkei freie Hand für rechtswidrige Angriffe. Noch mehr Tod und Vertreibung sind die Folge, eine Stärkung des Assad-Regimes und Russlands, ein Wiedererstarken der IS-Terroristen, eine Verschärfung der Fluchtbewegungen, die Zerstörung der friedlichen Perspektiven für die gesamte Region. Das alles steht den europäischen Interessen direkt entgegen, und solange die Nato dem verantwortungslosen Treiben zweier ihrer Mitgliedsländer nicht Einhalt gebietet, ist Macrons Analyse nicht von der Hand zu weisen.

Frankreichs Haltung zur Nato ist historisch gesehen distanzierter als die deutsche. Erst seit zehn Jahren ist die Grande Nation wieder Vollmitglied im transatlantischen Bündnis, und ob Macrons Vision von einer Militarisierung der Europäischen Union die richtige Antwort ist, darf zumindest bezweifelt werden. Vollkommen verfehlt aber ist, was Annegret Kramp-Karrenbauer für die Rolle Deutschlands in der Welt vorschwebt. Nach ihrem unreifen Vorstoß zu einer militärischen Schutzzone in Nordsyrien skizziert sie eine „Gestaltungsmacht“, die auf der kriegerischen Weltkarte nicht mehr nur assistiert, sondern selbst Initiative und Führung übernimmt.

Das ist ein Bruch mit der friedfertigen Politik, wie sie das Grundgesetz fordert. Und es ist alarmierend, wenn die Wahrnehmung von Verantwortung ausschließlich in militärischen Dimensionen gedacht wird. Eine „Gestaltungsmacht“, die sich im Rahmen der Völkergemeinschaft für friedliche und gerechte Konfliktlösungen einsetzt, wird ihrer globalen Verantwortung ungleich besser gerecht.

Als vor 30 Jahren die Mauer fiel und der Prozess zur deutschen Vereinigung begann, gab es bei westlichen Verbündeten und insbesondere auch in Frankreich die Angst, mit dem Ende der deutschen Teilung könnte mitten in Europa ein machthungriges Großdeutschland entstehen. Vor drei Jahrzehnten gelang es, solche Befürchtungen auszuräumen. Damals galt noch die Zusage von Willy Brandt, dass wir nach innen und außen „ein Volk der guten Nachbarn sein“ wollen.

Heute grassieren nicht nur in Europa wieder Nationalismus und Autoritarismus. Statt dem entschieden entgegenzutreten, stößt Annegret Kramp-Karrenbauer ins gleiche Horn. Sie bekräftigt das Zwei-Prozent-Ziel der Nato, obwohl es spätestens durch die aktuellen Entwicklungen fragwürdig ist; sie denkt die Bundeswehr als globale Interventionsarmee, obwohl sie schon den aktuellen Anforderungen kaum gewachsen ist; sie schreibt Deutschland eine nationale Führungsrolle zu, obwohl verlässliche internationale Zusammenarbeit das Gebot der Stunde wäre. Sie strebt ins Kanzleramt. Aber sie sollte die eigene Profilierung nicht zu einem so hohen Preis betreiben.

Bildquelle: Pixabay, DANIEL DIAZ, Pixabay License

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Die promovierte Medienwissenschaftlerin arbeitete mehr als 20 Jahre in der Politikredaktion der Westfälischen Rundschau. Recherchereisen führten sie u. a. nach Ghana, Benin, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, China, Ukraine, Belarus, Israel und in das Westjordanland. Sie berichtete über Gipfeltreffen des Europäischen Rates, Parteitage, EKD-Synoden, Kirchentage und Kongresse. Parallel nahm sie Lehraufträge am Institut für Journalistik der TU Dortmund sowie am Erich-Brost-Institut für Internationalen Journalismus in Dortmund wahr. Derzeit arbeitet sie als freie Journalistin.


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