Rechtzeitig meldet sich Wilhelm Heitmeyer in der aktuellen Debatte um gewaltbereiten Rechtsextremismus zu Wort. Er war Gründungsdirektor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielfeld. Sein neues Buch befasst sich mit Allianzen rechter Milieus und verweist im Untertitel auf „Signaturen der Bedrohung“ und macht damit deutlich, dass es wohl um mehr geht, als es Bundesinnenminister Seehofer gefallen wird, der selbstermächtigt mitteilt, 99 Prozent aller Polizeibeamten auf dem Boden des Grundgesetzes vorzufinden.
Es geht jedenfalls nicht darum, die Polizei, und damit einen Träger des staatlichen Gewaltmonopols, als rechtsextrem zu denunzieren. Es geht Heitmeyer auch nicht darum, einzelne Ereignisse jeweils für sich genommen zu analysieren, die insgesamt zur Zerstörung der liberalen Demokratie und offenen Gesellschaft beitragen, wie die Ermordung Walter Lübckes oder Halle, Zwickau oder Chemnitz zeigen. Neu ist das, was Heitmeyer das „konzentrische Eskalationskontinuum“ nennt, das sich immer mehr verdichtet. Dazu gehören auch 180 Todesopfer rechter Gewalttäter, die seit Mauerfall nach 30 Jahren gezählt werden.
Das, was Heitmeyer da beschreibt, gibt es als „Einstellungsmuster“ bei einer Minderheit der Bevölkerung, den „autoritären Nationalradikalismus der AfD“, bis zum „gewaltbereiten Rechtsextremismus und zu den Neonazis“. Das sind für ihn lernende Systeme. Dazu wächst die Zahl der Menschen, die in größter Armut leben. Deutschland zählt zu den Industrienationen mit der größten Vermögensungleichheit. Auch das ist ein Nährboden für wachsenden Rechtsextremismus. Ebenso Beispiele einer zunehmenden Bereitschaft der großen Konzerne ihre Gewinne mit Hilfe der Banken so zu verschleiern, dass sie am Fiskus vorbei zu großen Teilen in Steuerparadiese verschoben werden, wo keine Steuern erhoben werden.
Die nach wie vor antisemitisch grundierte Tonlage der AfD ist dabei ebenso weiter hörbar, wenn es um Corona und Pandemie geht, die ein Redner der Partei im Bundestag als Schuldige einer „verschworenen Elite“ benennt, die die Corona-Politik auf ewig wollten. Spätestens dann „gebe es keinerlei Unterschied mehr zwischen einer epidemischen Notlage nationaler Tragweite und Hitlers Ermächtigungsgesetz von 1933. (Nachzulesen im Protokoll Deutscher Bundestag in der 19. Wahlperiode 183. Sitzung)
Die AfD und ihr rechtsextremistischer Flügel sind auf den Demonstrationen der querulatorischen Querdenker zu finden. Das Echo dieser Demonstrationen ist so bis in den Bundestag zu hören. Dort begreift die AfD es als symbolischen Kampf, die Maskenpflicht im Plenum zurückzuweisen und zu bejubeln, wenn es gelingt, ohne Maske bis zum Mikrofon und zum Rednerpult zu gelangen. Der gegenwärtige Bundesinnenminister Horst Seehofer hat wenig dazu beigetragen, den Kampf gegen Rechts überzeugend führen. Jetzt also wird es Studien über den polizeilichen Alltag geben und einige tausende Beamte werden nach ihren Einstellungen befragt. Desgleichen gilt für die Bundeswehr und die gesamtgesellschaftliche Situation. Ob sie dazu beitragen, den von Seehofer selbst als größte Gefährdung der Demokratie empfundenen Rechtsextremismus einzuhegen? Vielleicht braucht es dazu spätestens nach der kommenden Bundestagswahl einen oder eine überzeugenden Nachfolger oder eine Nachfolgerin.
Bildquelle: Bildquelle: Wikipedia, Michael Lucan, Lizenz: CC-BY-SA 3.0 de