NATO und Afghanische Truppenübung

Noch immer ist nichts gut in Afghanistan

„Es gibt keine militärische Lösung für die Herausforderungen in Afghanistan.“ Dieser Satz findet sich in der aktuellen Erklärung des Nordatlantikrats zum endgültigen Abzug der NATO-Truppen, der am 1. Mai beginnen soll. Es ist eine späte Einsicht, ein Eingeständnis des Scheiterns und doch auch eine Entscheidung, die zu diesem Zeitpunkt Befürchtungen weckt. Die Folgen des fast zwei Jahrzehnte währenden Kriegseinsatzes sind mit einem Rückzugsbefehl nicht aus der Welt zu schaffen
Die Verantwortung bleibt. Frieden ist nicht in Sicht. Und die Voraussetzungen für einen Prozess, der zu einer dauerhaften Befriedung und Entwicklung führt, sind nach den zwanzig Kriegsjahren mit all den Opfern und Entbehrungen nicht besser geworden. Die radikalislamische Taliban hat das Sagen; sie hat – auch durch die Hau-Ruck-Politik des früheren US-Präsidenten Donald Trump – ihre Machtposition ausgebaut. Die Perspektiven für Frauen, Mädchen und Minderheiten, für Bildung und Demokratie verfinstern sich.

Trumps Nachfolger Joe Biden und in der Folge auch die NATO versprechen, mit dem militärischen Einsatz werde nicht auch der gesellschaftliche Beistand enden. Doch solche Zusagen bleiben hohl, solange es nicht zu fairen Verhandlungen und belastbaren Verständigungen über die Zukunft kommt. Die fatale Entscheidung zum Krieg gegen den Terrorismus nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA wird noch weitere Jahrzehnte fortwirken.

„Nichts ist gut in Afghanistan.“ Dieser Satz von Margot Käßmann als damaliger Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland in ihrer Neujahrspredigt in Dresden hatte 2010 eine heftige politische Debatte über den Bundeswehreinsatz am Hindukusch ausgelöst. Weitere zehn Jahre später gelten die Worte unverändert. Das furchtbare Leid der Zivilbevölkerung hält an. Die Zahl der toten Zivilisten steigt aktuell sogar. Für die Bundesregierung fällt das bei der Entscheidung über die Massenabschiebungen aus Deutschland nicht ins Gewicht. Wo Krieg zur Gewohnheit wird, wird Unmenschlichkeit zur Routine.

Afghanistans Präsident Aschraf Ghani hat zwar versichert, die afghanischen Sicherheitskräfte seien in der Lage, das Land und die Bevölkerung zu verteidigen. Doch der Abzug der noch rund 10.000 Truppen, darunter 1050 Bundeswehrsoldaten, wird zu einer äußerst gefährlichen Phase in dem insgesamt verlustreichen Krieg, dem ersten Bündnisfall nach Artikel 5 der NATO. Der Übergang befeuert den innerafghanischen Machtkampf, Chaos und Gewalt.

Die Taliban sehen sich offenbar an ihre Zusage zur Istanbul Konferenz nicht mehr gebunden, nachdem der mit Trump vereinbarte Termin 1. Mai nun den Beginn des Abzugs und nicht seinen Abschluss markiert. „Es ist Zeit, Amerikas längsten Krieg zu beenden“, sagte Joe Biden vor Journalisten, und: Das Ziel der Mission sei erfüllt. Doch daran bleiben Zweifel. Den furchtbaren Jahrzehnten des Krieges lässt sich auch im Nachhinein kein Sinn zuschreiben.

Der 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September ist ein Datum von hoher Symbolik, so wie letztlich der gesamte Krieg Ausdruck von Symbolpolitik war, motiviert durch den Wunsch nach Vergeltung. Wie viel Gutes hätten die USA und ihre Verbündeten mit den sinnlos verpulverten Milliarden stiften können? Doch das ist eine bittere Erkenntnis, die sich leider immer erst nach dem Krieg einstellt.

Bildquelle: NATO Training Mission-Afghanistan, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

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Die promovierte Medienwissenschaftlerin arbeitete mehr als 20 Jahre in der Politikredaktion der Westfälischen Rundschau. Recherchereisen führten sie u. a. nach Ghana, Benin, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, China, Ukraine, Belarus, Israel und in das Westjordanland. Sie berichtete über Gipfeltreffen des Europäischen Rates, Parteitage, EKD-Synoden, Kirchentage und Kongresse. Parallel nahm sie Lehraufträge am Institut für Journalistik der TU Dortmund sowie am Erich-Brost-Institut für Internationalen Journalismus in Dortmund wahr. Derzeit arbeitet sie als freie Journalistin.


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