Die Mängel und Nöte in den Krankenhäusern sind eigentlich hinreichend bekannt, interessiert haben sie dennoch kaum jemand. Bis Corona kam, bis eine Pandemie heranfegte, wie das die Autorinnen und gelernten Krankenschwestern Franziska Böhler und Jarka Kubsova(sie hat ihren Beruf aufgegeben) in ihrem Buch „I´m a nurse“ spannend und kenntnisreich beschreiben. Plötzlich standen Menschen auf dem Balkon und klatschten. „Für uns. Ich fand das so schön, mich hat das ergriffen. Ich habe wirklich gedacht, jetzt werden wir mal gesehen, jetzt nehmen die Menschen endlich wahr, was wir machen, was uns fehlt. Dass unsere Arbeit wichtig ist. Plötzlich war es sogar mehr als wichtig, es war systemrelevant.“ So hat es die Kanzlerin gesagt. Geholfen hat es bisher nicht viel, sie bekamen einen einmaligen Zuschlag, das war´s. Ich hoffe für all die Schwestern und Pfleger, dass die Gewerkschaft ver.di mehr herausholt, dass all die guten Hände in unserem Gesundheitssystem das bekommen, was sie verdienen. Anerkennung und mehr Geld, dass mehr Stellen geschaffen werden, damit sich die anderen nicht kaputt machen.
Wer je in einem Krankenhaus gewesen ist- ich meine als Patient-, wird all das bestätigen, was Böhler und Kubsova eindrucksvoll beschreiben. Ja, sie jammern auch, wie sie einräumen, aber sie legen den Finger in die Wunde, damit man endlich beginnt, diese Wunde zu versorgen. Sie wollen Aufmerksamkeit erzielen. Die Autorinnen lieben oder im Falle von Kubsova liebten ihren Beruf, der ihnen nahezu alles abverlangt(e), sie machen oder machten ihre Arbeit gern, auch wenn es zu oft bis zum Umfallen geht, weil Menschen versorgt werden müssen in ihrer Notlage, weil sonst niemand da ist. Ich war in den letzten Jahren mehrfach in einem Bonner Krankenhaus, einmal wegen einer Lungenentzündung, ein anderes Mal wegen eines Herzinfarktes. Ich kann nur sagen, dass man sich um mich gekümmert hat Tag und Nacht, dass man mir geholfen hat, dass Schwestern, Pfleger und Ärzte immer zur Stelle waren, wenn es nötig war. Hut ab!
„Wir waren Helden und Menschen zweiter Klasse gleichzeitig“, kritisieren die Autorinnen die beklagenswerten Zustände in den Kliniken, wo es an Schwestern und Pflegern an jeder Ecke mangelt, wo man Nachtschichten leistet, Überstunden, wo man aber stets fit sein muss für den Notfall, der jederzeit passieren kann. Und sie beklagen zu Recht, dass „Konzerne unbürokratisch mit Millionen gerettet wurden“, während gleichzeitig über einen einmaligen Sonderbonus für die sogenannten systemrelevanten Kräfte in den Krankenhäusern wochenlang diskutiert und kleinlich ausgerechnet wurde, wer ihn denn wirklich verdient hätte und wer nicht.“Das war mehr als nur zynisch, es hat richtig wehgetan.“ Diese Diskussion zeigte einmal mehr, welchen Wert man der Arbeit der Schwestern und Pfleger wirklich beimisst, ihrer Arbeit, aber auch den Kranken in unserer Gesellschaft, den Menschen, die Hilfe brauchen, die auf uns angewiesen sind. Ich kann den Zorn der Autorinnen verstehen. Beifall vom Balkon, das kostet nichts. So muss man das sehen.
Es fehlen 2000 Hebammen
Und doch lieben sie ihren Beruf, den einige aber aufgegeben haben. Sie haben hingeworfen, weil sie den Stress nicht mehr ausgehalten haben. Sie konnten es mit ihrem Gewissen nicht mehr vereinbaren, unter diesen Bedingungen in Krankenhäusern zu arbeiten, Bedingungen, die dazu führen, dass die Menschlichkeit auf der Streckt bleibt, die Einfühlsamkeit, das Scherzen, die aufmunternden Worte. Viele Menschen fühlten sich in einem Krankenhaus alleingelassen, verängstigt, vergessen, übergangen, ausgeliefert. In den Kliniken fehlten 2000 Hebammen, heißt es in dem Buch. Die Stellen seien da, aber niemand bewerbe sich, weil der Markt leer gefegt sei. Sie zitieren Kathrin Vorbrink, Hebamme seit 35 Jahren, die ihren Beruf unter diesen Bedingungen nicht mehr ausüben mag, einen Beruf, den sie liebt, den sie trotz allem als den schönsten Beruf bezeichnet.
„Ich fühle mich gefordert in meinem Beruf. Maximal.“ Das ist keine Klage, sondern drückt die Liebe zum Beruf aus. Man muss Leistung bringen, sich engagieren, man ist nah am Patienten, schildern die Autorinnen, man hilft, rettet- auch dies- Leben. Man muss genau hinschauen, wie es dem Patienten X ergeht. Aber dazu benötigt man auch Zeit. Unter Stress und Zeitmangel passieren Fehler. Weil wir alle, sie alle Menschen sind.
Der Anteil der Helfer übersteige den Anteil der Fachkräfte in der Pflege, eine gefährliche Entwicklung. Von über 600000 sozialpflichtig beschäftigten Altenpflegekräften seien 48 Prozent Altenpflegehelfer, in vielen Heimen sei das Verhältnis 60 Prozent Helfer zu 40 Prozent Fachkräften Realität. Dies sei eine „stille Aushebelung der Professionalisierung in diesem Beruf“. Eingeräumt wird, dass Helfer wichtig seien, zugleich wird aber betont, dass die Ausbildung im Pflegeberuf noch wichtiger sei: man müsse Handgriffe beherrschen, sich in Pharmakologie auskennen, Medikamente kompetent dosieren und verabreichen können. Nicht umsonst dauere die Ausbildung drei Jahre. Deprofessionalisierung sei ein Weg der Einsparung nach dem Motto: Pflege kann doch jeder, der das Herz am rechten Fleck hat, was zur Folge hat: Weniger Ausbildung heißt weniger Gehalt, weniger Ansehen.. Wörtlich heißt es in dem lesenswerten Buch: „Wir sind auf dem Weg, uns daran zu gewöhnen, dass Pflege am Menschen zu Ramsch wird.“
Pflege, Solidarität, Humanität
Die Autorinnen stellen am Ende ihres Buches die Frage, „was uns im Kern zu zivilisierten Menschen macht.“ Welche Rolle dabei die Pflege spielt, unsere Solidarität und Humanität. „Was ist uns all das wert?“ Die Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass irgendetwas schiefgelauten ist in den vergangenen Jahren. „Wir retten Banken, Not leidende Banken, wie wir sagen. Wir pumpen unheimlich viel Geld in kranke oder angeschlagene Unternehmen, während wir an den wirklich Kranken, den Angeschlagenen, den wirklich Leidenden immer weiter sparen- und auch an denen, die für sie da sind.“ Trotz allem lieben sie ihren Beruf, auch wenn viele von ihren Kolleginnen und Kollegen frustriert seien, erschöpft, wütend, resigniert. Aber, beteuern sie, dieser Beruf, ihr Beruf werde gebraucht, die Gesellschaft brauche ihn dringend, Jeder von uns könne früher oder später mal Patient werden, auf einen guten Pfleger oder gute Pflegerin angewiesen sein, auf einen ausgeruhten Arzt, ein Krankenhaus, das in der Nähe sei. Wenn man über Zivilisation nachdenke, möge man nicht nur über Fortschritt reden, über das, was wir erreicht haben, „sondern auch über unseren Umgang mit Erkrankten und hilfsbedürftigen Menschen“, darüber, „wie wir uns als Menschen zueinander verhalten, wie wir uns um dienigen kümmern, die auf unsere Hilfe und Fürsorge angewiesen sind.“
Die Bundesrepublik wird weltweit als starker Staat beschrieben, als wirtschaftliche Macht geschätzt, die soziale Marktwirtschaft als Errungenschaft gepriesen, wobei ich das Gefühl habe, dass das Soziale zunehmend in den Hintergrund tritt. Die Schere zwischen den wenigen Reichen und dem Millionen-Heer der ärmeren Deutschen geht immer weiter auseinander. Das ist eine ungute Entwicklung. Die Stärke eines Staates bemisst sich nach meinen Vorstellungen am Umgang mit den Schwächeren in der Gesellschaft. Das Buch von Franziska Böhler und Jarka Kubsova liefert dazu einen wichtigen Beitrag.
Franziska Böhler, Jarka Kubsova: I´m a nurse. Heyne-Verlag München 2020. 254 Seiten. 12.99 Euro
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'Plötzlich wird die Schwester wichtig – Rezension des Buches „I ´m a Nurse“' hat einen Kommentar
16. Februar 2021 @ 18:42 blumi64
Toller Beitrag, danke dafür! Ohne die derzeitige Pandemie, wären die Gehälter und Überstunden der Krankenhausbelegschaft wahrscheinlich weiterhin kein Thema. Hoffentlich macht die aktuelle Situation allen Verantwortlichen bewusst, wie wichtig u.a. Pflege Jobs sind.