In den Debatten zu zwei großen und miteinander auch verwobenen Themen unserer Zeit verblüfft die CSU mit wundersamen Wandlungen. Erst macht sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zum grünen Vorkämpfer, dann bremst seine Partei in der Regierungskoalition das Klimaschutzpaket der Bundesregierung aus. Erst verdingt sich Bundesinnenminister Horst Seehofer als Scharfmacher in der Migrationspolitik, dann propagiert er Menschlichkeit bei der Seenotrettung. Politik zum Staunen. Die Motive dahinter wirken fragwürdig.
Was hat Markus Söder nicht alles angekündigt, nachdem sich das Volksbegehren zur Artenvielfalt in Bayern zu einem einzigartigen Erfolgsprojekt entwickelt hatte. Er wolle den Klimaschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankern, dazu 30 Millionen Bäume pflanzen, die Photovoltaik und die Windenergie ausbauen, den Kohleausstieg auf 2030 vorziehen. Frei nach dem Motto: Grün, grün, grün ist alles, was ich plane.
Nun ist gegen eine bessere Einsicht im Prinzip nichts einzuwenden, doch nach der umweltfeindlichen Vorgeschichte der jahrzehntelang unangefochtenen Regierungspartei erntete Söder Skepsis. Die Zweifel, ob es der CSU tatsächlich ernst sei mit ihrem grünen Imagewandel, erhielten kräftig Nahrung, als es beim Klimapaket der Regierungskoalition in Berlin zum Schwur kommen sollte. Die Einigung der Nachtsitzung entpuppte sich als derart dürftig, dass die Bezeichnung als „Paket“ maßlos übertrieben war, und selbst das geringe Etwas wollte die CSU noch einmal prüfen. Sie trug Bedenken vor, kündigte Widerstand an, erwirkte eine Verschiebung.
Inzwischen ist das Koalitionsvorhaben auf eine Mickrigkeit geschrumpft, die noch dazu ohne klare Zielvorgaben so unverbindlich bleibt, dass sich erneut die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer großen Koalition stellt. Starke Ankündigungen, hohe Erwartungen und enttäuschende Ergebnisse sind die Folge. Politik, die nur so tut als ob.
Nach einem ähnlichen Muster scheint nun auf europäischer Ebene die Initiative von Horst Seehofer zur Seenotrettung im Mittelmeer zu krepieren. Schon vor dem Mittagessen mit seinen EU-Amtskollegen in Luxemburg dämpfte der Bundesinnenminister die Erwartungen, die er zuvor selbst kräftig geschürt hatte. „Hochzufrieden“ sei er und glücklich, dass er sich mit Frankreich, Italien und Malta auf einen „Notfallmechanismus“ zur Rettung von Bootsflüchtlingen geeinigt habe. Doch die Begeisterung der europäischen Partner hält sich in Grenzen, und Gegenwind aus der Unionsfraktion stellt in Frage, ob Seehofer selbst zu seinem Wort wird stehen können. Jeden vierten Bootsflüchtling werde Deutschland aufnehmen, hatte der Minister zugesagt. Ralph Brinkhaus jedoch, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, formulierte erhebliche Bedenken.
Verkehrte Welt. Erst im vergangenen Jahr hatte Horst Seehofer sich mit den Hardlinern aus Österreich und Osteuropa verbrüdert, hatte einen „Masterplan Migration“ entworfen, für Obergrenze, Ankerzentren und Rückführung gekämpft, die Bundeskanzlerin attackiert und die große Koalition an den Rand des Scheiterns geführt. Nun geht der Schwesterpartei CDU zu weit, was der geläuterte Minister seinen europäischen Mitstreitern ans Herz legt, damit das Ertrinken im Mittelmeer, die unfassbare Schande im Herzen Europas, der Verrat an den gemeinsamen Werten endlich ein Ende hat.
Im Werben für den Vorstoß wird nun aber auch deutlich, wie unverbindlich und begrenzt er ist. Für eine Dauer von zunächst sechs Monaten sollen Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa flüchten und vom Ertrinken bedroht sind, gerettet und auf die Mitgliedsländer verteilt werden, die sich der Initiative freiwillig anschließen. Im Fall eines „Missbrauchs“, so erläuterte Seehofer, werde der Mechanismus „sofort außer Kraft“ gesetzt.
Mit Missbrauch meint der Minister mögliche Sogeffekte, falls Schlepper die Notmaßnahmen ausnutzten und die derzeit geringen Zahlen wieder in die Höhe schnellten. Das ist die Befürchtung der CDU, die Seehofers Festlegung auf 25 Prozent strikt zurückweist und damit auf das alte Anreiz-Argument in der Asyldebatte verweist. Sprich: Menschlichkeit muss Grenzen haben, wenn sie Menschen in die Flucht lockt. Wie widersinnig. Es geht um eine humanitäre Lösung für Migranten in Lebensgefahr. Alles weitere bleibt in einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik zu regeln. Dazu gehören faire Entwicklungschancen, die Bekämpfung von Fluchtursachen, Maßnahmen gegen den Klimawandel und nicht zuletzt legale Wege für Schutzsuchende. Doch an dieser Aufgabe beißen sich die Europäer seit Jahren die Zähne aus.
Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss das Thema dringend angehen. Feste Aufnahmequoten waren mit Ländern wie Polen, Ungarn, Österreich und Tschechien bisher nicht zu machen. Auch Abgeordneten aus diesen Ländern verdankt die Deutsche ihre Wahl. Auf von der Leyens Entschlossenheit und Durchsetzungskraft darf man daher gespannt sein. Die Forderung nach völliger Abschottung in einer Festung Europa und die Verweigerung jeglicher Solidarität mit den Mittelmeeranrainern ist jedenfalls erbärmlich.
PS: In der Nacht vor dem Treffen der EU-Innenminister starben erneut Menschen im Mittelmeer. Die italienische Küstenwache berichtete, 13 Frauen seien vor der Insel Lampedusa tot geborgen worden, weitere zwanzig, unter ihnen Kinder und Schwangere, wurden vermisst.
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