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SPD nähert sich wieder ihrer politischen Kernkompetenz – Auf dem Rückweg zur Partei der Arbeit und der sozialen Gerechtigkeit

Norbert Römer Von Norbert Römer
3. November 2025
Claim "Wir haben verstanden" der NRW-SPD

Auch die NRW-SPD ist vom katastrophalen Ergebnis der Bundestagswahl mit nur noch 16,4 Prozent Zustimmung kräftig durchgeschüttelt worden. Der Leitantrag auf dem Landesparteitag am 10. Mai in Duisburg war deshalb gespickt mit einem gehörigen Teil von Selbstkritik bis hin zur ungeschminkten Kritik an der Bundespartei und der Politik der SPD-geführten Bundesregierung. Die eigenen Schwachstellen sind offengelegt worden, schonungslos. Gleichzeitig sind aber auch die Weichen für die daraus resultierenden Konsequenzen in der Landespolitik gezogen worden. „Unsere Haupt-Zielgruppe sind die berufstätigen Familien“, heißt es im Leitantrag mit der Überschrift „Aus dem Alltag in die Zukunft“ und weiter, „diejenigen, die mitten im Leben und in doppelter Hinsicht im Zentrum unserer Gesellschaft stehen, weil sie jeden Tag aufstehen und den Laden am Laufen halten, ob auf der Arbeit oder zuhause. Sie verbinden die Themen Erwerbsarbeit und Sorge um Kinder und Angehörige und sind damit ein entscheidendes gesellschaftliches Bindeglied.

Familie ist für uns immer dort, wo Menschen mehr Verantwortung übernehmen als nur für sich selbst. Politik für berufstätige Familien denkt alle Familien, alle Generationen und alle Menschen unserer Gesellschaft – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion, Behinderung, sexueller Orientierung oder sozialem Status – mit. Gute Politik für berufstätige Familien ist gleichzeitig gute Politik für alle Menschen in unserem Land.“

Damit macht die NRW-SPD deutlich, dass sie sich wieder verstärkt um die soziale Mitte unserer Gesellschaft kümmern will. Diese Klarstellung ist eine Kursbestimmung, die ihr hilft, sich wieder zuallererst an diejenigen zu wenden, denen sie sich besonders verantwortlich fühlt. „Diesen Familien das Leben in diesen unbeständigen Zeiten wieder einfacher zu machen, ihnen zeitlich und finanziell Luft zu verschaffen nicht nur für das Nötigste, sondern auch für ehrenamtliches Engagement, Urlaube oder persönliche Interessen und ihnen eine Perspektive auf eine gute Zukunft zu geben, ist für uns nicht zuletzt eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und somit größte Aufgabe und Motivation zugleich.“ Mit dieser Festlegung hat sich die NRW-SPD selbst beauftragt, ihre Politik danach auszurichten. Damit poliert sie ihr verblasstes Alleinstellungsmerkmal, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, wieder auf. Allerdings wird sie daran aber auch gemessen werden, ob sie sich bei ihrem politischen Handeln danach richtet.

Sich um die soziale Mitte unserer Gesellschaft zu kümmern, heißt dann auch, das in den Blick zu nehmen, was der Mehrheit der Menschen und besonders den berufstätigen Familien wichtig ist. Dazu gehören

  • eine intakte Umgebung mit Ordnung, Sauberkeit und Sicherheit im Alltag,
  • die Stärkung der industriellen Produktion in mittelständischen, handwerklichen und großen Betrieben und Unternehmen mit ihrer einzigartigen Wertschöpfungskette und guter und gut bezahlter Arbeit bis weit in den Dienstleistungsbereich hinein,
  • die wachsende Bedeutung der Arbeit im Dienst an den Menschen, in der Bildung, der Gesundheit und der Pflege,
  • die Bedeutung gut bezahlter Arbeit für das persönliche Wohlergehen und den Wohlstand im Land,
  • die Unterstützung der Beschäftigten im Niedriglohnbereich durch die Anhebung des Mindestlohnes,
  • die direkte und konzentrierte Förderung von arbeitslosen Menschen durch Qualifizierung und Umschulung wieder in sozialversicherungspflichtige Arbeit,
  • die vielfältige Förderung und Unterstützung von Menschen mit Handicaps auch im sozialen Arbeitsmarkt,
  • aber auch die Bekämpfung von Missbrauch beim Bezug von Sozialleistungen.

Arbeit statt Arbeitslosigkeit, diese Formel muss wieder ganz vorn auf der politischen Agenda der SPD stehen. Fördern ja, aber auch fordern. Keine weichen Betten, hat Franz Müntefering die Rolle der Sozialpolitik beschrieben. Hilfe und Unterstützung ja, aber es braucht auch Eigenverantwortung, es braucht auch den Willen derjenigen, die es können, auf eigenen Beinen stehen zu wollen und für den eigenen Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Wer sich dieser Anstrengung verweigert, wer arbeiten kann, aber nicht will und stattdessen auf die soziale Unterstützung durch die Gesellschaft setzt, derjenigen oder demjenigen muss dann eben auch diese Unterstützung entzogen werden. Fördern und fordern eben. Dann würde auch erkennbar werden, dass die SPD sich wieder mehr und mehr ihrer Rolle als Partei der Arbeit bewusst wird.

Es bleibt dabei: Je stärker die SPD die finanzielle, wirtschaftliche und soziale Lage der Menschen in den Mittelpunkt ihrer Politik rückt, umso größer wird die Zustimmung für ihr Handeln werden. Deshalb liegt viel Hoffnung auf der Politik der Bundesregierung mit ihrem sozialdemokratischen Anteil und der Konzentration auf dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur, die Sanierung und Modernisierung von Schulen, Kitas, Sportstätten und Straßen sowie die Sicherung der sozialen Stabilität für unsere Gesellschaft. Dass die NRW-SPD dabei ihre Hoffnung vor allem mit der Arbeit der Duisburgerin Bärbel Bas als Ministerin für Arbeit und Soziales verbindet, ist klar und in ihrem ureigenen Interesse. Denn die Sorge vor einem weiteren Abwärtstrend der SPD im bevölkerungsreichsten Bundesland ist virulent.

In Nordrhein-Westfalen ist in der SPD inzwischen mehr und mehr die Erkenntnis gewachsen, dass das grottenschlechte Ergebnis bei der Bundestagswahl von 16,4 Prozent längst nicht das Ende der Fahnenstange sein muss. Es kann auch noch weiter runter gehen. Jetzt haben die Kommunalwahlergebnisse in Nordrhein-Westfalen dazu beigetragen, dass die politische Reißleine gezogen worden ist. Der Parteirat der NRW-SPD hat einstimmig ein Positionspapier beschlossen, das den Titel hat: „Wir haben verstanden: Zeit für Ehrlichkeit und Veränderung“. Damit wird eine Kurskorrektur in der Politik der NRW-SPD eingeleitet, die in Anlehnung und Fortsetzung ihres Parteitagsbeschlusses beispielhaft für die gesamte Partei sein kann.

Zur Ehrlichkeit gehört die Kenntnisnahme der Wirklichkeit. Aussprechen, was ist und ansprechen, was verändert werden muss. Eine solche Haltung kann aber nicht aus der Distanz zu den Alltagsproblemen der Menschen entstehen. Dazu braucht es schon die direkte Nähe zum Lebensmittelpunkt der Familien und diese Nähe erschließt sich nicht aus gelegentlichen Besuchen in den Quartieren, wo das Zusammenleben von Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen, verschiedenen Interessen und kulturellen, auch religiösen Besonderheiten nicht gerade konfliktfrei verläuft. Besonders in diesen Bereichen ist politische Kärrnerarbeit vonnöten, muss für Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit gesorgt werden – tagtäglich und immer sichtbar, auch hörbar.

In der sogenannten alten SPD war das gelernt, gehörte es zum politischen Einmaleins und wurde weitergegeben von den Alten zu den Jungen. Die Stadtteilfeste und Hausbesuche beförderten das Wissen aus erster Hand um die Probleme, die Sorgen und Nöte der Menschen, aber auch die Kenntnis von ihren Hoffnungen und Wünschen. So konnte handfeste Politik zur direkten Problemlösung und zur hoffnungsvollen Zukunft entstehen, auch wenn nicht immer alles sofort und makellos gelang. Selbstverständlich ging diese Art von politischer Kärrnerarbeit nicht konfliktfrei vonstatten, selbstverständlich waren die Gespräche, die Diskussionen im direkten Umgang mit den Menschen nicht nur eine fröhliche Angelegenheit. Da ging es schon zur Sache, auch lautstark und nicht immer gab es Konsens. Aber es gab eben die Erfahrung der Menschen, gehört worden zu sein und sich selbst eingebracht zu haben in die politische Arbeit der SPD. Das ist mühsam für die politischen Akteure und auch nicht immer vergnügungssteuerpflichtig – aber letztlich erfolgreich, weil die große Mehrheit der Menschen sich ernstgenommen gefühlt hat, sich mitgenommen auf dem Weg zu politischen Entscheidungen. Diese Nähe zum Lebensalltag der Menschen, dieses Wissen aus erster Hand ist durch nichts zu ersetzen, schon gar nicht durch noch so viele Meinungsumfragen, auch nicht durch das Internet, durch die sogenannten sozialen Medien. Sie zu nutzen, auch die Präsenz in den Plattformen auszubauen, ist durchaus hilfreich. Sich aber vor allem daran zu orientieren, mag zwar bequem sein, hier und da auch interessant und spannend, hat aber mit der Wirklichkeit im Alltag der großen Mehrheit der Menschen nicht viel zu tun.

Wenn die NRW-SPD ihre politische Kursänderung jetzt auch mit einer Veränderung ihres Auftretens am Lebensmittelpunkt und im Arbeitsleben der Menschen beginnt, könnte viel Vertrauen zurückgewonnen werden. Erfolgreiche Politik braucht beides: die Lebenslage der großen Mehrheit der Menschen Schritt für Schritt verbessern und im direkten Kontakt mit ihnen darüber sprechen – immer wieder und immer wieder. Helmut Schmidt hat stets darauf gedrängt, dass Gutes nicht nur getan, sondern immer wieder berichtet und erklärt werden muss, damit es sich auch einprägt in das Bewusstsein der Menschen. Nicht einmal erklären, sondern mehrmals, auch fünfzigmal und mehr, hat Helmut Schmidt gefordert. Auch das war mal in der SPD gelernt. Der Ernstfall ist das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern, hat Johannes Rau seiner SPD eingebläut. Auch heute bleibt das richtig und wichtig. Nichts kann das persönliche Gespräch ersetzen, weder sogenannte soziale Medien noch Talk-Shows oder Interviews in Rundfunk, Fernsehen oder Zeitungen können das, sie sind allenfalls Beiwerk, Ergänzungen. Die nordrhein-westfälische SPD hat immer noch viele tausend Politikerinnen und Politiker in ihren Reihen, die in den Städten und Gemeinden, im Land, im Bund und in Europa Verantwortung haben, weil sie von den Menschen dafür gewählt worden sind. Das ist nach wie vor ein dickes Pfund, mit dem die Partei wuchern kann, wenn sie denn will und wenn sie es dann auch nutzt.

Wer sich die Wahlergebnisse bei der Kommunalwahl in NRW genau anguckt, wird große Unterschiede im politischen Handeln und im öffentlichen Auftreten der SPD vor Ort feststellen. In Hamm hat Oberbürgermeister Marc Herter sich direkt nach seiner Wahl 2020 besonders auf die Unterstützung der Familien konzentriert. Kita, Schule, Altenbegegnungen – das ganze Spektrum von Familienarbeit hatte von Beginn an Priorität. Inzwischen hat er ein „Familienrathaus“ eingerichtet. Hier gibt es seit 2023 Beratung und Hilfe aus einer Hand, um im Dickicht der vielen sozialen Hilfen und Maßnahmen durchzufinden. Hier werden die rat- und hilfesuchenden Menschen direkt unterstützt und nicht von einer Stelle zur nächsten geschickt. Die SPD-Zeitung „Vorwärts“ berichtet darüber folgendes: „Ob Kindergeld oder Kitaplatz: Eltern können hier sämtliche Leistungen, die ihnen zustehen, beantragen oder sich beraten lassen.“ Und zitiert den Oberbürgermeister: „Das ist ein sehr attraktives Angebot und dementsprechend bekannt.“ Einer Umfrage nach würden 80 Prozent der Eltern in der westfälischen Großstadt diese Einrichtung kennen, schreibt der „Vorwärts“. „Das Familienrathaus ist Teil auf unserem Weg, familienfreundlichste Stadt Deutschlands zu werden“, sagt Herter, „wir – die SPD und ich als OB-Kandidat – sind damit 2020 angetreten, alle städtischen Dienstleistungen rund um die Familie unter einem Dach zu bündeln. Gemeinsam mit unseren Partnern in der Hammer Ampel-Koalition haben wir es dann umgesetzt.“

Der Sozialdemokrat will Hamm zur familienfreundlichsten Stadt entwickeln, die auch wirtschaftlich und sozial gefestigt ist. Er sucht durch persönliches Auftreten die Nähe der Menschen in ihrem Alltag. Er besucht sie und hört zu, was sie ihm sagen wollen, er nimmt ihre Interessen persönlich auf. Das kommt offensichtlich an. Er ist mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im ersten Wahlgang wiedergewählt worden und seine Partei hat mit 46 Prozent an der absoluten Mehrheit gekratzt. Wenn es nach Herter ginge, seien es gerade die Kommunen, die zu einem effizienteren Sozialstaat beitragen könnten, wenn sie „mehr Beinfreiheit“ bekämen, schreibt der „Vorwärts“ und zitiert Herter: „Anstatt immer mehr Gesetze zu erlassen oder Vorgaben festzulegen, sollte die Bundesebene den Kommunen mehr vertrauen und ihnen mehr Spielraum bei der Gestaltung von Leistungen einräumen.“ Auch sollten die Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen klarer und weniger kompliziert ausgestattet sein, so Herter.

Weitere gute Beispiele neben Hamm gibt es für die SPD in immer noch vielen Städten, Gemeinden und Landkreisen in Nordrhein-Westfalen. Dabei fällt auf, dass erfolgreiche Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker auf Vertrauensarbeit setzen, sich vor allem Vertrauen bei den Menschen erwerben wollen und erworben haben – durch gute Arbeit und durch viel Nähe zu den Menschen, durch überzeugendes öffentliches Auftreten mit einer geschlossenen und entschlossenen Partei an der Seite. Ja, da, wo die SPD in diesem Sinne ganz alt ist, da ist sie auch erfolgreich. Für die Landespartei müsste das Ansporn sein, mit Blick auf die nächste Landtagswahl im Frühjahr 2027 schon bald eine Entscheidung über die Spitzenkandidatur zu treffen, die Garant für den Kurswechsel hin zur sozialen Mitte, zu den berufstätigen Familien ist und hinter der sich die ganze Partei versammelt. In diesem Prozess wird sich jedenfalls zeigen, ob die NRW-SPD die Zeichen der Zeit wirklich verstanden hat und ehrlich mit sich selbst umgeht.

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