Es ist ein merkwürdiges Buch, schon die Aufmachung. Da werden alle vier Namen der Thunbergs genannt über dem Titel „Szenen aus dem Herzen“, dann liest man „Unser Leben für das Klima“ und erfährt auf der Rückseite des Umschlags: „Wer ist Greta Thunberg?“ Sie selber hat das Buch aber nicht geschrieben, sondern im Wesentlichen ist es aus der Feder ihrer Mutter, die zudem das Kunststück fertigbringt, zwei Krisen in einem Buch miteinander zu verweben: die der Familie, Gretas Krankheit, sie hat das Asperger-Syndrom und ihre jüngere Schwester hat ADHS, verbunden mit einem Ansatz des Asperger-Syndroms. Und die andere Krise, die eben dazu gehört- Mutter Malena Ernman spricht von der „Krise, die meine Familie getroffen hat“, ist die „Krise, die jeden von uns betrifft“, .. die „Krise, die wir Menschen durch unseren Lebensstil herbeigeführt haben“, also der elende Zustand der Welt, von Menschenhand verursacht. „Manche bezeichnen dieses Phänomen als Nachhaltigkeit-, andere als Klima-Krise.“
Es sind 92 Szenen aus dem Herzen, will sagen aus dem Inneren einer Familie, beginnend mit „Mein letzter Abend in der Oper“-die Autorin Malena Ernman ist in Schweden weltberühmt, eine Opernsängerin, die auf den Bühnen der Welt zu Hause war, Mitglied der Schwedischen Akademie ist, ihr Mann Svante ist Schauspieler und Produzent, der aber wegen der Karriere seiner Frau seinen Beruf hintanstellte. Weitere Szenen aus dem Herzen, oft nur zwei bis vier Seiten lang, reichen über „Heimat“, „Gnocchi“, die Svante kocht, damit Greta sie auch isst, wenn sie sie isst, was Stunden dauert, „Streetdance“, „Gretas Monolog“ bis hin zum „Zeit für den Auftritt“. Das Buch auf rund 250 Seiten ist gut erzählt, aufgeteilt in kurzen Abschnitten, die man schnell lesen kann.
Aufschrei der Jugend
Ehrlich gesagt habe ich mit einem Buch von und mit Greta Thunberg schon länger gerechnet, denn das junge Mädchen ist ja längst eine weltbekannte Persönlichkeit, die Freitag für Freitag mit „FridaysforFuture“ Tausende in einen Schul-Streik lockt. Die vor der UN-Konferenz in Kattowitz auftrat und dem Weltwirtschaftsforums in Davos. Aber ob sie die Mächtigen der Welt das Fürchten lehrt? So weit würde ich nicht gehen, aber es wäre auch völlig falsch, würden wir uns über den Protest, den Aufschrei der Schülerinnen und Schüler erheben, so wie das FDP-Chef Christian Lindner tat, indem er den jungen Menschen empfahl, die Bewältigung der Klimakrise den Profis zu überlassen. Gerade das wollen und werden sie nicht tun, weil sie nämlich längst bemerkt haben, dass das, was die sogenannten Profis tun, zu wenig ist, dass sie reden und reden und vor allem sich selbst darstellen, aber nicht handeln, zumindest nicht so, dass man das Gefühl hätte, hier würde am Rad gedreht, und der fatalen Umwelt-Vergiftung und Verschmutzung endlich Einhalt geboten.
Faszinierend ist es natürlich, was sich seit Monaten abspielt und was im Sommer letzten Jahres begann, als Greta plötzlich, am ersten Schultag, nicht in die Schule ging, sondern sich mit dem Schild „Schulstreik für das Klima“ vor den schwedischen Reichstag setzte, ein Streik, der bis heute anhält, in der Stockholmer Altstadt und an vielen anderen Orten weltweit. Das Buch, besser die Mutter beschreibt, wie die kleine Tochter, sie ist ja noch ein Kind, die Eltern für ihren Lebensstil kritisiert, immer wieder und faktenreich. Dass die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung verantwortlich seien für die Hälfte der ausgestoßenen Treibhausgase. Dass das Fliegen am schädlichsten sei. Mit der Folge, dass Malena nur noch Angebote annimmt, die sie mit der Bahn erreichen kann. Und auch die Fleischfresserei, was dazu führt, dass man vegetarisch isst. „Und wenn wir das Klima zerstören, dann lässt es sich nie wieder reparieren- und zukünftige Generationen werden nicht alles wieder einrenken können, so gerne sie das auch wollten“. Schreibt die Mutter und zitiert die Tochter, die fordert, „dass wir zumindest damit aufhörten, unsere Umwelt …aktiv zu zerstören, und es unterließen, unsere Klimazerstörung in den sozialen Medien wie Trophäen vorzuführen.“
„Eine für unsere Begriffe ausgewogene, intakte Atmosphäre ist eine endliche Ressource,“ beginnt die Szene mit dem Titel „Völlerei“. Mit der „heutigen Menge an CO2-Ausstoß wird dieser Naturvorrat in achtzehn Jahren aufgebraucht sein.“ Zahlen, die anklagen und zum Gegensteuern zwingen, zum Aufhören. Ein paar Seiten weiter lese ich aus der Szene“ Symbiose: „Wir leben in einer Zeit des historischen Überflusses. Die gemeinsamen Vorräte in der Welt waren nie größer. Genau wie die Kluft zwischen arm und reich. Manche Menschen haben unglaublich viel, mehr als sie benötigen. Andere haben nichts. Gleichzeitig ergeht es der Welt um uns herum immer schlechter. Das Meereseis schmilzt, die Insekten sterben, die Wälder werden abgeholzt, und die Weltmeere und das Ökosystem kollabieren. Genau wie die Menschen um uns herum. Die zugrunde gingen, wie wir es taten. Menschen, die immer noch völlig kaputt sind. Wie unsere Freunde. Diejenigen, die abgehängt wurden. Diejenigen, die nicht das Glück hatten, den richtigen Arzt zu finden. “
Tickende Bombe
Gesellschaft des ewigen Wachstums, das hören wir oft von den Kapitalisten, den Neoliberalen, die nicht wahrhaben wollen, dass wir dabei sind, uns den Ast, auf dem wir sitzen, selbst abzusägen. „Denn es ist Fakt, dass es trotz aller steigenden Wachstumskurven sehr vielen Menschen immer schlechter geht. Vereinsamung ist zu einer chronischen Volkskrankheit geworden. Burn-out und andere psychische Erkrankungen sind nicht länger nur eine tickende Bombe- die Bombe ist bereits hochgegangen“, mahnt die Opernsängerin, der angesichts der Klagen ihrer Tochter nicht mehr nach Singen zumute scheint. Ungerecht ist die Welt, ungerecht verteilt, ganz wenige haben viel mehr als Millionen. „2017 war das Jahr, in dem 42 einzelne Personen im Besitz von mehr Geld waren als die Hälfte aller übrigen. Menschen auf der Welt zusammen. In dem 82 Prozent des totalen Vermögenszuwachses der Welt an das reichste eine Prozent ging. ..In dem 65 Millionen Menschen auf der Flucht waren. In dem Orkane und Wolkenbrüche Tausende von Todesopfern forderten , Städte unter Wasser setzten und die Existenz ganzer Nationen bedrohten. Es war außerdem das Jahr, in welchem die Kurve des CO-2-Ausstoßes wieder nach oben ging und die Menge an Kohlendioxid in der Atmosphäre weiter anstieg…“
Greta selbst meldet sich spät im Buch zu Wort, auf Seite 99. „Ein Brief an alle jene, die die Chance haben, gehört zu werden“, heißt der Titel von Szene 35. und beginnt mit den Worten: „Ich heiße Greta und bin 15 Jahre alt.“ Und sie wirft den Erwachsenen vor, zu sagen, dass sie bereit seien, alles Erdenkliche für eure Kinder“ tun zu wollen…Aber wir wollen eure Geschenke nicht, auch nicht eure Pauschalreisen, eure Hobbys oder eure ganze grenzenlose Freiheit. Das Einzige, was wir wollen, ist, dass ihr euch in der akuten Nachhaltigkeitskrise, die um euch herum in vollem Gange ist, ernsthaft engagiert. Und wir wollen, dass ihr endlich sagt, wie die Dinge wirklich sind.“
Dieses Buch endet an jenem 20. August 2018, dem ersten Streiktag, es handelt vom Weg der jungen Klimaaktivistin bis dahin. Ein nächstes Buch soll sich, so kündigt die Autorin an, mit den Folgen des Schülerstreiks und den damit zusammenhängenden Problemen und Gedanken widmen. Und um Kritikern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Die Autorin und Mutter von Greta, Malena Ernman ist nicht die gerissene Geschäftsfrau, weil sie das Buch jetzt auf den Markt bringt, was durchaus gut für die Auflage sein kann, aber das möglicherweise damit verdiente Geld wird nicht in die eigene Tasche der Thunbergs fließen, sondern an: „Greenpeace, WWF, die Institution für tiergeschützte Pädagogik und Therapie Lärm med djur, den Schwedischen Naturschutzverein und dessen Jugendumweltorganisation Fältbiologerna, den Verein für Menschen mit Beeinträchtigungen Kung över Livet, Kinder in Not und die Tierschutzorganisation Djurens Rätt“. So hat die Familie Thunberg es festgelegt, so steht es im Vorwort.