Die Kommunalwahl vom vergangenen Sonntag in Nordrhein-Westfalen war eine historische Wahl: Zum ersten Mal in der Geschichte unseres sympathischen Bundeslandes gab es nur Gewinner!
Ministerpräsident Armin Laschet war angesichts des historisch niedrigen CDU Ergebnisses euphorisiert, dass die Wählerinnen und Wähler ihm dann doch nicht seine Kanzler-Anwaltschaft komplett versaut hatten. Norbert Walter-Borjans schwadronierte im ARD-Morgenmagazin, dass die SPD nun endgültig „das Tal durchschritten“ habe – wahrscheinlich um jetzt in der langen Ebene der Bedeutungslosigkeit am Horizont zu entschwinden.
Nur vom wahren Wahlgewinner, den Grünen, hörte man erstaunlich wenig. Wo man doch angesichts der Tatsache, dass in vielen Kommunen die Grünen zweitstärkste oder sogar – wie in Köln – stärkste Fraktion geworden sind, als einziger wirklich Grund zum Feiern gehabt hätte. Aber wahrscheinlich liegt es daran, dass ich mich in einer sozialdemokratischen Blase bewege.
Angesichts des landesweiten Volldesasters bleibt der SPD nur, sich an den Erfolgen ihrer kommunalen Superstars festzuhalten, wie der Ertrinkende am Strohhalm.
Felix Heinrichs in Mönchengladbach, der nach einem sensationellen Wahlkampf, so wie es derzeit aussieht, den amtierenden CDU-Bürgermeister ablösen kann und damit hoffentlich der zweite SPD-OB in einer langen Reihe von CDU-OBs wird.
Thomas Eiskirch in meiner Heimat Bochum, der mit 61,77% im ersten Wahlkampf das nach meinem Wissenstand historisch beste Ergebnis in Bochum ever eingefahren hat (wenn auch ohne grünen Gegenwind) und damit fast doppelt soviel Stimmen wie seine Partei bekam.
Marc Herter, der mit viel Ausdauer und cleverer, langfristig angelegter Strategie den seit 21 (!) Jahren regierenden CDU-OB in meiner Geburtsstadt Hamm in die Stichwahl gezwungen hat und mit 40,68% aktuell vorne liegt.
Und es lassen sich sicher noch einige dieser kommunalen Stars aufzählen: Reiner Breuer in Neuss, der mit 52,9% für sich sogar seine SPD mit aus dem Sumpf nach oben ziehen kann. Bernd Tischler in Bottrop, mit schon fast SED-Traumwerten von 73,1%. Remscheid, Minden, Detmold.
Angesichts dramatischer Niederlagen in einigen Städten und herausragender Ergebnisse in anderen Städten, stellt sich unweigerlich die Frage: Was macht den Unterschied?
Lassen wir einmal beiseite, dass viele der Kandidaten pragmatische und dynamische Persönlichkeiten sind, eher Typus (Start-up) Manager als Ortsverein, die so garnicht dem in der Bevölkerung vorherrschenden SPD-Image entsprechen (wobei ich mich ernsthaft frage, wo die jungen, dynamischen Frauen sind? Alles nur Männer!).
Auffallend sind dann vor allem junge, frische, moderne Kampagnen mit einem professionellen Design, welches sich auch nicht scheut, das übliche SPD Corporate Design hinter sich zu lassen (Randnotiz: Interessanterweise haben viele der erfolgreichen Kandidaten die gleiche Agentur, die sich damit sicherlich für weitere Aufgaben empfiehlt…).
Entsetzlich dagegen, das 08/15 Layout der landesweiten SPD-Kampagnen, welches vom Design und Inhalt offensichtlich aus dem vorherigen Jahrtausend recycelt wurde. Alleine hier heben sich viele der genannten Kandidaten deutlich und wohltuend vom Wettbewerb ab.
Zusammengefasst: Die sehen nicht nach SPD aus.
Herauszuheben ist dann aber sicherlich, dass der Erfolg heute zu einem Großteil online gemacht wird. Sicherlich ist es schön, einen Stand in der Fußgängerzone zu haben, aber große Wählerschichten erreicht man mit seinen Botschaften in den sozialen Netzwerken.
Viele der Kandidaten haben einen superprofessionellen Online-Wahlkampf betrieben – im Gegensatz dazu, wie immer noch große Teile der Partei Online als eine andere Art anderes Plakat und pflichtschuldige Übung betrachten. Kandidaten, die online über das Posten von Urlaubsphotos nicht herauskommen, haben den Anschluss an die Bürgerinnen und Bürger verloren. Da ist auch mit viel Leidenschaft keine digitale Authentizität zu vermitteln.
Die digitalen Kampagnen dagegen gehen oft Hand in Hand mit dem, was Felix Heinrichs mir gegenüber als ein „ein intensives Community-Management innerhalb der Partei und der Stadtgesellschaft“ beschrieben hat (schon das ein Wort, bei dem es im ein oder anderen Ortsverein Herzrasen geben würde): Eine Partei muss die gesamte Stadtgesellschaft abbilden und im intensiven Austausch mit allen Gruppen stehen.
Claus Jacobi, der in Gevelsberg mit unglaublichen 87% wiedergewählt wurde, fasst das in der Zeit ein wenig weiter so zusammen: „Wir brauchen wieder eine SPD, die alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppierungen innerhalb der Partei repräsentiert.“
Abgesehen davon, dass es alleine daran schon in vielen Ortsvereinen hapert, macht den Unterschied, dass der Kandidat vor Ort ist, den Dialog sucht, Themen aufgreift und den Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl gibt, dass man mit seinen Ideen und Sorgen Ernst genommen wird. Mein guter Freund Veith Lemmen hat in seinem Wahlkampf im ostwestfälischen Werther nach eigenen Angaben „wahrscheinlich mit der Hälfte der Menschen in meiner Stadt gesprochen“ – wenn er denn nicht mit seinem Radhaus (passionierter Radfahrer!) Bürgersprechstunden auf der Straße gehalten hat.
Solche Nähe zum Bürger und den gesellschaftlichen Gruppen wiederum spielen Kandidaten wie Felix Heinrichs dann auch direkt zurück in die sozialen Medien und dies schafft Authentizität und Glaubwürdigkeit.
Das Thema Digitalisierung ist dabei auch deswegen besonders wichtig, da es eines der zentralen Schlüsselthemen unserer Gesellschaft ist und die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass potentielle Kandidaten hier authentisch, glaubwürdig und kompetent auftreten. Wie sonst soll ein (Ober-)Bürgermeister-Kandidat oder eine Partei den gesellschaftlichen Wandel moderieren und steuern? Hier liegt übrigens auch eine der großen Schwachstellen vieler CDU-Kandidaten, die immer noch Kommunalpolitik nach dem Mario-Adorf-Prinzip machen und denen Brick-And-Mortar näher ist als Digitalisierung. Leider nutzt die SPD hier ihre Chance viel zu selten und kommt oft eher als Digitalisierungsblocker denn als Treiber herüber.
Kommen wir aber zum wichtigsten Punkt: Mut.
Felix Heinrichs hat seine ganze Kampagne so genannt: „Mehr Mut (für Mönchengladbach)“.
Mut ist das zentrale Thema und hier versagt unsere Partei sowohl auf kommunaler Ebene wie auch auf Landesebene und im Bund leider viel zu häufig.
Mut bedeutet nach vorne zu schauen, kreative und auch kontroverse Ideen zu haben. Mut bedeutet auch Risiken einzugehen, offen zu sein für jede vielleicht am Anfang noch so absurde Idee. Träume zu entwickeln. Den Bürgerinnen und Bürgern Lust zu machen auf die Zukunft, die viele von ihnen mit Angst und Skepsis sehen.
Mut bedeutet auch keine Berührungsängste zu haben mit anderen gesellschaftlichen Gruppen in den Dialog zu treten. Marc Herter hat zum Beispiel bei seinem Strategieprojekt „Hamm von Morgen“ u.a. mit der FDP und Wirtschaftsverbänden eng zusammengearbeitet.
Mut bedeutet nicht, dass man für alle Fragen eine Antwort hat, aber dass man den Bürgerinnen und Bürgern die Angst vor dem Ungewissen nimmt und zeigt, dass man gemeinsam (fast) alles erreichen kann.
All zu oft ist die SPD die Partei der Mutlosen.
Da gibt es Wahlprogramme, die sind so generisch, dass man sie fast für jede Partei für jede Wahl verwenden kann. Da werden aus Angst vor dem bürgerlichen Klientel gute Ideen fallengelassen und statt dem übermächtig erscheinenden politischen Gegner mit Mut entgegenzutreten, überlegt man lieber, wie man nach der Wahl taktisch den ein oder anderen Posten abstauben kann.
Vieles von dem, was man in den ganz normalen Ortsvereinen landauf, landab findet, spiegelt sich auch in der Landes- und Bundespolitik. Der fehlende Mut endlich einen großen disruptiven Wurf bei Steuern und Abgaben auf den Tisch zu legen. Der fehlende Mut endlich die wichtigen Zukunftsthemen anzupacken und die Transformation unserer Wirtschaft mit großen Schritten nach vorne zu treiben. Der fehlende Mut endlich auf europäischer Ebene die Vision der Vereinigten Staaten von Europa nach vorne zu treiben. You name it.
Und das, wo die SPD doch eigentlich den Mut in der DNA haben sollte. Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Das sind unsere Grundwerte und für mich der Grund Sozialdemokrat zu sein.
Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität! Jede für sich erfordert Mut. Mut zur Veränderungen und vorne weg zu marschieren.
„Mehr Mut wagen!“ möchte man in Anlehnung an Willy Brandt rufen.
Mut zeigen in der SPD momentan aber nur unsere neuen kommunalen Stars und ich frage mich, warum es die SPD nicht schafft, diesen Mut auch in eine neue Energie für die ganze Partei zu verwandeln. Den von unseren kommunalen Stars lernen, heißt siegen lernen.
Vielleicht müssen wir dazu aber auch die Partei vom Kopf auf die Füße stellen.
Zum Gastautor: Christoph Mause (53) – Vater, Musiker und Unternehmer, wohnhaft mit Frau und zwei Söhnen nahe Düsseldorf. Hat mit Stolz die Steigerlampe seines Großvaters im Wohnzimmer stehen.
Bildquelle: Pixabay, Bild von InspiredImages, Pixabay License