Der SPD geht es nicht gut, höflich formuliert. Aber der ältesten deutschen Partei kann es noch so schlecht gehen, man findet immer Parteifreunde, die über andere Genossen herziehen. Das Wort Solidarität gehört zum Stamm-Vokabular der Sozialdemokraten, nur in der täglichen Praxis kommt das so gut wie nicht vor. Vor ein paar Wochen hat sich die SPD eine neue Führung gewählt, ein Duo aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans soll die Partei aus dem Keller wieder ans Tageslicht führen, ich sage bewusst ans Tageslicht und verzichte auf höhere Ansprüche. Die neue Führung hat es nicht leicht, seit der Abstimmung der Mitglieder wird über sie gemeckert, gerade so, als hätten die Genossen weder für Esken noch für Walter-Borjans votiert.
Selbst das Ergebnis wird Esken und Nowabo angelastet, viel zu wenige hätten sich daran beteiligt. Aber warum wird diese Zurückhaltung vieler Mitglieder den beiden vorgeworfen? Dann wird kritisiert, dass die Wahl durch die einseitige Werbung der Jusos pro Esken/Nowabo und die Empfehlung der NRW-SPD beeinflusst worden sei. Gegenfrage: Warum hat es keine Mobilisierung von Olaf Scholz gegeben, keinen Aufruf pro Bundesfinanzminister? Könnte das daran gelegen haben, dass der einstige Hamburger Bürgermeister sich bundespolitisch nicht so doll verkauft hat in der Vergangenheit? Ein mögliches Weiter-So schien nicht wünschenswert. Die SPD hatte damals mit etwa 13 Prozent in Umfragen einen Tiefpunkt erreicht. Und dass Scholz quasi erst als letzter Bewerber aufgesprungen ist auf den Zug, der ihn ins Willy-Brandt-Haus bringen sollte, hatte auch einige mehr als die Nase über ihn rümpfen lassen.
Esken wirkt verspannt, nicht überzeugend
Zugegeben, Saskia Esken macht es ihren Parteifreundinnen und Parteifreunden nicht gerade leicht. Sie wirkt verspannt, verbittert, ihre Auftritte verströmen weder Fröhlichkeit noch Zuversicht, Werbung macht sie für eine neue SPD-Spitze so nicht, weil sie auch inhaltlich nicht überzeugt. Wer ihren TV-Auftritt am Sonntagabend bei Anne Will verfolgt hat, war mindestens enttäuscht, weil er feststellen konnte, dass andere besser waren, wie zum Beispiel der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder, den viele unterschätzt haben. Dabei hat der Nürnberger Söder zwar am Anfang seiner Ministerpräsidentenzeit ein paar Schwächen offenbart, ja Fehler gemacht, aber danach hat er seine Qualitäten gezeigt- auch inhaltlich die CSU moderner präsentiert, als sich das manche seiner Kritiker vorgestellt haben. Man frage mal die Grünen im Freistaat, die auf der Oppositionsbank sitzen und die liebend gern mit Söder regieren würden, was der aber nicht wollte. Er besetzte stattdessen ihre Themen und ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen.
Norbert Walter-Borjans ist ziemlich neu in der Hauptstadt, er muss seine Rolle wohl erst noch finden. Aber der frühere NRW-Finanzminister macht Fortschritte, kleine zwar, aber immerhin scheint es voran zu gehen. Ob das die SPD nach vorn bringt, bleibt abzuwarten. Ein wenig mehr Solidarität aus den eigenen Reihen statt hämischer Zwischenrufe würde ihm und seiner Mitstreiterin sicher guttun.
Hans-Jochen Vogel, der letzte noch lebende Sozialdemokrat, der Mitglied der SPD-Regierungen unter Willy Brandt und Helmut Schmidt in den 70er und 80er Jahren, der Partei- und Fraktionschef war, kurzzeitig Regierender Bürgermeister von Berlin, hat vor Monaten, angesprochen auf die Krise der SPD, den über 400000 Mitgliedern zu mehr Selbstbewusstsein geraten, verbunden mit dem Hinweis: „Herrgott nochmal, wir haben doch eine Geschichte!“ Oja, Herr Dr. Vogel, so haben wir Journalisten Vogel gern angesprochen, auch weil wir Respekt vor diesem Mann hatten. Die Geschichte der SPD darf man immer wieder bemühen, ihren steten Kampf um mehr Gerechtigkeit und Freiheit, darf daran erinnern, dass sie Bismarcks Sozialistengesetz ebenso überlebt haben wie das Verbot durch die Nazis, darf Otto Wels, den damaligen SPD-Chef erwähnen, der am 23. März 1933 in der Berliner Kroll-Oper vor der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz das Nein der SPD mit den berühmt gewordenen Worten begründete: „Leben und Freiheit können Sie uns nehmen, die Ehre nicht.“ Dann der Kampf gegen die Kommunisten. Viele Sozialdemokraten wurden wegen ihrer Überzeugungen verfolgt, eingesperrt, gefoltert, ermordet. Für Hans-Jochen Vogel, den heute 93jährigen, der im Dezember 1950 der SPD beitrat, war und ist es eine Frage der Ehre, der ältesten deutschen Partei anzugehören. Deshalb die Aufforderung zu mehr Selbstbewusstsein, nicht dauernd im Büßerhemd herumzulaufen, sondern mit einem gewissen Stolz Mitglied der Partei zu sein und dies auch öffentlich kundzutun und nicht verschämt, wie das heute gelegentlich geschieht.
Leistungen der SPD zum Wohle des Volkes
Mit Geschichte meint einer wie Vogel auch all die Leistungen, die diese Partei durchgesetzt hat zum Wohle der arbeitenden Klasse, der Millionen kleinen Leute, der Kampf für mehr Freiheiten, mehr Rechte, die Menschenwürde. Da gibt es einen ganzen Katalog der guten Taten, aber wegen ihrer Verdienste von früher wird heute niemand mehr gewählt. Wie sonst wären die Umfrage-Zahlen für die SPD zu erklären!? So bleibt der neuen Führung der SPD wie gehabt der nötige Kampf gegen die drohende Erweiterung der sozialen Kluft in Deutschland als Aufgabe, um Gefahren, die der Demokratie drohen, abzuwehren, sie muss gegen die Altersarmut kämpfen, für eine Reform des Bodenrechts, um den Wahnsinn in der Immobilienwirtschaft zu stoppen, so ähnlich hat es Hans-Jochen Vogel ausgedrückt. Er hat ferner kritisch angemerkt, dass die Chefs von Dax-Unternehmen früher das Zwanzigfache dessen bekamen, was die Mitarbeiter kriegten, heute ist daraus das Zweihundert- bis Dreihundertfache geworden. An Themen ist kein Mangel für eine neue SPD-Führung, nehmen wir als Beispiel nur noch die Entwicklung der Europäischen Union nach der Brexit-Entscheidung der Briten und die zunehmenden nationalistischen Strömungen in manchen EU-Staaten. „Seid Ihr noch von Sinnen?“ entfuhr es dem alten Vogel dazu in einem Interview. Ein Einzelstaat hat global keine Chance, aber eine EU mit ihren fast 500 Millionen Bürgern könnte sich gegen China und Indien behaupten, wenn diese EU zusammenhält.
Die Geschichte der SPD ist auch eine Geschichte der SPD-Vorsitzenden nach dem Krieg. Es waren nicht immer glanzvolle Zeiten, denkt man an Kurt Schumacher, der 1946 zum SPD-Chef in den drei westlichen Zonen gewählt worden war. Deutschland lag in Trümmern, wirtschaftlich, moralisch, nur Schutt, wohin man schaute. Schumacher saß viele Jahre während der NS-Zeit in KZs, die Nazis hatten ihn durch Folter gesundheitlich fast zu einem Krüppel gemacht. Ihm folgte Erich Ollenhauer, der wesentlich am Zustandekommen des Godesberger Programms beigetragen hat. Erst dadurch stellte sich die Partei neu auf, indem sie sich von der marxistischen Arbeiterpartei zu einer pragmatischen Volkspartei wandelte und ihren Frieden mit der Westbindung der Bundesrepublik machte. Sein Nachfolger wurde zum Übervater der SPD: Willy Brandt, aber auch er brauchte ein paar Jahre und Wahlniederlagen gegen Konrad Adenauer, ehe es ihm zunächst in die Große Koalition mit der CDU-CSU unter Kanzler Kurt-Georg Kiesinger gelang, die Regierungsfähigkeit der SPD unter Beweis zu stellen. Erst 1969 wurde Brandt Kanzler einer sozialliberalen Koalition. Die Ostpolitik wurde sein Markenzeichen, in deren Zentrum die Aussöhnung mit Polen und der Sowjetunion stand. Brandt wurde mit dem Friedensnobelpreis hoch geehrt, im eigenen Land aber immer wieder übelst angefeindet.
Als Oskar rief: Zieht Euch warm an
Auf Brandt folgte als SPD-Chef Hans-Jochen Vogel 1987, er selber sah sich als Übergangsvorsitzender. 1991 wurde Björn Engholm Vorsitzender der SPD, der schleswig-holsteinischer Ministerpräsident. Engholm kam über die Barschel-Affäre ins Amt und stolperte Jahre später über sie. Engholm hätte alle Chancen gehabt, Helmut Kohl als Kanzler abzulösen, aber so musste er frühzeitig gehen, Johannes Rau wurde kommissarischer SPD-Chef für zwei Monate, ihm folgte Rudolf Scharping, der sich in einem Mitglieder-Entscheid gegen Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul durchgesetzt hatte. Ein Mann ohne Fortüne, der zunächst gegen Helmut Kohl verlor (auch weil er Brutto mit Netto verwechselt hatte, aber auch weil seine internen Widersacher Schröder und Oskar Lafontaine ihm die Unterstützung verweigerten) und dann in Umfragen auf 23 Prozent sank. Auf dem Parteitag in Mannheim 1995 wurde Oskar Lafontaine sein Nachfolger. Er rief dem politischen Gegner zu: „Zieht Euch warm an!“. In der Tat gelang es Lafontaine zusammen mit Schröder, die nächste Wahl gegen Kohl zu gewinnen. Aber nach dem Wahlsieg kam es zum Zerwürfnis der beiden, Lafontaine warf 1999 alle Ämter hin, als Finanzminister, SPD-Parteichef und später gab er auch das Mandat des Abgeordneten ab. Er verließ die SPD und trat später der Partei Die Linke bei. Nun musste der Kanzler Gerhard Schröder ran, der zwar immer Kanzler werden wollte („Ich will da rein“), aber nicht Parteivorsitzender. Er blieb SPD-Chef fünf Jahre, legte nach heftigen Auseinandersetzungen um seine Agenda 2010 das Amt nieder, Franz Müntefering folgte ihm, aber sein Glück in der Parteizentrale (schönstes Amt neben Papst) war nicht von langer Dauer. Er scheiterte an Andrea Nahles, die dafür sorgte, dass „Münte“ seinen Vertrauten Kajo Wasserhövel als Generalsekretär der SPD nicht durchsetzen konnte.
Und so ging das weiter, immer kürzer wurden die Amtszeiten, auch weil die Genossen die nötige Solidarität gegenüber ihrem Vorsitzenden vermissen ließen. Matthias Platzeck gab aus gesundheitlichen Gründen-Hörstürze- nach wenigen Monaten 2006 auf, Kurt Beck wurde in Berlin als SPD-Chef nie heimisch, ständige Gerüchte aus der Partei begleiteten seine Arbeit, 2008 gab er entnervt auf, Frank-Walter Steinmeier, der Kanzleramtschef unter Schröder, übernahm kommissarisch, ihm folgte wiederum Müntefering, der aber nach der Wahlniederlage 2009 mit mäßigen 23 Prozent die Brocken hinwarf. Dann kam Sigmar Gabriel, er überstand sogar das zweitschlechteste Wahlergebnis der SPD 2013, er führte seine Partei in eine Groko mit der Union unter Angela Merkel. Blieben noch Martin Schulz und Andrea Nahles zu erwähnen, dies aber auch nur kurz im Amt aushielten, dann waren drei Sozialdemokraten kommissarisch tätig-Schäfer-Gümbel, Manuela Schwesig, Malu Dreyer- und seit Dezember letzten Jahres versuchen Saskia Esken und Nowabo ihr Glück.
Schönste Amt neben Papst? Eher Schleudersitz
Von wegen schönstes Amtes neben Papst- eher gleicht der Chefposten der SPD einem Schleudersitz. Die ersten Jahrzehnte kam die SPD mit drei Vorsitzenden aus, für die nächsten 30 Jahre benötigte sie deren 16, kommissarische und „Wiederholungstäter“ mitgerechnet.
Für einen wie Hans-Jochen Vogel galt, was er auf einem Zettel von einem seiner Vorbilder, Herbert Wehner, übernommen hatte: „Trotz alledem weiterarbeiten und nicht verzweifeln“. Was nicht leicht fallen dürfte auf diesem Stuhl im Willy-Brandt-Haus. Mehr Solidarität statt hämischer Kommentierung aus der Galerie, in der einige der Alten Platz genommen haben, wie zum Beispiel Peer Steinbrück, der mit bissig-intellektueller Schärfe die Arbeit der neuen SPD-Führung begleitet, wie man kürzlich im Fernsehen beobachten konnte. Wie wäre es, wenn Steinbrück, ein heller Kopf der Partei, früherer Ministerpräsident von NRW, Kanzlerkandidat, wenn dieser Steinbrück dieses SPD-Duo intern beraten und auf seine kabarettistischen Verrrißstücke verzichten würde? Wo sind die Engholms, die Scharpings, die Schröders, die Thierses, die Schmidts und all die anderen, die früher Erfolge mit der SPD hatten und die ihre Karriere ja auch der Mitgliedschaft in der SPD verdankten? Ein Klub der Alten in der SPD, das könnten Trommler für die SPD sein, die für den Zusammenhalt der Partei werben würden und sich nicht lustig machten über deren augenblicklichen eher mäßigen Erfolg. Ich habe mal im Sport gelernt: Man tritt nicht auf jemanden, der schon am Boden liegt. Im Übrigen gilt: Der Feind steht rechts, darüber müssten sich doch alle Sozialdemokraten einig sein.
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