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SPD in ostpolitischer Identitätskrise – Anspruch als Volkspartei gefährdet

Dieter Spöri Von Dieter Spöri
2. Dezember 2014
Willy Brandt in Erfurt 1970

Das Erfurter Gipfeltreffen 1970 war das erste Treffen zwischen einem deutschen Bundeskanzler (Willy Brandt, links) und einem Vorsitzenden des Ministerrates der DDR (Willi Stoph).

Die SPD steckt in einer gefährlichen ostpolitischen Identitätskrise. Trotz der geradezu hermetischen außenpolitischen Geschlossenheit der SPD-Fraktion im Bundestag geht in Wahrheit ein mühselig verschwiegener, aber tiefer konzeptioneller Riss durch die deutsche Sozialdemokratie. Führende Architekten, Akteure sowie wichtige Wegbegleiter der Ost-und Entspannungspolitik von Willy Brandt stehen der bisherigen Strategie der EU im Verlauf des neuen Ost-West-Konflikts, die ja von der Bundesregierung in Berlin entscheidend geprägt wurde, besorgt und kritisch gegenüber.

Medientenor und Bevölkerungsmeinung im neuen Ost-West-Konflikt

Dies wohl auch im Einklang mit einer stark beunruhigten Mehrheit in unserer Bevölkerung, obwohl die meisten außenpolitischen Leitartikler monatelang alles gegeben haben, um die Strategie von EU und Nato als logische und notwendige Replik auf ein angeblich hemmungsloses Machtstreben Wladimir Putins nahezubringen. Doch das Glaubwürdigkeitsproblem dieser Strategie ist, dass der dominierende regierungstreue Medientenor trotz permanenten Trommelns bei vielen Menschen einfach nicht überzeugend ankommt.

Deshalb stand und steht ein Großteil unserer Bevölkerung der auch friedenspolitisch  widersprüchlichen Eskalation des neuen Ost-West-Konflikts, mit einer ständig schärferen und emotionaleren Sprache, mit der Androhung immer neuer Wirtschaftssanktionen und mit einer geradezu fieberhaften Aufrüstungshektik in der Nato äußerst distanziert und kritisch gegenüber. Egal wie man auch die Formulierung der Fragen der führenden Meinungsforschungsinstitute auch variieren mag, ein Großteil der Bevölkerung ist skeptisch und misstrauisch. Und es besteht kein Zweifel daran, dass auch eine Mehrheit der SPD-Wählerschaft diese Skepsis teilt.

Kritik politischer Schwergewichte an der EU-Strategie

Dieses Einstellungsmuster kann nicht überraschen, wenn man bedenkt, dass erfahrene sozialdemokratische Schwergewichte, wie z.B. Helmut Schmidt, Gerhard Schröder, Egon Bahr, Erhard Eppler oder Klaus von Dohnanyi  in mehr oder weniger großer Übereinstimmung mit den Argumenten von renommierten außenpolitischen Akteuren und Experten wie Helmut Kohl, Michail Gorbatschow, Henry Kissinger, Hans Dietrich Genscher, Lothar de Maizière, General a.D. Harald Kujat oder Horst Teltschick die bisherige Strategie der EU im neuen Ost-West-Konflikt für falsch, fehlerhaft oder wenig überzeugend halten.

Die SPD-Führung unter ihrem machtpolitisch versierten Vorsitzenden Siegmar Gabriel muss diese Kluft zu einer so massiven Ansammlung von Kompetenz tief verunsichern. Auch wenn es eine große Leistung von Siegmar Gabriel ist, diesen konzeptionellen Riss bisher einfach zu ignorieren und wenn im Gegensatz zu früheren Zeiten immer noch keine außenpolitischen Abweichler(innen) den parlamentarischen Betrieb stören. Für eine hoch entwickelte Demokratie ist wohl der aktuelle Druck auf die Inhaber(innen) von Regierungsfunktionen und Mandaten in Bund und Ländern überraschend nachhaltig.

Keine Mehrheit für weitere Konfrontation

Denn jeder, der heute aktiv Politik macht, merkt in persönlichen Gesprächen im Wahlkreis sehr schnell, dass man für die inzwischen martialische Rhetorik gegenüber Russland und die wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahmen in der Bevölkerung nur sehr eng begrenzt Verständnis oder Unterstützung findet. Medien bezogen zeigt sich heute sogar eine erstaunliche Parallele zu der Meinungskonstellation vor dem Irak- Krieg: Die Mehrheit der außenpolitischen Edelfedern stand diametral gegen die Mehrheit der Bevölkerung, die in bewundernswerter Resistenz gegen die Dauerbearbeitung der Medienexperten mit ihrem gesunden Menschenverstand die Lage weit realistischer und vernünftiger einschätzte. Heute kommt lediglich noch dazu, dass dieser Kontrast besonders stark zwischen vielen Fernsehzuschauern und wichtigen Köpfen des Fernsehens ausgeprägt ist.

Es gibt in unserem Land keine Mehrheit dafür, dass sich Deutschland von radikalen Scharfmachern wie dem alten und neuen Ministerpräsidenten der Ukraine, Arsenij Jazenjuk, oder der von Angela Merkel lange gefeierten und gegen Russland hasserfüllten Ikone, Julia Timoschenko, in eine immer schärfere Konfrontation mit Moskau hineintreiben lässt. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass diese Eskalation für die Deutschen nicht nur extrem teuer wird, sondern mit Forderungen nach einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und Lieferungen von militärischem Gerät blitzschnell zu einer existenziellen direkten Kriegsgefahr mit Russland führen kann. Man muss schließlich in diesem Zusammenhang auch bedenken, dass es in Kiew Kräfte gibt, die schon heute den Maidan offen zum „Exportartikel“ ausrufen und nach Moskau transferieren wollen..

Umkehrung des ostpolitischen Paradigmas von Willy Brandt

Die bisherige Strategie der EU hat das ostpolitische Paradigma Willy Brandts ins Gegenteil verkehrt: Damals suchte man und schuf neue Gesprächsforen, man investierte Vertrauen im Vorschuss, deeskalierte konsequent nach der Devise „Wandel durch Annäherung“ und hat dafür in den USA aktiv bei Kissinger und Nixon erfolgreich für diese Strategie der Entschärfung von Konflikten geworben. Heute lädt man mutwillig Russland von bisherigen Gesprächsforen wie G8 Gipfel und dem Nato-Russland-Rat aus. Als nächstes destruktives Projekt steht die Zerstörung des Petersburger Dialogs nach seiner unverständlichen Verschiebung an. General a.D. Kujat hat im Gegensatz dazu gefordert, dass gerade in der Phase einer zugespitzten Krise solche bestehenden Gesprächsformate unbedingt genutzt werden müssten. Denn dazu sind sie schließlich geschaffen worden.

Deeskalation durch Steinmeier?

Die Rhetorik persönlicher Schmähung und das Zerstören bisheriger Gesprächsforen ist das genaue Gegenteil des grandios erfolgreichen ostpolitischen Ansatzes von Willy Brandt und Egon Bahr, der nahtlos von den Kanzlern Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder fortgeführt wurde. Und es ist auch das genaue Gegenteil dessen, was man sich nach dem Entgegenkommen Russlands im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung erhoffen konnte, wie ein gefeierter, aber sichtlich enttäuschter Michail Gorbatschow beim 25. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin zum Ausdruck brachte.

Wenn nunmehr einige „schlaue“ außenpolitische Büchsenspanner in der Sozialdemokratie versuchen, dieser Umkehrung der Brandt’schen Ostpolitik im Widerspruch zu aller außenpolitischen Logik ein gekünsteltes analytisches Fundament zu geben, wird dieser intellektuelle Eiertanz grandios scheitern. Denn wenn die deutsche Sozialdemokratie nicht dem ostpolitisch erprobten Paradigma der Deeskalation Willy Brandts folgt, verliert sie ihre friedenspolitische Seele.

Man kann nur hoffen, dass Außenminister Frank Walter Steinmeier mit seinem fast körperlich sichtbaren Widerwillen gegenüber immer neuen Sanktionsstufen und seiner klaren Absage an eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine Erfolg hat: Und zwar innerhalb der Großen Koalition, wie auch der EU und Nato. Bisher gibt es hier vom Nato- Generalsekretär leider ganz andere Töne. Der Erfolg Steinmeiers in Richtung Deeskalation ist nicht nur friedenspolitisch entscheidend, sondern auch für das künftige Profil der SPD in der Großen Koalition.

Die SPD ist als Volkspartei gefährdet

Wenn sich in dieser existenziellen Frage der Ost- und Friedenspolitik und damit  sozialdemokratischer Identität die SPD in der Regierung ihr programmatisches Selbstverständnis aushöhlen lässt, wird sie bei der nächsten Bundestagswahl 2017 trotz aller sozialpolitischen Erfolge eine noch größere Enttäuschung als vergangenes Jahr erleben.

Die Frage wird sich dann ernsthaft stellen, ob die SPD in Zukunft überhaupt noch mit dem ohnehin gefährdeten Anspruch einer Volkspartei und eines Kanzlerkandidaten in den Bundestagswahlkampf gehen kann.

 

Bildquelle: Wikipedia. CC-BY-SA-3.0-de. Dieses Bild wurde im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Bundesarchiv und Wikimedia Deutschland aus dem Bundesarchiv für Wikimedia Commons zur Verfügung gestellt.

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Tags: GroKoGroße KoalitionOstpolitikostpolitische IdentitätskriseSPDSPD-FraktionSteinmeier
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Comments 2

  1. Guido says:
    11 Jahren ago

    Da können wir froh sein, dass die SPD in der Koalition ist.
    Schwarz-Grün wäre eine Kriegsgefahr für Europa.

    Antworten
  2. Prof. Dr. Dieter Puchta says:
    11 Jahren ago

    in den ersten beiden Abschnitten kommt zweimal das Wort Medientenor vor. Beim Lesen spielte mir mein Gehirn zweimal denselben Streich: Ich las immer Medienterror!

    Man kann Dieter Spöri in allem zustimmen, doch die Wahrheit ist noch etwas schlimmer. Es gibt keine (Ost-)EuropaSTRATEGIE, alles sind nur gefährliche TAKTISCHE – von den USA wohlwollend begleitete – Geplänkel. Und wie lehrte einer der Urväter der Lernpsychologie: „Wenn man nicht weiß, wohin man will, muß man sich nicht wundern, wenn man irgendwo ganz anders ankommt!“ Darum: Weiter so (strategielos vor sich hinwursteln) – und die Friedenspartei SPD wird sich eines Tages (wieder einmal wie 1914ff.) die Augen reiben….

    Antworten

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