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COVID-19: Was sagt uns die Geschichte?

Jürgen Brautmeier Von Jürgen Brautmeier
17. Juni 2020
Gemälde "Triumph des Todes" von Pieter Bruegel

Weltweit arbeitet die medizinische Forschung gegenwärtig mit Hochdruck daran, die Ausbreitung von COVID-19 einzudämmen und seine gesundheitlichen Folgen in den Griff zu bekommen. Wissenschaftler der Universität Oxford haben jetzt anscheinend nachweisen können, dass es ein Medikament gibt, das die Sterblichkeit von schwer an COVID-19 erkrankten Menschen deutlich reduziert. Dies als Durchbruch zu bezeichnen ist vielleicht ein bisschen zu euphorisch, aber immerhin kommt eine derartige Bewertung vom Chef der Weltgesundheitsorganisation, der WHO. Die Tatsache, dass es diese Organisation überhaupt gibt, viel mehr aber noch der medizinische Fortschritt, den wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten erlebt haben, kann uns optimistisch stimmen, dass in absehbarer Zeit auch ein weltweit verfügbarer Impfstoff entwickelt sein wird, der neue Wellen der Krankheit verhindern kann.

Ein Historiker der anderen britischen Eliteuniversität, Cambridge, hat gerade einen Aufsatz veröffentlicht, der sich mit Blick auf die jetzige Krise mit Epidemien, Krankheiten und der Sterblichkeit in der neueren Geschichte auseinandersetzt.[1] Ausgehend von Großbritannien zeigt Leigh Shaw-Taylor auf, wie sich die Lebenserwartung der Menschen in den letzten zweihundert Jahren drastisch verbessert hat. Starben im Mittelalter und bis in das 19. Jahrhundert hinein die meisten Menschen noch an ansteckenden Krankheiten, so sind es heute degenerative Erkrankungen wie Krebs, Herzleiden, Diabetes oder Demenz. Früher lebten die Menschen einfach nicht lange genug, um an diesen Degenerationskrankheiten zu sterben. Ein Beispiel zur Illustration des globalen Fortschritts in dieser Frage: Die Zentralafrikanische Republik hatte 2018 mit knapp 53 Jahren die weltweit niedrigste durchschnittliche Lebenserwartung, aber in Großbritannien lag sie noch im Jahr 1900 nur bei 46, im frühen 18. Jahrhundert sogar nur bei Mitte 30 Jahren. In Deutschland liegt sie heute für Männer bei 79 und für Frauen bei 84 Jahren. Gigantische Schritte, weltweit.

Pocken, Malaria und Typhus waren die „Big Killer“ des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, nicht nur in Großbritannien, und auch Tuberkulose oder Masern waren weit verbreitet. Ein steigender Lebensstandard, öffentliche Gesundheitsmaßnahmen und medizinischer Fortschritt führten aber in der Folgezeit zu einer starken Reduzierung der Gefahr durch derartige Krankheiten. Deshalb ist Shaw-Taylors Zwischenfazit einleuchtend: Die heutigen hohen Todesraten durch Krebs oder andere chronische Krankheiten sind nicht einfach das traurige Ergebnis von Rauchen oder Luftverschmutzung, sondern sie erklären sich durch die verringerten Gefahren ansteckender Krankheiten: Immer mehr Menschen leben lange genug, um an Krebs, Herzkrankheiten oder Demenz zu sterben.

Shaw-Taylor zieht mit Blick auf die Corona-Pandemie bemerkenswerte Schlüsse:

– Die mit der Globalisierung einhergehende Vernetzung der Welt lässt sich nicht umkehren. Die Europäische Expansion seit dem Ende des 16. Jahrhunderts hat zu einer weltweiten mikrobiellen Vereinheitlichung geführt, die nicht zurückgedreht werden kann.

– Im Vergleich zu anderen Infektionskrankheiten, die im Laufe der Geschichte aufgetreten sind, hat COVID-19 zudem eine sehr niedrige Todesfallrate (unter oder um 1%), verglichen mit der Pest (über 60%), der Cholera (über 25%) oder den Pocken (mehr als 20%). Deshalb wird COVID-19 wahrscheinlich in die Geschichte als kurzfristige Unterbrechung der langfristigen Steigerung der Lebenserwartung eingehen, und es erscheint ihm eher unwahrscheinlich, dass sich der weltweite Trend zur höheren Lebenserwartung nicht in wenigen Jahren fortsetzt.

– Grund zur Entwarnung gibt es dennoch nicht: Früher oder später wird eine neue Pandemie kommen, möglicherweise viel gefährlicher als COVID-19. Deshalb sollte sich nicht wiederholen, was in den ersten drei Monaten des Jahres 2020 passiert ist, dass nämlich die meisten Regierungen beklagenswert unvorbereitet und entweder unfähig oder unwillig waren, mit angemessenen Maßnahmen auf die Gefahr zu reagieren. Deutschland hat dank seines hervorragenden Gesundheitssystems schlimme medizinische Zustände wie in anderen Ländern vermeiden können, deshalb trifft dieser Vorwurf bei uns Gott sei Dank nicht ganz zu. Aber Shaw-Taylors „Long View“ auf die ansteckenden Krankheiten ist ein guter Beleg dafür, dass sich ein Blick in die Geschichte immer lohnt. Vielleicht hilft dies ja, so manche Befindlichkeit oder Aufgeregtheit der jetzigen Krise zu dämpfen und manche Maßnahme der Politik besser zu verstehen und für sich selbst einzuordnen. Der medizinische Fortschritt geht weiter, das ist sicher. Und das Leben geht weiter, selbst wenn der Tod unausweichlich ist. Diesem Fazit von Shaw-Taylor will ich nicht widersprechen.


[1] https://onlinelibrary.wiley.com/pb-assets/assets/14680289/EcHR%20Disease%20Virtual%20Issue%20Introduction.pdf

Bildquelle: Wikipedia, Pieter Bruegel der Ältere – Museo del Prado, Gemeinfrei

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Tags: Corona-KriseCoronavirusCovid-19DegenerationserkrankungenGesundheitssystemKrisenmanagementLebenserwartungPandemienShaw-TaylorSterblichkeit
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