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Ausgerechnet jetzt: Der neue Bundespräsident – Gerade jetzt: Frank Walter Steinmeier

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
12. Februar 2017
Weißer Rauch

„Ausgerechnet jetzt“ überschrieb die Wochenzeitung „Die Zeit“ ihren Abschiedsbeitrag über Joachim Gauck, um auf einer ganzen Seite immer wieder zu betonen, dass es einen ungünstigeren Zeitpunkt für einen Wechsel im Amt des Bundespräsidenten nicht gebe. Man kann, bei allem Respekt vor der Leistung Gaucks, der aus persönlichen Gründen auf eine zweite Amtszeit verzichtet hat, diese Überschrift für die Aufgabe des neuen deutschen Staatsoberhauptes nehmen: Ausgerechnet jetzt zieht Frank Walter Steinmeier ins Schloss Bellevue ein, ein ehemaliger Bundesbeamter aus dem westfälischen Brakelsiek im Kreis Lippe, der an der Seite von Gerhard Schröder aufstieg, als Kanzlerkandidat der SPD gescheitert war, dann zweimal Außenminister in einer großen Koalition unter Angela Merkel dem Land diente. Und der, ehe er jetzt mit großer Mehrheit zum Bundespräsidenten gewählt wurde, der beliebteste deutsche Politiker war. Oder etwas anders formuliert: Gerade jetzt Frank Walter Steinmeier.

Der dritte SPD-Mann als Präsident

Er ist erst der dritte SPD-Mann, der Bundespräsident wird: 1969 wurde Gustav Heinemann mit den Stimmen der SPD und der FDP Staatsoberhaupt. Das war eine sehr knappe Wahl, die der Essener Politiker schließlich im dritten Wahlgang für sich entschied. Heinemann selber hat seine Wahl später als eine Art Machtwechsel bezeichnet, was sie auch war. Wenige Monate später wurde Willy Brandt Bundeskanzler einer sozialliberalen Koalition. Johannes Rau, der einstige Ministerpräsident von NRW, musste bis 1999 warten, ehe er ins Schloss Bellevue als Bundespräsident vor allem mit den Stimmen von SPD und den Grünen einziehen konnte. Rau hatte es schon 1994 versucht, unterlag aber Roman Herzog, dem CDU-Kandidaten.

Vielleicht ein Signal für eine Ampel

Stichwort Machtwechsel. Auch dieses Mal wird zumindest hinter vorgehaltener Hand darüber spekuliert. Steinmeier wurde von Wahlfrauen und –männern der SPD, der Union, den Grünen und der FDP gewählt. Dass seine Wahl kein Signal für ein rot-rot-grünes Bündnis in Berlin ist, wird ihn nicht grämen. Die Linke hat ja einen eigenen Kandidaten aufgestellt und eine Mitwahl von Steinmeier auch deshalb abgelehnt, weil er ja der Architekt der von den Linken heftig bekämpften Agenda 2010 ist. Aber eine mögliche Ampel könnte die Wahl des neuen Bundespräsidenten auslösen. FDP-Chef Christian Lindner hat lange vor der Wahl die Sympathie der Liberalen pro Steinmeier bekundet. Aber für eine Koalition auf Bundesebene muss die FDP zunächst den Sprung in den nächsten Bundestag im September schaffen und natürlich müssen die nötigen Stimmen zusammenkommen. Lindners Verhältnis zu Angela Merkel gilt als ziemlich unterkühlt, er hat auch wegen der Flüchtlingspolitik die Kanzlerin mehrfach heftig kritisiert.

Ausgerechnet jetzt. Das passt ganz gut zu dem Mann, der Politik von der Pike auf gelernt hat, der Entwürfe geschrieben und Gesetze mit gestaltet hat, der die Welt und alle Führer in welchem Land auch immer kennt und den alle die kennen, die auf dem Erdball was zu sagen haben. Der die Krisen dieser Welt kennt wie kaum ein anderer, gleich, ob man von der Ukraine redet, von Putin, der Krim, von Syrien, von der Atomgefahr durch den Iran, der Amerika kennt, der wegen des Nahost-Konflikts immer wieder nach Israel geflogen ist, mit den Palästinensern geredet hat, der Afrika bereiste und und und. Ausgerechnet jetzt? Gegenfrage: Wer denn sonst?! Der Mann kann, wie es neudeutsch heißt, Politik, der kennt sie aus dem Effeff, der ist ein erfahrener Diplomat und Krisenmanager. Als solcher wird er gebraucht. Gerade jetzt.

Der Westfale ist geerdet

Wer den SPD-Politiker je erlebt hat, in der niedersächsischen Staatskanzlei unter dem Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, oder später als Chef des Kanzleramtes unter eben dem Kanzler Schröder, dessen Vertrauter er auch war, der hat immer einen kompetenten Zeitgenossen erlebt, den man nicht überraschen konnte mit Fragen zur Sache. Schröder lobte seinen Steinmeier früh als „Mister Effizient“. Weil der keiner der Schaumschläger war, der Typen, die das Rampenlicht wählen, um sich selber ins rechte Licht zu stellen. Darüber hat der Mann aus Westfalen, dessen Vater Tischler und die Mutter eine aus Breslau vertriebene Fabrikarbeiterin war, eher gelächelt. Der Westfale, der heute in Berlin lebt, ist immer noch ziemlich geerdet. Es passt zu ihm und seiner Persönlichkeit, wie er vor einigen Jahren wegen der Erkrankung seiner Ehefrau Elke Büdenbender, einer Verwaltungsrichterin, kurz ankündigte, sich für einige Wochen aus der Politik zurückzuziehen. Am Tag drauf wurde ihm eine Niere entnommen und seiner Frau transplantiert.

Als Gabriel Merkel düpierte

Die Wahl des Sozialdemokraten Steinmeier in einer Bundesversammlung, in der die Union die bei weitem stärkste Gruppe darstellt, war vor Wochen noch eine Sensation. Angela Merkel war es nicht gelungen, einen eigenen Kandidaten für eine solche Kandidatur zu gewinnen. Vielleicht hatte sie über die Jahre zu viele CDU-Freunde mit ihrer Art der Politik verärgert, weil sie das Programm der Partei Punkt für Punkt ins Archiv der Geschichte befördert und vor allem grün-rote Politik gemacht hatte. Und so geschah es, dass nicht mal ein Grüner wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann, ein Bewunderer von Merkel, für eine solche Kandidatur zu bewegen war, weil er wegen des Widerstands der CSU nicht die nötige Mehrheit bekommen hätte. Sigmar Gabriel landete dann den Coup, indem er zu einem für Merkel ungünstigen Zeitpunkt mit der Nennung des Kandidaten Steinmeier vorpreschte und die Kanzlerin schachmatt setzte. Sie musste passen und so wurde Steinmeier der Präsidenten-Kandidat der Großen Koalition. Konservative Medien wie die FAZ sprachen von einem Armutszeugnis der CDU-Chefin, der Ärger ist noch nicht verraucht. Der Jubel der SPD ist verständlich, zumal sich die Stimmung in Deutschland zugunsten der SPD völlig verändert hat, weil die Partei mit Martin Schulz offensichtlich einen neuen Hoffnungsträger gefunden hat, der sie aus dem Tal der Tränen herausführt.

Aus Krieg Frieden, aus Teilung Versöhnung

Vergleiche hinken, aber an dieser Stelle sei es erlaubt, noch mal Gauck zu zitieren, um auf seinen Nachfolger zu verweisen. Die liberale Demokratie und das Projekt des Westens stehen unter Beschuss, hatte Gauck in seiner letzten Rede als Bundespräsident gesagt. Ob er das ähnlich sieht, wird man vielleicht später erfahren. Bekannt sind Äußerungen Steinmeiers auf Fragen von Bürgern, ob man Angst haben müsse um die Zukunft Deutschlands. In Krisenzeiten eine berechtigte Frage, zumal niemand den Schlüssel hat für die Lösung der Flüchtlingskrise, die ja nicht erledigt ist. Steinmeier hat dem Mann geantwortet(s. Zeit online), er wisse als Außenminister, wie bewundernd der Blick anderer Länder auf Deutschland sei. Deutschlands Geschichte stehe dafür, dass aus Krieg Frieden werde und aus Teilung Versöhnung. Darauf könne man stolz sein und daraus Zuversicht ziehen.

Mutmacher gegen Ängste

An anderer Stelle hat er davon gesprochen, er wolle eine Art Mutmacher sein gegen die Ängste, die die Basis sind für populistische Bewegungen. Er kennt seine Deutschen und deren Verunsicherung, gerade in diesen stürmischen Zeiten, wo sich die Älteren Sorgen um die Zukunft der eigenen Kinder machen. Da will er mithelfen, das Vertrauen in die Repräsentanten der Demokratie wieder zu stärken, er will eintreten für eine Streitkultur über parteipolitische und soziale Grenzen hinweg. Steinmeier ist zwar seit Jahrzehnten SPD-Mitglied, aber er hat nie in so engen Parteigrenzen gedacht, die zivile Gesellschaft liegt ihm am Herzen, die Versöhnung einer Gesellschaft, die auseinanderzubrechen droht. Versöhnen statt spalten, hatte das einer seiner Amtsvorgänger, Johannes Rau, einst ausgedrückt, auch ein Sozialdemokrat. Etwas härter hatte es sich angehört, was Steinmeier kürzlich der Bild-Zeitung auf eine entsprechende Frage gesagt hatte: Populistische Strömungen in Deutschland gehörten verurteilt: Hetze gegen Fremde, Nationalismus: „Mein Appell: Wehret den Anfängen!“

Nichts ist unumkehrbar

Steinmeier kennt die Sorgen, die Probleme, aber er ist gegen Alarmismus, wie er es gerade in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ formuliert hat. „America first bedeutet hoffentlich nicht, dass sich die USA aus ihrer internationalen Verantwortung zurückziehen werden. Ich hoffe, dass bei Trump und seinem Umfeld die Einsicht wächst, dass auch ein großes Land, die USA, Partner und Freunde in der Welt braucht.“ Aber natürlich weiß er um die Veränderungen auch in Europa, um die Ansteckungsmöglichkeiten wegen des Brexit, des um sich greifenden Nationalismus. „Wir spüren, dass nichts unumkehrbar ist und Frieden auch in Europa immer wieder neu begründet und gewonnen werden muss.“

Republik braucht Akzente

Die öffentliche Rede ist ein Instrument der Macht eines jeden Bundespräsidenten. Steinmeier wird das nutzen, auf seine Art. Dazu ist er zu sehr auch Machtmensch geworden in all den Jahren. Er kann und wird sich mehr einmischen in die Politik als seine Amtsvorgänger, ohne den handelnden Personen in Berlin ins Gehege zu kommen. Dass er ein unbequemer Präsident wird, darf man hoffen. Das Amt verträgt, so hat es der Berliner Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan Casdorff ausgedrückt, eigene politische Köpfe. Der dienende Bundespräsident Frank Walter Steinmeier wird die Grenzen des Amtes auszuloten haben, um Akzente zu setzen. Die Republik braucht das.

Bildquelle: Myrabella / Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

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Tags: BundespräsidentBundespräsidentenwahlBundesversammlungDemokratieFrank-Walter SteinmeierVersöhnen
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