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Legal, aber auch legitim? Der Partei-Wechsel einer Grünen. Elke Twesten verlässt die Partei, weil die sie nicht als Kandidatin nominierte – Regierungskrise in Hannover

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
5. August 2017
Der Riß

Das Mandat ist frei und der Abgeordnete nicht an Weisungen gebunden. Also ist das Verhalten der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten(54), die Grünen zu verlassen und zur CDU überzutreten, legal. Aber ist ein solcher Wechsel auch legitim, also anständig? Schließlich hat Frau Twesten selber durch ihre Begründung Zweifel gesät. Sie tritt bei den Grünen aus, weil die Mitglieder ihrer „alten“ Partei sie nicht mehr als Kandidatin für den Wahlkreis nominiert hatten. Also der Karriere wegen geht sie weg von den Grünen und hin zur CDU. Und löst damit eine Regierungskrise in Niedersachsen aus.

Der amtierende Ministerpräsident Stephan Weil(SPD), der bisher mit einer Stimme Mehrheit regiert hat und dies ohne große Probleme, steht jetzt einer Minderheitsregierung vor. Die Opposition aus CDU und FDP hat mit dem Mandat von Frau Twesten eine Stimme Mehrheit. Das bedeutet, CDU und FDP könnten die rot-grüne Regierung durch ein Misstrauensvotum stürzen, dann wäre es schnell vorbei mit der Regierung Weil und Niedersachsen hätte einen neuen Ministerpräsidenten, den CDU-Landeschef von Niedersachsen, Bernd Althusmann, gestützt auf die Stimmen von CDU und FDP und die der einstigen Grünen, Elke Twesten.

Das Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt

Da werden Bedenken laut, weil mancher sich an den Sturz der Regierung Helmut Schmidt 1982 erinnert, daran, wie die FDP die Seiten wechselte und Helmut Kohl zum Kanzler machte. Die Liberalen gerieten dadurch in eine schwere Krise, einige ihrer prominenten Vertreter verließen die Partei. Die FDP mit Hans-Dietrich Genscher brauchte Jahre, um das verlorene Vertrauen wieder zu gewinnen. Einen solchen Start wünscht sich eine neue Regierung unter Führung der CDU wohl kaum, zumal sie nur ein paar Wochen Geduld braucht, um dann bei einer vorgezogenen Neuwahl die nötigen Stimmen für eine Neubildung einer Regierung zu erringen.

Stephan Weil lehnt einen sofortigen Rücktritt ab, er werde einer solchen Intrige, die er hinter dem Verhalten von Frau Twesten vermutet, nicht weichen. Dem Wählerwillen werde er sich stellen, sagte er und kündigte Neuwahlen an, die SPD in Niedersachsen hat sich seinem Wunsch angeschlossen. Sollte die CDU dieser Meinung  folgen, würde sich der Landtag auflösen und die vorgezogenen Neuwahlen könnten schon am 24. September, dem Tag der Bundestagswahl, stattfinden. Favorit ist hier die CDU.  Folgt man Umfragen, liegt die Union im Norden mit 14 Prozentpunkten vor den Sozialdemokraten. Es würde weder für Rot-Grün noch für eine Ampel reichen. Weil muss also mit seiner Abwahl rechnen. Die reguläre Neuwahl des Landtags sollte am 14. Januar 2018 erfolgen.

Die Ex-Grüne muss Vorwürfe abwehren

Elke Twesten  wehrt sich inzwischen gegen Vorwürfe aus den Reihen der SPD und den Grünen. Sie sei keine Verräterin. „Ich fühle mich sehr gut“, betonte sie. Ein Geschmäckle hat ihr Verhalten in jedem Fall. Dass sie die Zustimmung der Grünen verloren habe, führt sie darauf zurück, dass sie eine Vorliebe für ein schwarz-grünes Bündnis geäußert habe. Das hätte dann etwas zu tun mit verletzter Eitelkeit. Zusagen von der CDU hat sie laut Althusmann keine. Man habe ihr keinerlei Zusagen gemacht. Frau Twesten hofft aber offensichtlich auf eine Fortsetzung ihrer politischen Karriere, wenn nicht im Landtag, dann im Bundestag oder im Europa-Parlament. Die Grünen haben sie aufgefordert, ihr Mandat an die Partei zurückzugeben. Frau Twesten ist über die Landesliste in den niedersächsischen Landtag gerückt. Martin Schulz hat ihr vorgeworfen, sie begehe Verrat an den  Wählern, manche Stimme in der SPD bezeichnete das Verhalten der Grünen schlicht als politisch unanständig.

Für die SPD im Bund und auch für Stephan Weil kommt der Wechsel der Grünen zu einer denkbar ungünstigen Zeit. Weil hat seit Wochen genug zu tun mit VW und dem Diesel-Skandal. Auch der letzte Diesel-Gipfel in Berlin brachte keine Ergebnisse, die die Gemüter beruhigt hätten. Die Schummelei beim Diesel, von anderen auch als Betrug gewertet, setzt dem Ruf des Wolfsburger Unternehmens mächtig zu. Drohende Fahrverbote für zumindest ältere Diesel in Städten sind nicht vom Tisch, nicht nur Umweltverbände schlagen wegen der Verpestung der Luft durch Stickoxide Alarm. Und jetzt noch die Regierungskrise, die auch das Ende der politischen Karriere von Stephan Weil bedeuten könnte. Das Thema setzt auch Martin Schulz, dem Kanzlerkandidaten der Partei, zu. Drei Landtagswahlen wurden in diesem Jahr verloren, sie sollten eigentlich Vorlagen für seinen Bundestagswahlkampf werden, aber sowohl im  Saarland, wie in Schleswig-Holstein und in NRW siegten die „Schwarzen“.

Als Alfred Kubel den Stab weitergehen wollte..

Der ältere Zeitgenosse fühlt sich beim Thema Niedersachsen und Regierungskrise an Vorgänge in der Vergangenheit erinnert. Wer kennt noch den Namen Alfred Kubel? Der SPD-Politiker war Ministerpräsident von Niedersachsen von 1970 bis 1976. Mit dem Koalitionspartner FDP hatte man einen Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten verabredet, aus Altersgründen wollte Kubel nicht mehr. Während der Legislaturperiode sollte Finanzminister Kasimier als Nachfolger Kubels gewählt werden, aber der schaffte in zwei Wahlgängen keine Mehrheit, auch der herbeigerufene Bundes-Wohnungsbauminister Karl Ravens scheiterte und gewählt wurde am 2. Februar 1976 Ernst Albrecht. Übrigens hieß der Gegenspieler Kubels Wilfried Hasselmann.

Albrecht blieb 14 Jahre im Amt. Zwischendurch wäre er fast Kanzlerkandidat der Union geworden, doch nach Protesten der CSU überließ CDU-Chef Kohl  Franz Josef Strauß diese Aufgabe,  der aber die Wahl 1980 gegen Helmut Schmidt und die FDP verlor. Erst im  Mai 1990 wurde Gerhard Schröder mit den Stimmen der SPD und den Grünen Ministerpräsident und damit Nachfolger von Albrecht. Sein Nachfolger Glogowski blieb nur 13 Monate im Amt, er stürzte, weil seine Hochzeitsfeier zum Teil „fremd-finanziert“ worden war.

Niedersachsen und die SPD

Niedersachsen und die SPD, man könnte hier auch den ersten Ministerpräsidenten nach dem Krieg, Hinrich Wilhelm Kopf, erwähnen, das ist schon eine lange Geschichte. Und der Einfluss der niedersächsischen SPD auf die Bundespartei ist enorm. Neben Sigmar Gabriel, dem einstigen Parteichef und jetzigen Außenminister und Vizekanzler,  sei noch Fraktionschef Oppermann erwähnt, der ebenso Niedersachse ist wie Generalsekretär Hubertus Heil. Und nicht zu vergessen Bundespräsident Frank-Walter  Steinmeier. Wenn Niedersachsen für die SPD verlorenginge, das wäre mehr als ein Betriebsunfall.

Bildquelle: pixabay, User PublicDomainPictures, Pixabay-Lizenz

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Tags: GrüneLandtagListenmandatMandatNiedersachsenParteiübertrittRegierungskriserot-grünTwesten
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