Friedenstaube

Corona-Krise: Vernunft statt Kriegsrhetorik

Wie war das, als meine Kinder klein waren und die Fern- Kommunikation über ein fest installiertes Telefon lief, das Hämmern des Kugelkopfs tägliche Begleitmusik war und die in den neunziger Jahren allmählich eingesetzten  PC lediglich zum Schreiben und Übermitteln von Texten zu nutzen waren, als die Kindergärten um acht morgens öffneten und mittags spätestens um eins zumachten, kein SUV den Zebrastreifen blockierte und als Alten- und Pflegeheime selten waren. Das war die Zeit, als es Ärger mit der Kindergärtnerin gab, wenn Tochter oder Sohn zu spät gebracht wurden („nächstes Mal bleibt die Tür zu!“). Nix mit Mittagessen im Kindergarten; nix mit Home Office. Die Kinder aßen daheim, Essen musste vorbereitet werden, da in den meisten Haushalten der Geschirrspüler fehlte, schloss die Mittagszeit mit Spülen. Essen auf Rädern bzw. der „rollende Mittagstisch“ der DDR für Alte und Kranke setzten sich erst allmählich durch. Alles in Allem: Eine Pandemie wie die durch covid 19 ausgelöste hätten die Gesellschaften damals nicht überstanden.  Zwischen dem damals und heute liegt eine Generation, liegen also gut 30 Jahre, mehr nicht.

Ich schreibe das nicht, um eine „gute alte Zeit“ herauf zu beschwören; diese Zeit war nicht gut. Jedenfalls in ihrer sozialen Qualität überhaupt nicht mit der heutigen zu vergleichen. Ich schreibe das, weil mir einige Aspekte und Erscheinungsweisen der heutigen Corona- Diskussion richtig gegen den Strich gehen.

Das fängt mit einem Tagesspiegel– Text der Anna Sauerbrey an, die der Chefredaktion angehört. Sie meinte, mit Blick auf die fehlende oder unzureichende digitale Ausrüstung der Kinder und Schulen fordern zu müssen: „Packt für die Kleinen die Bazooka aus.“ Die Bazooka ist eine Waffe. Sie zerstört und tötet. Der Name stammt vom Komiker Bob Burns, der mit einem Musikinstrument auftrat, welches er Bazooka nannte und welches Abschussvorrichtungen ähnelte. Frau Sauerbrey weiß auch sofort, wer die „Bazooka“ bezahlen könnte: Der oder die Alten im Westen mit 1000 € Rente, die ab dem 1. Juli 2020 eine Erhöhung der Altersbezüge um 3,45 v.H. erhalten werden.

Eine über das ganze Jahr laufende Erhöhung um  3,45 v.H. erbringe 414 €, hat die Journalistin errechnet. Für diese 414 € könne man ja dann beispielsweise „einem Kind in  Marzahn ein iPad kaufen“.  Warum eigentlich immer in Marzahn? Warum nicht in Gelsenkirchen? Sind in Marzahn die Kinder so arm, dass sie keine Tablets bekommen können? Die gibt es schon für wesentlich weniger als 400 €. Im Text stecken bürgerliche Vor- und Fehlurteile. Mal ganz davon abgesehen, dass die Rechnung falsch ist, denn von den 414 € stünden bestenfalls um die 370 € zur Verfügung – nach Abzug der Erhöhungen des Krankenversicherungs-Beitrags der Rentner 2020 und 2021.

Mir geht es auch völlig wider den Strich, dass in den diversen Rettungspaketen die Sicherung von Leistungen  für geistig behinderte Menschen mühsam durchgesetzt werden muss. Ohne Protest und Erinnern und Nachfassen geht da nichts. Einen fünfstelligen Zuschuss vor dem Komma ohne langen Vorlauf gibt es da nicht. Wie ist das möglich?

Ein Beispiel – aus einem Papier der Lebenshilfe: „Unbeantwortet vom Gesundheitsministerium blieb jedoch bislang die Forderung der Lebenshilfe, dass Frühförderstellen für Kinder mit Beeinträchtigung, die ihre Leistungen derzeit nicht anbieten dürfen, auch von der gesetzlichen Krankenversicherung Ausgleichszahlungen erhalten, um langfristig ihre Existenz zu sichern.“ In der Süddeutschen Zeitung ist zum Thema ein sehr guter Text erschienen: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/coronavirus-muenchen-betreung-behinderung-kinder-1.4878488

Jetzt hat Arbeitsminister Heil, dem dies absolut nicht passte, das Heft in die Hand genommen und diese Leistung gesichert. Es geht also. Die Eltern der geistig eingeschränkten Kinder merken sich so etwas gut.

Mir geht auch das Hin und Her der Statistiker und anderer über die Auslegung verschiedener Kurven zum Thema auf den Geist. Und zwar wie. Unter großem Zeitaufwand und einer jenseits der Peinlichkeitsgrenze liegenden Entscheidungsfindung wird nun ein App- System etabliert, das hilft, Infektionswege zu erkennen und zu warnen – und was passiert: ein Bonner Ex- Chefarzt, Sprecher der Krankenhaus- Hygieniker bezweifelt, ob das was bringt: „…keine wirkliche Hilfestellung…“. Wenn alle Abstand hielten und Mundschutz trügen, werde die App nur die „unkritische Nähe zu geschützten Personen“ erkennen. Dazu passt, was am Montag in der Frankfurter Rundschau zu lesen war, ein Dialog vom Wochenende zwischen Polizist und Normalbürger: „Ich habe das Recht, draußen zu sein. Wir sind doch keine Tiere“, sagt der junge Mann. Der Polizist fragt: „Sehen Sie keine Nachrichten?“ Er: „Nein, der Mainstream interessiert mich nicht.“

Ich bin heilfroh, in einem Land zu leben, in dem die Wege zum Hausarzt kurz sind, Krankenhäuser gut ausgestattet, Virendiagnostik  sehr leistungsfähig und sowohl Exekutive als auch Legislative (also das, was die hochbezahlten Kommunikatoren „die Politik“ nennen) zuhören, wenn Virologen und Lungenfachärzte und Epidemiologen  berichten oder raten.  Wie wir alle wissen, ist das keine Selbstverständlichkeit. Und ich lasse mir mein Vertrauen nicht durch Monika Marohn kaputtreden. Es ist peinlich und sicherlich daneben, die Schriftstellerin aus ihrem Schreibdomizil zu vertreiben. Aber das war eben keine Entscheidung eines Politbüros, sondern bürokratisches Überborden. Das ist ein gewaltiger Unterschied.

Erwarten kann ich, dass alle prominent aufgemachten Experten sich einige simple Dinge überlegen, bevor sie in ein heute plastikummanteltes Mikro sprechen oder zur Feder greifen:

  1. Sind meine Aussagen geeignet, vorhandene Unsicherheiten befördern, Unverständnis auszulösen oder Ängste vergrößern? Das kann sich jeder selbst fragen.
  2. Leisten meine Aussagen, dass die Diskussion in der Öffentlichkeit voran kommt, größere Klarheit schafft? Ja oder nein?
  3. Reicht es nicht, wenn ich in der Fachöffentlichkeit publiziere, meine Auffassungen kundtue?
  4. Wenn Mensch zum Schluss kommt: Ja, meine Auffassungen sind wichtig für Verstehen eines Problems, dann muss er sich schon Gedanken über das „Transportmittel“ machen. Das heißt: Er hat sich zu fragen: Bin ich sicher vor unzulässiger Zuspitzung und Verschärfung, die ich nicht will?
  5. Und sollte Mensch zum Schluss kommen: Ne, all das kann ich nicht ausschließen, dann lässt er das eben.

Das Schlimmste, was ihm dann passieren kann; ist: Er muss seiner Frau sagen: Else, ich bin morgen doch nicht in der Zeitung.

Bildquelle: Pixabay, Anja🤗#helpinghands#stayathome #solidarity#stays healthy🙏, Pixabay License

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Über  

Redakteur 1972 und bis 89 in wechselnden Redakteursaufgaben. 90 bis 99 wiss. Mitarbeiter der SPD-Bundestagsfraktion, Büroleiter Dreßler, 2000 Sprecher Bundesarbeitsministerium, dann des Bundesgesundheitsministeriums, stellv. Regierungssprecher; heute: Publizist, Krimiautor, Lese-Pate.


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