Kommunalwahlen

Demokratie muss auch in der Krise funktionieren

Die Ungewissheiten über die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen dauern an. Der Zeitdruck auf Parteien und Kandidaten wächst. Wichtige Fristen rücken näher, und die Wahlbehörden sind verunsichert, wie in Zeiten der Corona-Krise die Wahlen hinreichend fair durchzuführen sind.

Eine Verschiebung des Wahltermins am 13. September 2020 lehnt der Fachverband „Mehr Demokratie“ entschieden ab. Stattdessen empfiehlt er eine Reihe von Maßnahmen, die eine Durchführung der Wahl trotz der erschwerten Rahmenbedingungen ermöglichen. Ein juristisches Nachspiel werden die Wahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland wohl dennoch haben. Wie auch immer der Weg letztlich aussieht – „es wird Klagen geben, da sind wir uns ganz sicher“, sagt Mehr-Demokratie-Geschäftsführer Alexander Trennheuser.

Gegen eine Verschiebung der Wahl wendet Trennheuser verfassungsrechtliche Bedenken ein, die er auch bei einer reinen Briefwahl sieht. „Wir müssen alles dafür tun, dass die Wahl am 13. September stattfinden kann“, fordert er und meint zuallererst die nordrhein-westfälische Landesregierung. Die müsse „unverzüglich“ handeln.

„Kommunalwahl ist kein Termin, sondern ein monatelanger demokratischer Prozess“, sagt Trennheuser. Und die erste Phase dieses Prozesses habe bereits begonnen. Im „Vorwahlkampf“ bestimmen die Parteien ihre Kandidatinnen und Kandidaten. Bis zum 16. Juli müssen sie ihre Wahlvorschläge einreichen. Aufstellungsveranstaltungen sind aktuell unter strengen Hygienevorgaben wieder erlaubt. Dafür sollen entsprechend große Räume kostenlos zur Verfügung gestellt werden, fordert Mehr Demokratie.

Die Unterschriften, die kleinere Wählergemeinschaften sammeln müssen, um überhaupt zur Wahl antreten zu können, hält der Verein für verzichtbar. Die erforderliche Anzahl solle gesenkt, auch digital eingeholt oder – nach dem Beispiel von Schleswig-Holstein – ganz abgeschafft werden. „Die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben müssen unverzüglich geschaffen werden“, drängt Mehr Demokratie und fordert zusätzlich eine staatliche Parteienfinanzierung.

Für Kommunalwahlen sieht das Gesetz in NRW keine Wahlkampfkostenerstattung vor. Da aber aufgrund der Corona-bedingten Einschränkungen auch keine Spenden gesammelt werden könnten, solle der Gesetzgeber die Möglichkeit schaffen, „dass die Parteien und Wählergemeinschaften auf Antrag Unterstützungsgelder vom Land erhalten können“. Auf 4000 bis 5000 Euro beziffert Trennheuser den „kleinen finanziellen Zuschuss“, der ihm vorschwebt, damit ein Wahlkampf in Gang kommen kann.

Von den Städten erwartet er großzügige praktische Unterstützung. Veranstaltungen müssten weitgehend ermöglicht werden. Nach dem Vorschlag von Mehr Demokratie helfen die Kommunen Räume zu finden, in denen die Hygienevorschriften eingehalten werden können. Darüber hinaus müsse es klare Richtlinien dafür geben, welche Wahlkampfmaßnahmen unter welchen Bedingungen möglich sind, und unter welchen Bedingungen Risikogruppen erreicht werden können.

Ein weiterer Eckpunkt in dem Konzept zur Wahl ist das Abstimmungsheft. Jede Stadt solle eine solche Broschüre, in der sich die Parteien mit ihren wesentlichen Forderungen vorstellen können, drucken und an alle Haushalte schicken, so dass alle Wählerinnen und Wähler eine „Basisinformation“ über die Kandidaturen erhalte. Zusätzlich solle das Land NRW eine Kooperation mit Abgeordnetenwatch oder ähnlichen Plattformen im Internet abschließen, so dass Informationen über Kandidierende auch online erhältlich sind. Die Wahl im Wahllokal soll – unter Beachtung der Hygienevorschriften in möglichst großen Räumen – möglich bleiben, aber deutlich verringert werden. Die Städte sollen verstärkt auf die Möglichkeit der Vorab-Wahl im Rathaus hinweisen und Briefwahlunterlagen automatisch mit der Wahlbenachrichtigung an alle Wahlberechtigten verschicken.

„Will man die Corona-Folgen durch die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen abmildern, so wird dies einiges kosten“, räumt Trennheuser auf Nachfrage ein. Und er sagt: „Die Mehrkosten muss nach unserer Auffassung das Land übernehmen.“ Das werde „schmerzlich“, dürfe sich daran aber nicht entscheiden. Das Land habe zur Abmilderung anderer Corona-Folgen ein Paket von 25 Milliarden Euro geschnürt. „Da wäre es höchst unangemessen, nun ausgerechnet beim zentralen Akt der demokratischen Willensbildung auf kommunaler Ebene zu sparen.“

Über den finanziellen Aufwand hinaus bedeuten die Maßnahmen einen personellen Kraftakt und das, während die Rathäuser ohnehin am Limit arbeiten. Auch da sieht Trennheuser das Land in der Pflicht: „Die automatische Verschickung von Briefwahlunterlagen oder die Erstellung einer Wahlbroschüre bindet natürlich finanzielle und personelle Kapazitäten. Wenn Kommunen hier Hilfe brauchen, dann braucht es dazu die klare Ansage vom Land, dass hier finanzielle und personelle Hilfe möglich ist.“

Die Durchführung der Wahl werde alle „vor eine riesige Aufgabe stellen“. Das sollte der Innenminister klar sagen und auch deutlich machen, dass die Mitwirkung der Bürger gefragt sei. Je schneller die Modalitäten, z. B.. die Hygiene-Vorkehrungen geklärt seien, umso besser werde es auch gelingen, Wahlhelfer zu akquirieren.

Eine Verschiebung der Wahl löse jedenfalls in den Augen von Mehr Demokratie das Problem nicht, sondern könne es unter Umständen sogar deutlich verschärfen. Niemand könne die Entwicklung der Corona-Epidemie vorhersehen und garantieren, dass der Wahlverlauf zu einem späteren Zeitpunkt geordnet stattfinden könne. Trennheuser: „Auch in Krisenzeiten muss Demokratie funktionieren.“

Mehr Demokratie empfiehlt, den Wahlprozess durch ein beratendes überparteiliches Gremium begleiten zu lassen. Zu festgelegten Zeiten soll dieses evaluieren, ob es für alle Beteiligten faire Bedingungen gibt. Dieses Gremium soll als beratender Beirat Empfehlungen an die Landesregierung aussprechen, aufgrund derer Innenministerium, Kommunalministerium und der Landtag Entscheidungen mit Bezug auf die Wahl treffen können.

Corona stelle die Wahlbehörden vor große Herausforderungen. Der Umgang damit in NRW könne „Vorbild für andere Bundesländer sowie die kommende Bundestagswahl sein“. Im Frühjahr 2021 stehen in vielen Bundesländern Wahlen an. Diese Länder könnten, sollte sich die Lage nicht wieder normalisiert haben, auf die Erfahrungen aus NRW zurückgreifen.

Bildquelle: Pixabay, Bild von pics_kartub, Pixabay License

Teilen Sie diesen Artikel:
Keine wichtigen Nachrichten mehr verpassen!


Über  

Die promovierte Medienwissenschaftlerin arbeitete mehr als 20 Jahre in der Politikredaktion der Westfälischen Rundschau. Recherchereisen führten sie u. a. nach Ghana, Benin, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, China, Ukraine, Belarus, Israel und in das Westjordanland. Sie berichtete über Gipfeltreffen des Europäischen Rates, Parteitage, EKD-Synoden, Kirchentage und Kongresse. Parallel nahm sie Lehraufträge am Institut für Journalistik der TU Dortmund sowie am Erich-Brost-Institut für Internationalen Journalismus in Dortmund wahr. Derzeit arbeitet sie als freie Journalistin.


'Demokratie muss auch in der Krise funktionieren' hat einen Kommentar

  1. 26. Mai 2020 @ 12:38 Anne

    Da aber aufgrund der Corona-bedingten Einschränkungen auch keine Spenden gesammelt werden könnten, solle der Gesetzgeber die Möglichkeit schaffen, „dass die Parteien und Wählergemeinschaften auf Antrag Unterstützungsgelder vom Land erhalten können“.
    Ich frage mich, warum es in Zeiten von Corona nicht möglich ist, Spenden einzusammeln? Ist da eine face-to-face Begegnung nötig?

    Antworten


Möchten Sie Ihre Gedanken teilen?

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht