Endlich erkannt! Selbst Polizei oder Justiz mag nicht mehr von bedauerlichen Einzelfällen reden. Der Terror von Rechts scheint also auch in den Sicherheitsbehörden endlich ernst genommen zu werden. Die Justizministerin will das Waffenrecht verschärfen, nach dem Mord in Kassel und dem Überfall auf die Synagoge in Halle soll nun auch das Netz, als Verteiler von Hass- und Gewaltmails, nicht länger ein rechtsfreier Raum bleiben.
30 Jahre gingen ins Land seit Fall der Mauer, und in der Folge sind mehr als 150 Tote, Opfer rechter Gewalt in Ost und West gezählt worden. Seit die Kanzlerin den Angehörigen der Opfer der Serienmorde des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) restlose Aufklärung versprach, und bis heute das Staatsversagen ungesühnt blieb und Verantwortliche nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnten, woran auch ein mehrjähriger Prozess gegen die angeblich einzig verbleibende Mittäterin nichts änderte.
Es folgten die Aufmärsche von PEGIDA in Dresden und mit ihnen wachsender Rassismus und neu belebter Antisemitismus und zahlreiche Anschläge gegen Unterkünfte von Flüchtlingen, die 2015 nach Deutschland einreisen konnten. Seitdem zeigt sich, dass bis heute das Nationalsozialistische Erbe nicht überwunden und ein neonationalistischer Rückfall sich abzeichnet, als dessen politischer Arm die AfD in alle Landtage und in den Bundestag einzog. Rechter Populismus ist gewiss nicht auf Deutschland beschränkt, aber kein anderes Land hätte so viele Gründe, „Nie wieder“ Faschismus dagegen zu stellen. Wie aber kommt es, dass die SPD dabei kaum hörbar ist?
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sendet SOS. Die weltweite Fluchtbewegung mit mehr als 65 Millionen Flüchtlingen sprengt gegenwärtig die Möglichkeiten der UN, das Elend der davon betroffenen Menschen zu lindern, und darunter Millionen Kindern angemessen helfen zu können.
25 Millionen Flüchtlinge davon sind aktuell außerhalb der Landesgrenzen von Süd nach Nord unterwegs. Von der europäischen Küstenwache Frontex aufgegriffen, werden sie ungerührt in die üblen Flüchtlingslager nach Libyen verfrachtet, während 40 Millionen Menschen (noch) innerhalb ihrer Länder vor Bürgerkriegen oder religiösem Fanatismus Sicherheit suchen oder den Klimawandel spüren, und vor Hunger und Dürre fliehen.
Grenzzäune oder Leugnung der Fakten helfen da nicht weiter wie der Klimareport der UNO ausweist. Wenn sich die Erderwärmung auf mehr als 1,5 Grad aufheizt, ist eine Völkerwanderung zu erwarten in bislang nicht gekannten Ausmaß. Der oberste und mächtigste Klimaleugner US-Präsident Donald Trumps hat nur Spott: Klimawandel sei eine chinesische Erfindung, um den USA zu schaden. Das ist nicht nur ignorant, sondern wirkt eher wie eine Kriegserklärung des Nordens gegen die der Sonne nähere, südlichen Hälfte der Erdkugel, und an die dort lebenden Menschen. Auch hier versäumte es die SPD, die von Trump eingeleitete Zerstörung der westlichen Allianz und ihrer Werte deutlich zurückzuweisen.
Auffallend leise jedenfalls die Kritik aus der SPD an dem von Trump angeführten nationalistischen und egomanischen Rückfall des „America first“, das von rechtsnationalistischen Populisten und auch von der AfD begrüßt wurde. Für den verstorbenen Vordenker der SPD Erhard Eppler war dazu die wichtigste Konsequenz nach dem Fall der Mauer, dass sich im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts die soziale Marktwirtschaft verflüchtigte und sich Marktradikalismus ausbreitete, dessen Botschafter für Eppler der mächtigste Mann und selbstverliebte Egomane ist, den er in seiner letzten Buchveröffentlichung beschreibt: „Trump – und was tun wir?“
Mit der Implosion des Marxismus-Leninismus war 1989 der Kapitalismus als Sieger ausgerufen worden. Es begann die Privatisierung staatlicher Vorsorge und Deregulierung der Märkte, die von staatlicher Kontrolle weitgehend befreit wurden. Das Motto: Märkte regulieren sich selbst und bedürften keiner staatlichen Regulierung führte dann zur Bankenkrise, die ohne staatliche Zuschüsse nicht überlebt hätten. Von Irland über Griechenland, bis Portugal, Spanien einschließlich der EU wären die Banken ohne die Politik nicht zu retten gewesen. Milliardenbeträge wurden als Schutzschirme zur Verfügung gestellt, um zu vermeiden, dass die Bankenkrise zum Zusammenbruch der Weltwirtschaft wie in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts hätte führen können.
In der Folge – und nicht nur wegen der sich verstärkenden sozialen Spaltung der Gesellschaft, hätte man meinen können, dass eine „Ökonomische Theorie“, die sich derart blamiert hat, rasch abgelöst worden wäre. Aber die Bankenkrise wurde der Politik angelastet. Die über den Bankenskandal verschuldeten Staaten haben dafür die Budgets zusammenstrichen, ihr Tafelsilber verscherbelt und Gehälter und Renten, und Arbeitslosenhilfe drastisch gekürzt.
Mit dem angeblichen „Sieg des Kapitalismus“ waren an den allermeisten Lehrstühlen der Ökonomie, einschließlich der Wirtschaftsinstitute mit Professoren und Professorinnen besetzt, die mit Verweis auf die Implosion des kommunistischen Systems, und der Planwirtschaft, es für angezeigt hielten, Bürokratie, Staat und Politik durch den Markt zu ersetzen. Politik wirkte für sie als „Störenfried“ gegen erfolgreiches wirtschaftliches Handeln. Politikverachtung war eine Folge, wie Erhard Eppler konstatiert.
Nicht nur in Südeuropa, auch im vergleichsweise reichen Deutschland gründeten sich gemeinnützige Organisationen wie „Die Arche“ oder „Die Tafeln“, die dafür sorgen, dass die Ärmsten in der Gesellschaft, Alte und Alleinerziehende mit Kindern, täglich wenigstens mit einer warmen Mahlzeit versorgt werden. Im Handel zurückbleibende Lebensmittel werden eingesammelt und gegen einen geringen Preis abgegeben. Würden alle weggeworfenen Lebensmittel, die in Deutschland anfallen, in LKWs laden, dann reichte die Schlange von Berlin bis Kapstadt.
Studien weisen aus, dass zehn Prozent der Gesellschaft in Deutschland über mehr als sechzig Prozent des angesammelten Vermögens verfügen, 40 Prozent verteilen sich auf Banken, Versicherungen und Bezieher mittlerer Einkommen. Hingegen haben 40 Prozent der Arbeitnehmer heute weniger Einkommen als noch Mitte der 90er Jahre. Kein Wunder: Eine Folge, die Mietpreise in den Städten gehen durch die Decke. Allein in Berlin wird die Zahl der Wohnungslosen, die bei Freunden oder Verwandten unterkommen, weil sie die Mieten nicht mehr aufbringen können, auf 30 000 Menschen geschätzt. Obdachlos sind vermutlich 10 000 Menschen in Berlin und etwa 650 000 insgesamt in Deutschland.
Das sind die Fakten, die eigentlich zum Handeln herausfordern sollten. Doch bei keinem der hier benannten Themen hat die SPD eine Themenführerschaft.
Bei noch 12 Prozent Zustimmung in Umfragen für die SPD wäre es also eine gute Vorbereitung, sich um Themenführerschaft und Deutungshoheit zu bemühen. Denn eine vierte Große Koalition wird es entlang der Umfragen für CDU/CSU und SPD nicht geben. Es gilt aber zu verhindern, dass den Botschaftern des schrankenlosen Kapitalismus, an der Spitze der oberste und mächtigste und zugleich dreisteste Leugner der Menschen gemachten Erderwärmung, US-Präsidenten Donald Trump gelingt, die Diskussion über den Klimawandel einzuschränken oder zu verhindern, wie er es in Davos versucht hat.
Es geht um nicht mehr und nicht um weniger darum, den blauen Planeten als Lebensraum der Menschheit retten, und nicht zu glauben, dass die Leugnung der Fakten, dabei helfen könnte. Dazu trägt ausgerechnete die Partei des gegenwärtigen Verkehrsministers Andreas Scheuer bei. Die CSU startet gerade eine Kampagne gegen Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen auf 130 km/h. Das Tempolimit würde, so Scheuer, nicht zu einer Reduzierung der Schadstoffbelastung der Atmosphäre beitragen. Ob bei der SPD dazu mehr als ein donnerndes Schweigen folgt, wird sich zeigen.
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Wir begehen gerade die Erinnerung an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz und seiner Nebenlager durch die Rote Armee. Die letzten lebenden Zeitzeugen melden sich zu Wort und gleichzeitig tobt sich im Netz der Hass aus und wird Sprache zur Waffe, die sich zur Tat fügt.
Ich hatte mich noch einmal für den Bundestag akkreditiert, um drei Monate von September bis Dezember im vorigen Jahr, um vor allem der AfD-Fraktion zuzuhören. Ich kann nur sagen. Vor allem die Debatte nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle; das grenzte an Körperverletzung.
Die Parteispitze der AfD und ihr strukturelle Antisemitismus (Höcke und Gauland) zeigt, welches Erbe da neu aufgelegt wird. Woche für Woche habe ich mir die „Umvolkung“ nicht näher benannter Eliten angehört, deren Ziel es sei, die deutsche Bevölkerung durch die massenhafte Ansiedlung „kulturfremder“ Menschen auszutauschen und aus Deutschland ein „Siedlungsgebiet“ ohne Staatsnation zu machen. So war es von den Nazis schon zu hören und bedient das uralte antisemitische Vorurteil der Strippenzieher. Immer wieder wird dazu auch von der AfD zu deren Personifizierung der Name Georg Soros genannt.
Fraktionschef Gauland dazu in der Debatte zum antisemitischen Anschlag von Halle, „dafür trage nicht die AfD, sondern jene die Verantwortung, die für eine Willkommenskultur stünden. Gauland: „Man kann nüchtern feststellen, dass es seit der Ausrufung der Willkommenskultur 2015 zu einer gewaltigen Radikalisierung und Spaltung der gesamten Gesellschaft gekommen ist.“
Die rassistischen Äußerungen aus der AfD wurden von Sprechern der demokratischen Parteien natürlich zurückgewiesen. Es hätte durchaus deutlicher ausfallen können, zumal das Grundgesetz in Artikel 1 der Verfassung dazu aufruft, die unantastbare Würde des Menschen zu verteidigen. Ausdrücklich gilt dieses Gebot für alle Menschen, gleich welcher Hautfarbe und es fordert zugleich „alle staatliche Gewalt“ dazu auf, die „Unantastbarkeit“ der Würde aller Menschen „zu pflegen und zu schützen“. Die AfD aber will diesen Grundsatz nur für deutsche Staatsbürger gelten lassen. Wie sonst ist der Gauland-Satz zu verstehen: „Für diese Radikalisierung der Gesellschaft haben jene die Ursachen gesetzt, die in einem historisch beispiellosen Akt mehr als 1,5 Millionen unserer Kultur fremder Menschen ins Land gelassen haben“. Das ist eine Zurückweisung der verfassungsmäßigen Ordnung und des freiheitlichen und demokratischen Rechtstaates. Es wird Zeit, auch im Bundestag vor zumeist vollen Besucherbänken, keine solcher Äußerungen mehr zu überhören. Zeit, die Debatte anzunehmen.
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