50 Jahre sind es her, dass Bundeskanzler Willy Brandt nach Moskau flog, um dort mit dem Moskauer Vertrag jene neue Phase der Ostpolitik zu besiegeln, die zur Aussöhnung der beiden Völker beitragen und die Entspannungspolitik in Europa auf die Agenda setzen sollte. Man geht nicht zu weit, wenn man von dort den großen Bogen spannt bis zur deutschen Einheit, zum Fall der Mauer, zum Verschwinden des Eisernen Vorhangs. Grenzen in Europa blieben, aber ohne Stacheldraht und Schießbefehl, man kann heute reisen, wohin man will in diesem Kontinent. Diese Geschichte heute zu erzählen, ist wichtig, da ein kalter Frieden die Atmosphäre zwischen Russland und dem Westen, auch mit Deutschland bestimmt.
Dass mit Heiko Maas wieder mal ein deutscher Außenminister in die russische Metropole flog und auch nach Sankt Petersburg reiste, um sich dort vor den Opfern der Nazi-Gewaltherrschaft zu verneigen, ist der Erinnerung an das historische Wirken des großen deutschen Kanzlers geschuldet. Brandt wollte den Menschen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs helfen, wollte Spannungen abbauen, Vertrauen schaffen zwischen dem Kreml und Bonn. Maas und der russische Außenminister Lawrow beschäftigten sich mit gegenseitigen Schuldvorwürfen. Wieder mal. Also tritt man auf der Stelle, auch wenn Maas anerkannte, dass keine der schwierigen Probleme der Welt ohne Russland zu lösen seien. Weder erreicht man etwas in Syrien noch in Libyen und schon gar nicht in der Ukraine. Russland ist eine Macht, die anerkannt werden will, Wladimir Putin ist der russische Präsident. Ihn zu dämonisieren, hilft weder uns noch den Syrern oder den Menschen in der Ukraine.
Erweiterungs-Orgie der Nato
Es bringt uns nicht weiter, Putin eine revanchistische Politik vorzuhalten. Das imponiert ihm nicht. Ihm zu unterstellen, er wolle möglichst die alte Sowjetunion wieder errichten, wird ihn nicht davon abhalten, Russland so stark wie möglich zu machen, damit es international als Macht
wieder respektiert wird. Dass diese Politik auch und vor allem eine Reaktion war auf die Erweiterungs-Orgie der Nato Richtung Osten, kann nur bestreiten, wer jedweder Realpolitik fern ist. Dass Russland sich die Krim einverleibte, war eine Konsequenz auf eine mögliche Ausdehnung der Nato um 1000 Kilometer bis an die russische Grenze. Die Krim als Teil der Nato musste einen wie Putin reagieren lassen, liegt doch dort die Schwarzmeerflotte der Russen, deren Oberbefehlshaber in Moskau sitzt. Hat das niemand im Westen gesehen? Oder haben uns die Interessen Russlands, die hier mehr als tangiert wurden, gar nicht interessiert? Weil wir-frei nach Obama- es mit Russland nur noch mit einer Regionalmacht zu tun haben, mit der man Schlitten fahren kann?
Heiko Maas hätte das Buch von Horst Teltschik lesen sollen, den einstigen außenpolitischen Berater Helmut Kohls. „Rusisches Roulette“ heißt es. Teltschik beschreibt in dem Buch( das wir vor Jahresfrist im Blog-der-Republik besprochen haben), welche Chancen im Verhältnis zwischen Russland und Deutschland in den letzten Jahren vertan wurden. Nein, er ist kein Putin-Versteher, keiner, der die Fehler des Kreml-Chefs übersieht, der aber genau analysiert, dass der Westen, die „Nato-Staaten sehr viel mehr Grund zur Selbstkritik hätten, als sie im Moment zugestehen wollen.“ Man solle Russlands Aggression der letzten Jahre weder gutheißen noch verteidigen, doch die gegenwärtige Konfrontationspolitik der Nato müsste dringend durch Kompromissbereitschaft und Verhandlungsangebote ergänzt werden, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, vom kalten Krieg in einen heißen Konflikt zu schlittern.“ Schreibt Teltschik, ein unverdächtiger Zeitgenosse, der keinen Beratervertrag hat, weder mit Berlin noch mit Moskau. Er erinnert an Worte Gorbatschows: „Was hätten wir gemeinsam erreichen können?“ Wenn, ja wenn wir auch die Interessen Russlands mitbedacht hätten. Lieber haben wir Moskau dämonisiert, das Schreckgespenst des vor den Grenzen stehenden und nur auf seine Chance lauernden Russen an die Wand gemalt.
Erinnerung an Blockade von Leningrad
Das Treffen des deutschen Außenministers mit Überlebenden der damaligen dreijährigen Blockade von Leningrad, die eine Million Russen das Leben kostete, war gewiss ein Zeichen im Sinne von Willy Brandt. (Man denke an den Kniefall in Warschau.) Die Nazis wollten Leningrad, das heutige Sankt Petersburg, vernichten, die Menschen verhungern oder erfrieren lassen. An die deutsche Verantwortung für diese Verbrechen zu erinnern, wird in Russland als wohltuendes Zeichen verstanden. Wir haben vor Jahren Ähnliches erlebt, als wir mit Überlebenden sprachen, den Friedhof besuchten, auf dem Tausende und Abertausende beerdigt wurden. Aber Maas müsste mehr tun, als der Opfer zu gedenken, mehr tun, als den Russen berechtigte Vorhaltungen zu machen wegen des Mordes an einem Georgier im Berliner Tiergarten. Es gehört mehr Mut dazu, aus dem Schatten der Kanzlerin herauszutreten. Die gegen Russland verhängten Sanktionen helfen niemandem, auch uns nicht. Sie bringen uns nicht weiter. Horst Teltschik fordert in seinem Buch nicht konkret das Ende der Sanktionen, wenngleich man herauslesen kann, dass er nichts Sinnhaftes dahinter erkennen kann. Stattdessen erinnert der CDU-Außenexperte an den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, als die Amerikaner den Irak überfielen. Er weist darauf hin, dass US-Außenminister Colin Powell dem UN-Sicherheitsrat gefälschte Beweise vorlegte, um die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak zu belegen. Er zitiert, dass der Sicherheitsrat dem Einsatz von Gewalt seine Zustimmung verweigerte und Washington dennoch dort einmarschierte. Wörtlich schreibt Teltschik: „In Moskau führte das zu dem Eindruck, dass sich die USA nur dann an die internationalen Regeln hielten, wenn sie ihnen zupass kamen. Aber auf den Gedanken, Sanktionen gegen Washingtron zu verhängen, verfiel damals niemand.“
Heiko Maas, las ich in der SZ, sei nicht wegen Willy Brandt in die Politik gegangen. Er wird sich aber gewiss der Spuren Brandts bewusst sein, die dieser hinterlassen hat und in denen jeder Sozialdemokrat wandelt, der etwas auf sich hält und die große Geschichte der ältesten und zur Zeit gebeutelten deutschen Partei kennt. Nur ist seine Politik zu zaghaft, zu klein-klein, ohne Mut. Vergleiche hinken, das ist wahr. Aber wenn einer wie Maas aus Anlass des Moskauer Vertrages in die russische Hauptstadt reist, darf man ihn schon mal messen an dem, der einst diesen Vertrag gegen viele Widerstände auf den Weg gebracht hat. Dazu gehörten Vision und Mut. Beides wird man im Auswärtigen Amt heute vergeblich suchen. Das mit den Spuren ist zudem ein Bild, das nicht passt, weil der Minister gemessen an Brandt Kinderschuhe trägt.
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Ein hervorragender Kommentar.
Jetzt fehlt nur noch der Hinweis, was denn eine Politik, die nicht „zaghaft, zu klein-klein, ohne Mut“ sprich: eine neue Ostpolitik wäre.