Was ist da gestern passiert? Man muss auf den Kern von Wahlen zurück. Sich zur Wahl stellen bedeutet, Menschen zu mobilisieren, damit sie ihren eigenen Einfluss an andere abtreten. Auf Zeit. An Personen, Parteien, Programme. Das Problem: Auf dem Weg bis dahin sind die Wählenden ganz unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt. Am Ende entscheidet die pure Zahl, ob eine Partei verloren oder gewonnen hat. Pure Zahl heißt: So-und-so- viele Wahlberechtigte habe ich für meine Person, das Programm geworben.
Das sieht bezogen auf die Europawahl so aus: die CDU hat 2019 etwas weniger Stimmen auf sich vereinigt als 2014 (in Millionen Stimmen: 8,43, das entspricht einem Stimmenverlust etwa vier Prozent). Die SPD hat mit 5,91 reichlich weniger auf sich vereinigt (ein Viertel), die Grünen mit 7,67 reichlich mehr. Die Linke hat gehalten, die FDP deutlich zugelegt, die AfD verdoppelt. Sonnenborns Spaßpartei erreicht fast eine Million. Das ist passiert.
Wer sich Einflüsse auf das drum herum bei Wahlen anschaut, findet folgendes: Seit Donald Trumps magerem Wahlsieg gegen die etablierten Ebenen der Meinungsbildung ist nichts mehr so, wie es war. Entscheidung durch Diskurs war gestern. Für´s erste jedenfalls. Emotional angereicherte, Gruppen- Identitäten nutzende Ansichten-Schnipsel bestimmen das, was Meinungsbildung sein soll. Tatsächlich ist das Meinungskonsum. Professionell gemacht, ohne erkennbare innere Bedenken, die so etwas wie Gewissen andeuten würden. Das Hantieren mit gefühlsmäßig aufgeladenen Kommunikationshäppchen ist übrigens kein Baustein aus dem Aufklärungs-Set, sondern es ist ein Geschäftsmodell, das sich politisch getarnt hat. Das Gegenstück ist der oder die Parteivertreterin, die mit einem Packen Info-Material in der einen und der Rose in der anderen Hand an der Tür klingelt, um sich in Herz und Verstand anderer zu bringen.
Man kann da wenig tun – was man mit Sicherheit nicht tun sollte, das ist, den Wortführern des Trump-Rezo-Russia Today- Geschäftsmodells die Hand zu reichen, um zu insinuieren: Alles klar, wir kriegen das schon hin. Ich könnte jedenfalls die Partei-Repräsentanten gut verstehen, die ihre Rosen schließlich in die Tonne klopfen. Aber weil diese Tonnen-Klopfer lediglich von unten her die Hierarchie der Wahlkampagnen tragen, werden sie wenig beachtet.
Ersatzweise werden nun Forderungen gestellt: Der Kapitalismus soll erneut kritisch diskutiert werden. Die Koalition soll platzen. Erneuerungsprozesse dürfen nicht gestört beziehungsweise unterbrochen werden. Und wenn all das nicht funktioniert, dann wird doch das Führungspersonal ausgewechselt. Jeder und jede weiß das, viele wollen es so, aber niemand will im Augenblick die Rolle des Macbeth übernehmen.
Ist da noch etwas? Ja, da ist noch etwas.
Das was noch ist, fängt mit Kästners Satz aus „Kurz und Bündig“ an: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Rein in die Parteien und die politischen Vereinigungen, die ändern und Neues auf den Weg bringen wollen. Auf Youtube was loslassen ist das eine; etwas real zu ändern über Mehrheiten, Gesetz und Staat, das ist das andere. Relevanz für ein Klimaschutzgesetz wird ein Herr Rezo nicht haben. Er hat ja sein Geschäftsmodell.
Damit es etwas werden kann auf die längere Frist, ist es erforderlich, nein unabdingbar, die politische Bildung im Land auf Touren zu bringen. Statt Abiturausflug nach Rom oder sonst wohin 10 Tage politische Bildung. Pflicht. Das muss auch für diejenigen gelten, die kein Abitur ablegen, sondern die eine berufliche Ausbildung absolvieren – Stichwort: Bildungsurlaub. Und für Ältere sollte gelten: Statt am Wochenende in den Wohnwagen in die Volkshochschule. Klingt langweilig, weiß ich ja. Schmeckt auch nicht jedem, hilft aber.
Die Funktionseliten im Land von den Frauen und Männern im seriösen Journalismus über die Lehrerschaft bis zu Anwälten und Management müssen sich stärker engagieren. Sie sind qua Amt, oft durch Autorität und nicht zuletzt wegen des Ansehens in einer Schlüsselrolle. Noch.
Geht doch, wenn wir´s wollen.
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