John Cowper Powys ist ein weithin unbekannter Autor (1872-1963). Auch wir sind eher durch Zufall auf ihn gestoßen (antiquarisch erwarben wir eine Ausgabe seiner gesammelten Werke, erschienen im Verlag Zweitausendeins; siehe auch den Beitrag Kultur als Lebenskunst von Joke Frerichs im Blog der Republik am 11.08.2019). Es handelt sich um einen englischen Gelehrter und Schriftsteller, der mit diesem Roman zunächst in England, später auch auf europäischer Ebene den Durchbruch schaffte.
Wolf Solent, auf Deutsch erstmals 1930 erschienen (im Original 1929) galt in England bereits als moderner Klassiker, während er in Deutschland erst einmal als Geheimtipp gehandelt wurde. Doch gerade die zeitgenössische literarisch-kulturelle Elite (von Hermann Broch bis Hermann Hesse) feierte das Werk als etwas Besonderes, gar als eine Offenbarung, sei es wegen seiner phantastischen Naturschilderungen, seines psychologischen Gehalts oder seines mythisch-philosophischen Tiefgangs. In der Nachkriegszeit und bis in unsere Tage gilt der Roman unter Literaten wie Alfred Andersch oder Peter Handke als Juwel der Literaturgeschichte. Kurzum: Der Autor Powys wurde als der englische Dostojewski und das größte unbekannte Genie des 20. Jahrhunderts gefeiert (so in einem Feuilleton-Beitrag).
Powys behandelt in seinem Werk die Geschichte des Wolf Solent im Verlauf eines Jahres. Geografisch setzt dieser Lebensabschnitt in London ein, wo der 35Jährige als Geschichtslehrer wegen einer unstatthaften Tirade gegen den technischen Fortschritt vor der Klasse seine Stellung verliert, und spielt dann über das Jahr hinweg in der Provinz (Dorset, Somerset), wo Solent die Stelle eines Privatsekretärs bei dem Gutsherren Mr. Urquhart antritt. Hier bekommt er den Auftrag, beim Verfassen einer Chronik über die Region behilflich zu sein, deren Schwerpunkt auf Obszönitäten, Perversionen, Verbrechen und anderen sittlichen Verfehlungen liegen soll. Urquhart begründet das wie folgt: Natürlich müssen wir auswählen, mein Freund. Wir müssen auswählen. Wir dürfen nur aufnehmen, was Mark und Saft und Salz hat. Ehebrüche, Morde, Unzüchtigkeiten… Und in der Tat ist das Landleben von Dorset, speziell in dem kleinen Ort Blacksod, der Wirkungsstätte Solents, von solchen Verfehlungen geprägt, die im Roman auch zum Thema werden.
Doch sie sind es nicht, die das Wesentliche des Romans ausmachen. Es ist auch nicht die Art und Weise, wie damit umgegangen wird, wie sich Geheimnisse auftun und wie sie vertuscht werden, welche Machenschaften hier am Werke sind, wer schuldig ist und wie die Schuld geahndet wird. Das alles mag Gegenstand der Chronik sein, aber für den Roman ist das eher beiläufig, wenn auch mit konstitutiv, was die Story angeht. Seine Konstruktion beruht auf einem Tableau, das sich auf mehreren Ebenen abspielt; vor allem im Bewusstsein Solents, der sich in einer nahezu permanenten Selbstfindung und mythologischen Reflexion seines Lebens befindet, der seiner Lebensillusion anhängt, die sich aus dem Geistigen seiner Existenz speist und die sich über das normalen, profane, äußere Leben erhebt.
Das ist sogleich im ersten Absatz des Romans zu erkennen. Vom Waterloo-Bahnhof bis zu dem kleinen Städtchen Ramsgard in Dorset dauert die Fahrt nicht länger als drei oder vier Stunden, doch da er das Glück hatte, ein Abteil für sich allein zu finden, konnte sich Wolf Solent einer solchen Orgie konzentrierten Denkens hingeben, dass diese drei oder vier Stunden sich zu etwas ausdehnten, das allem Menschenmaß entrückt war.
Bereits im ersten Kapitel ist angelegt, in welcher Welt Solent lebt und welchen tiefschürfenden Gedankenkonstrukten er anhängt. Im Zentrum steht dabei das, was er seine Mythologie nennt. Darunter versteht er das Versinken in seine Seele, das in einem gewissen Heraufbeschwören einer unterbewußten magnetischen Kraft auf die Oberfläche seines Geistes (bestand), einer Kraft, die von jenen frühen Tagen in Weymouth, da er von dem Bogenfenster aus das leuchtende Glitzern der Sonne und des Mondes auf dem Wasser beobachtet hatte, darauf vorbereitet schien, solchen Beschwörungen zu gehorchen.
Diese bereits in seiner Jugend in ihm angelegte und empfundene Kraft, die ihm dazu verhilft, Naturerscheinungen nicht nur sinnlich wahrzunehmen, sondern sich in sie zu versenken und zu etwas Höherem zu transformieren, erfährt Solent wie eine Art Bestimmung. Der Glaube daran hat etwas Mystisches oder Messianisches. Und in der Tat führt uns Powys gleich zu Anfang des Romans auf die Spur von Jesus Christus. Solent hat auch mit seiner besonderen Sicht auf den Sohn Gottes so etwas wie eine eigene Religion; Christus ist seiner Überzeugung nach verschieden von Gott, jedoch bezweifelt er zutiefst seine Menschwerdung: Christus ist kein Mensch. Er war n i e ein Mensch … und er wird mehr sein als ein Gott, wenn Gott gestorben ist.
Solents Auslegung des christlichen Glaubens: Christus sei kein oder anders oder mehr als Gott, aber auch kein Mensch, sondern eine Idee, die selbst Gott überlebt, ist so speziell wie seine sogenannte Mythologie und sein Verständnis von Philosophie: stets geht es darum, die eigene Wahrnehmung und geistige Durchdringung zum Ausgangspunkt seines Denkens zu machen und nicht vorgefertigten Dogmen oder philosophischen Systemen nachzuhängen. Der Primat des Geistig-Spirituellen vor allem, was die Welt der Dinge ausmacht, der äußeren Wirklichkeit, ist das Credo Solents, welches zum Kernthema des Romans gereicht. Häufig ist dabei die Natur in all ihrem Erscheinungsformen zugleich Objekt und Medium seines Gedankenganges, seiner Sinndeutungen und seiner Versuche der Selbstfindung.
Man könnte den Eindruck gewinnen, hier überhebt sich einer, wenn er sich mit Christus in Beziehung setzt und mythische, übersinnliche Kräfte in sich verspürt; vielleicht haben wir es sogar mit einem Hochstapler oder modernen Mystiker zu tun? Doch Powys – dies sei vorweggenommen – stattet seinen Helden mit Eigenschaften aus, die ihn immer wieder zweifeln und auch verzweifeln lassen; Solent durchläuft Krisen und Konflikte, die ihn stets aufs neue zu Boden reißen, erschüttern und bis zur Zerstörung seiner Identität führen; er wird als Quasi-Messias scheitern.
Der Roman hat in seiner spirituelle Ausrichtung auch einen hohen Symbolgehalt, wobei das Gesicht eines Mannes, dem Solent zufällig in London an der Waterloo Station begegnet, eine zentrale Rolle spielt. Dieses Gesicht taucht in Solents Gedanken so oft auf, dass man von einer Art Urerfahrung sprechen kann. Was hat es damit auf sich?
Die träge Verzweiflung in dem Gesicht, das dieser Mann ihm zugewendet hatte, trat jetzt zwischen ihn und einen von knospenden Buchen bedeckten Hügelabhang. Das Gesicht wiederholte sich viele Male unter jenen großen geschwungenen Massen smaragdklaren Laubes. Es war ein englisches Gesicht. Es hatte die Veränderlichkeit proteischen Weines. Es war bloß das Gesicht eines Mannes, eines sterblichen Mannes, gegen den sich die Vorsehung – bösartig wie ein toller Hund – gewendet hatte. Und das Leid auf dem Gesicht war von solch einer Art, daß Wolf sofort wußte: keine erdenklichen sozialen Verbesserungen oder reformierenden Revolutionen konnten es jemals sühnen – konnten jemals die einfache, nie wiedergutzumachende Tatsache aus der Welt schaffen, daß es eben so gewesen war, w i e es gewesen war!
Die Art, wie Solents Begegnung mit dem Obdachlosen geschildert wird, ist symptomatisch für den Stil des Romans: der Blick auf das Gesicht des Mannes wird eingebettet in eine Naturerfahrung, die den schärfsten Kontrast zu diesem bildet: hier die Schönheit und Farbenpracht, dort das nackte Elend und die stumpfe Verzweiflung. Interessant dann die sozialkritische Kommentierung dieses Elends, das nicht zu sühnen ist. Auch wenn Solent die Ursachen für Armut und Verelendung breiter Bevölkerungsschichten letztlich in dem von ihm so vehement kritisierten technischen Fortschritt im Kapitalismus sieht, kommt er nicht umhin, in diesem Gesicht auch das Leiden Jesu Christi, der alles Leid der Menschheit auf sich genommen hat, wiederzuerkennen, also es auch spirituell zu überhöhen. Und so, wie Solent die Christus-Figur als alles umspannende Idee wahrnimmt, hat für ihn alle Natur eine Seele, sie ist – im Unterschied zur Gesellschaft – beseelt.
Er fragte sich träge, wie es wohl kam, daß er die Natur, vor allem diese einfache pastorale Natur, die keinen Versuch machte, grandios oder auch nur malerisch zu sein, um so viel erregender fand als jegliche menschliche Gesellschaft, die er jemals gefunden hatte.
Gleichwohl begibt sich Solent nolens volens in diese Gesellschaft; heruntergebrochen auf die Ebene der englischen Provinz in Dorset hat er es mit einem Kreis von Personen zu tun, mit denen er in Kontakt steht oder dazu etwa qua Sekretärsanstellung verpflichtet ist. Neben Mr. Urquhart, seinem Brotgeber, sind dies: seine Mutter, die ihm von London aus nachgezogen ist; deren Rivalin Miss Gault, die ein Verhältnis mit seinem Vater hatte und nun für dessen Grabpflege sorgt; der Freund Darnley Otter und dessen Bruder, ein Dichter, der mit Solent konkurriert; und allen voran die zwei Frauen, mit denen Solent eine Liebesbeziehung eingeht.
Diese Frauen bilden ein klassisches Gegensatzpaar: Gerda, die Tochter eines Steinmetzes, aus einfachen Verhältnissen stammend, zeichnet eine ungewöhnliche Schönheit aus, sie verkörpert Sinnlichkeit und Begierde. Christie, eher ohne körperliche Reize, ihrem Vater, einem Buchhändler und Antiquar, den Haushalt führend, gibt sich vor allem der klassischen Literatur und Philosophie hin, sie steht für das Geistige, den Intellekt und die Reinheit der Seele. Zu beiden Frauen fühlt sich Solent hingezogen.
Der Gedanke an Gerdas Wärme verursachte ihm einen wollüstigen Schauer, unmittelbar, irdisch, voll ehrlichen und natürlichen Verlangens. Aber er erkannte jetzt, daß über der Persönlichkeit dieses anderen Mädchens (Christie, d.V.) etwas subtileres schwebte – ja, nichts Geringeres als jene flüchtige Aura geheimnisvoller Mädchenhaftigkeit -, sozusagen die platonische Idee des Geheimnisses aller jungen Mädchen, das für ihn das magischste Ding auf der ganzen Welt war.
Wie im Verhältnis zur Natur, so neigt Solent auch in dem zu Frauen zur Idealisierung; seine Vorstellung von Mädchenhaftigkeit, mitsamt der Konnotation von Unschuld und Reinheit, wird metaphysisch verklärt, jedoch haftet ihr auch die Kraft und Schönheit seiner Gedanken und Phantasien an.
Die Beziehungen zu beiden Frauen gestalten sich gemäß ihrer Verschiedenheit: Solent heiratet Gerda, nachdem er sie verführt hatte, und bindet sich damit für ihn und seine geistigen Bestrebungen in fataler Weise; mit Christie verbindet ihn der philosophische Diskurs, die Seelenverwandtschaft und etwas, was in Solents Vorstellung reiner ist als eine platonische Liebe: die unsterbliche Seele, die er in ihr verkörpert sieht.
Gewisse menschliche Ausdrücke, die für den Philosophen die eine Bedeutung hatten und eine ganz andere für das einfache Volk, waren stets von besonderem Reiz für Wolf gewesen. Sein Geist begann jetzt auf den Silben der Worte ‚unsterbliche Seele‘ zu verweilen, bis durch eine ihm vertraute Transformation diese erschrecklichen Klänge eine schattenhafte eigene Persönlichkeit angenommen hatten – nämlich die Gestalt Christie Malakites – und in dieser Gestalt schwankend über die Felder hin verschwanden wie eine dünne spiralförmige Wolke!
Damit wird die junge Frau, obwohl aus Fleisch und Blut und mit Wünschen und Sehnsüchten ausgestattet, zu etwas Geistigem, zu einer entkörperten Wesenheit, man könnte auch sagen: zu einer Idee; und es ist wohl kein Zufall, dass Powys ihr den Namen Christie gegeben hat, so dass sich die Assoziation mit der Christus-Figur aufdrängt.
Im Fortgang des Romans zeigt sich, dass sie sich in dieser Rolle (als Frau ) nicht hinreichend wahrgenommen und zugleich überfordert fühlt. Sie empfindet sich auch aufgrund ihrer problematischen Familiengeschichte (ihr Vater hat ihre ältere Schwester sexuell missbraucht und mit ihr ein Kind gezeugt, das Christie später betreut) unwirklich. Und sie erklärt Solent ihre Gefühlslage mit diesen Worten: Mein Leben war so niedergedrückt und stumpf, daß ich alles von irgendeinem Punkt außerhalb meiner Person zu betrachten schien, als ob mein Gemüt ein kalter, harter, fühlloser Spiegel gewesen wäre, der nur reflektierte, was da war, aber nichts fühlte. Aber jetzt, seit ich Sie kenne, ist alles anders geworden. Mein Gemüt ist wieder erwacht.
Die Tragik dieser von Solent als geistig-spirituelle Liebe definierten Beziehung liegt darin, dass Christie beim Versuch, diese auch auf eine körperliche zu erweitern, zurückgewiesen wird. Einer jungen Frau, die gerade ihre Emotionalität und Sexualität nach Jahren der Unterdrückung erst entdeckt, so etwas anzutun, kann keinen guten Ausgang nehmen. Sie zieht sich mehr und mehr von Solent zurück und findet statt in einer Beziehung zu einem Mann ihre Bestimmung als Ersatzmutter ihrer kleinen Nichte.
Auch die Ehe mit Gerda wird auf den Prüfstand gestellt. Von der überaus dominanten Mutter Solents mit Standesdünkel von vornherein nicht akzeptiert und anerkannt – ihr Sohn habe eine manierlose Proletarierin geheiratet – hat Gerda einen schweren Stand. Allerdings lässt sie sich von ihrer Schwiegermutter nicht alles gefallen; es kommt zu einer Auseinandersetzung, bei der Gerda die Ehre ihrer Familie verteidigt: ‚Und das sind die noblen Leute, von denen Sie glauben, daß sie umso viel besser sind als achtbare, einfache Menschen wie mein guter Alter! … der niemals in seinem ganzen Leben ein böses Wort auf jemanden gesagt hat.‘
Hintergrunddes Disputs ist, das man in Gerdas Familie Bescheid wusste über den Mord an einem jungen Mann, der vor Solent den Sekretärsposten bei Urquhart innehatte; dieses Verbrechen wurde von den sogenannten feinen Leute im Ort als geheimnisumwittert vertuscht und zum Suizid erklärt. Solent ist angesichts dieser Szene, in der Gerda seine Mutter vorführt, überrascht vom Scharfsinn und Stolz seiner Frau. Selbstredend verfügt die Mutter über ein Verhaltensrepertoire, mit welchem sie Gerda ihre Verachtung und die eigene soziale Überlegenheit immer aufs neue spüren lässt.
Doch nicht nur am Zerwürfnis mit der Mutter gerät diese Ehe in die Krise – es ist etwas viel Existentielleres. Solent hatte seine Stelle bei Urquart gekündigt, nimmt sie aus Geldnöten später wieder auf, allerdings in Form eines – heute würde man sagen: Werkvertrages, d.h. er sichert seinem Chef zu, in drei Monaten die Chronik fertigzustellen, wofür der einen Scheck in Höhe von 200 Pfund ausgehändigt bekommt. Diesen Scheck ist er nach Vertragserfüllung jedoch nicht geneigt einzulösen; denn plötzlich wird Solent sich über die von ihm ins Tragische gewendete Bedeutung dieses Geldbetrags bewusst: er sieht in ihm das Blutgeld für den Verkauf seiner ‚Mythologie‘. Er hatte dieses kostbare Besitztum wieder zurückgemaust … verzweifelt, feige, niedrig … durch sein wenig schönes Benehmen zu Christie. Die Stücke des zerrissenen Schecks auf Urquarts Tisch zu schleudern, wäre eine Entschädigung für manches schlangenartige Sichdrehen und Winden.
Solent empfindet die Einlösung des Schecks als Marter, und er verzweifelt an seiner eigenen Unentschlossenheit, vom Elend der Unschlüssigkeit ist die Rede. Denn er ist nicht frei in seiner Entscheidung: Gerda besteht auf dem Geld, das sie als Lohn für harte Arbeit und viele Entbehrungen ansieht und für die Erfüllung ihrer Wünsche beansprucht. Sie ist nicht bereit und in der Lage, die Argumente ihres Mann nachzuvollziehen. Denn während es für sie um schöne Dinge des Lebens geht, die sie kaufen möchte, spricht Solent vom Verkauf seiner Seele, vom Verlust seiner Lebensillusion, seines Stolzes, Willens, seiner Persönlichkeit. Und in der Tat ist er, nachdem der den Scheck gegen seine tiefste Überzeugung eingelöst hat, ein gebrochener Mann. Er nahm die Hände vom Gesicht und taumelte ein wenig gegen den Tisch, schwindlig von seinem seelischen Kampf. Es nütze nichts. Seine ‚Mythologie‘ würde ihm nie wieder helfen. Mit jener Ekstase, mit jener Flucht aus der Wirklichkeit war es vorbei.
So entschlüsselt sich die Bedeutung dessen, was Solent seine Mythologie nennt, erst mit ihrem Verlust. Er versteht darunter ein Gedankenkonstrukt, das sich von der menschlichen Gesellschaft und ihrem profanen Verständnis von Wirklichkeit abgrenzt, das vom Primat des Geistes gegenüber der Materie, von der Unsterblichkeit der Seele ebenso wie von der Glückseligkeit und der Vollkommenheit der Natur eingenommen ist – im Grunde eine Art Privatphilosophie, in deren Zentrum sein eigenes Ich steht; Solent führt innere Monologe in Permanenz, um sich selbst zu finden, zu erkennen und die Fähigkeit auszubilden, die unsichtbaren Welten hinter der Wirklichkeit zu erkennen, die wirklicher als diese sind. In einem der vielen Selbstgespräche, die er vor seiner Lebenskrise geführt hatte, heißt es:
Ich habe keine Gewißheit … Ich glaube an keine Realität. Ich glaube nicht, daß diese Straße und dieser Himmel wirklich sind. Ich glaube nicht, daß diese unsichtbaren Welten hinter dieser Straße und diesem Himmel irgendwie wirklicher sind als diese. Träume innerhalb von Träumen! Alles ist, wie ich es erschaffe. Ich bin der elende Demiurg des ganzen Schauspieles. Allein … allein … allein! Wenn ich Schönheit erschaffe, i s t Schönheit. Wenn ich Abscheulichkeit erschaffe, i s t Abscheulichkeit! Ich muß diesen knarrenden Mechanismus meines Geistes in die richtige Stellung bringen; und dann folgt alles daraus. Solent nimmt sich als Demiurg, als Schöpfer wahr, was nach Selbstüberhebung klingt (da es sich um ein religiöses Bild handelt, wonach die Schöpfung Gott vorbehalten ist), jedoch in seinem Verständnis von Philosophie und Mythologie mit einem spezifischen Subjekt-Objekt-Verhältnis in Zusammenhang steht, wonach es kein Ding an sich (Kant)gibt, sondern der subjektive Geist das Objekt erschafft. Gleichwohl sei noch einmal an die Bedeutung der Christus-Figur im Roman erinnert, an das Gesicht des Bettlers auf den Stufen der Waterloo Station und an die einzige Person, nämlich Christie, die ihn versteht und seinen Gedanken, Empfindungen, Idealen folgen kann. All diese Bezüge sind symbolisch durchdrungen und aufgeladen, so dass sich ein Verständnis eher nicht auf der wörtlichen Ebene erschließt. Solent ist selbstredend ein Träumer, ein Schwärmer, doch auch einer, der auf der Suche nach Erkenntnis und Selbsterkenntnis ist. Wenn ihm nun in der tiefen Provinz und im Mikrokosmos der ländlichen Gesellschaft alles genommen wird, was seinen Glauben und seine Gewissheiten ausgemacht haben, ist es nur allzu verständlich, dass er sich als ein Verlorener ansieht und resigniert. Der Roman hat ein offenes Ende – er könnte auch zum Suizid führen.
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