Frankreich hat eine lange Tradition des Aufstands gegen die Obrigkeit. Und oft gingen von Frankreich aus diese Bewegungen auf andere Teile Europas über. Sie brachten tiefgreifende macht- und gesellschaftspolitische Veränderungen mit sich und waren oft genug Motor für demokratische Bewegungen und Errungenschaften auch in Deutschland. Was immer aber die Keimzelle der „Gelbwestenbewegung“ war, die seit Wochen In- und Ausland in Atem hält, sehr schnell ist nach der Entstehung dieser fast ganz Frankreich erfassten Bewegung aus dem Protest eine die Demokratie gefährdende Gewaltrevolte geworden. Hier sind mittlerweile vor allem die Rechtsextremisten an den Schalthebeln, unterstützt von einer eher kleinen Gruppe gewalttätiger, linksextremistischer Verschwörungstheoretiker. Der starke Zuspruch aus dem Lager der Front National bzw. Rassemblement National (RN) -wie die Rechtsnationalistischen Demokratiefeinde um Marine Le Pen jetzt heißen – findet auch Beifall von anderen Rechtsextremisten und Anti-Demokraten. Unverhohlene Sympathie von der AfD und offene Unterstützung von der Lega-Partei und der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien. Die starke mediale Aufmerksamkeit ist auch die Stunde anderer Populisten: Sarah Wagenknecht hat sich – trotz der Gewalteskalation – mit einer gelben Warnweste vor das Kanzleramt gestellt und sich für Deutschland eine ähnliche Revolte gewünscht. Selbst unter Parteifreunden sorgte das für Entsetzen.
Wer sich selbst ein Bild von den Protesten in Frankreich machen konnte, dem fällt auf, dass es sich seit spätestens Mitte Dezember nicht mehr im Kern um eine Revolte der sozial Abgehängten oder des gebeutelten Mittelstands handelt, sondern dass es vor allem eine Revolte älterer, hasserfüllter, gewaltbereiter Männer geworden ist, die berauscht von ihrer unerwarteten Macht, eine Spur der Verwüstung – insbesondere in Paris, mittlerweile der Schwerpunkt der gewaltsamen Proteste – hinterlassen. Es geht in Frankreich nicht mehr um die seit der französischen Revolution prägenden demokratischen Grundwerte Liberté, Égalité, Fraternité, sondern um Wut, Hass und Gewalt. Vive la violence ist das eigentliche Motto der Gelbwesten geworden.
Die treibenden Kräfte in Frankreich sind zur Zeit eher ähnlich den Gruppen derer, die den Brexit herbeigelogen und mit Donald Trump einen Psychopathen ins Weiße Haus gebracht haben. Alles Ereignisse, die die tiefen und nur schwer zu überbrückenden Spaltungen der Gesellschaften zu Tage treten lassen. Die Treiber der Spaltung sind – und das ist in Frankreich am eskalierenden Protest der Gelbwesten gerade ganz deutlich zu sehen – eben nicht nur die Auswirkungen sozialer Ungerechtigkeit oder die unausgewogene Belastung der wirtschaftlich Schwachen durch Steuern und Abgaben, es ist die Wut einer großen Gruppe, die enorme Zukunftsängste entwickelt angesichts einer Überforderung mit der Dynamik des technologischen Wandels, der raschen gesellschaftlichen Veränderung, der Globalisierung und der Komplexität wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Probleme im 21. Jahrhundert. Ein Teil dieser so „Abgehängten“ ist anfällig für vermeintlich einfache Antworten und sucht sein Heil in altbekannten Mustern wie übersteigertem Nationalismus, Rassismus und eben Gewalt gegen Staat und alles, was nach „Establishment“ aussieht. In Paris waren das z.B. Banken, Geschäfte, aber auch kleine Läden oder mal einfach auch nur Straßenlaternen.
Vor allem unter dem Einfluss dieser Gewaltorgien, die auch vor den nationalen Symbolen Frankreichs wie der Marianne oder dem Grabmal des unbekannten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg mit der täglich gewarteten Ewigen Flamme nicht Halt machten, hat der anfängliche Rückhalt der Gelbwesten in der Bevölkerung deutlich gelitten.
Dennoch überrascht, wie ungestört sich die Gelbwesten trotz einer enorm aufgeladenen und explosiven Stimmung bei ihrer Silvesterkundgebung unter die den Jahreswechsel feiernden Parisern und Touristen auf der Champs-Élysées mischen konnten. Unter den Augen von Tausenden Polizisten und Einsatzkräften – angesichts der Gewaltbereitschaft der Gelbwesten erstaunlich besonnen und zurückhaltend – vernagelten in den Seitenstraßen die schon seit Wochen gebeutelten und terrorisierten Geschäftsinhaber ihre Schaufenster und Ladentüren, während auf der Prachtstraße von Paris sich Gruppen der zornigen, gewaltbereiten, weißen Männer den Touristen willig für Selfies darboten und das Bad in der Menge sichtlich genossen. Diskussionen waren angesichts der aufgeladenen Emotionen, eines erheblichen Alkoholpegels bei den Protestlern und der deutlich spürbaren Aggressivität und Gewaltbereitschaft nicht möglich. Auch wenn Journalisten mittlerweile bei den Gelbwesten nicht gut gelitten sind, die Aufmerksamkeit des Fernsehens suchten einzelne Gruppen ganz bewusst und inszenierten ihren Protest entsprechend mediengerecht. Um konkrete Politik, Verbesserung der Lebenssituation Benachteiligter, um Kritik an der Politik Macrons – angesichts der Höhe der geweckten Erwartungen und der Tiefe der Enttäuschungen über die ersten Amtsmonate wäre das ja auch nachvollziehbar – ging es dabei nicht. Nationalismus, Anti-Europäismus, Ausländerhass und eben Zerstörung als aufmerksamkeitsstarke Waffe sind die Themen. Im Grunde als eine „französische“ Steigerung von Pegida.
Aber am Neujahrsmorgen konnte man auch Momente der Entpolitisierung sehen. Nach dem Silvesterfeuerwerk trabte zum Beispiel ein
Hund in einer „Gilets jaunes“ mit seinem Besitzer, einem Prototyp des Rentnerprotests, über die Champs-Élysées nach Hause. Trotz in Alarmbereitschaft befindlicher Hundertschaften von Polizisten und Sonderkommandos in den Seitenstraßen und Parkflächen der Pariser Prachtstraße fielen etliche, mit Smartphone bewaffnete Touristen und andere friedliche Neujahrsfeierer über dieses Fotomotiv her. Dem alten Gelbwesten-Rentner flogen die Sympathien zu und der Hund wurde in einem bizarren Moment, kurz vor den auch in der Neujahrsnacht neu aufflammenden Gewaltprotesten, zum betätschelten und liebkosten Hauptakteur des Protestes.
In Europa fliegen Emmanuel Macron immer noch viele Sympathien zu, er ist immer noch der zentrale Hoffnungsträger für die ins Stocken geratene Europäische Idee. Die Kommunikation seiner Politik im eigenen Land ist Macron hingegen gründlich misslungen. Vielleicht sollte er auch mal mit Hund über die Champs-Élysées schlendern. Die Sympathiewerte würden steigen, garantiert. Vive le chien!
'Gelbwesten – europafeindlich, rassistisch und gewaltbereit' hat einen Kommentar
17. Januar 2019 @ 00:28 Markus
Vielleicht sollte aber auch mal von der unverhältnismäßigen Polizeigewalt gegen die Gelbwesten gesprochen mit den sog. Flashballs! Und es sollte auch nicht unerwähnt blieben, daß die Franzosen sehr wohl Grund genug haben, auf die Straße zu gehen und zu protestieren.
„Vor allem unter dem Einfluss dieser Gewaltorgien, die auch vor den nationalen Symbolen Frankreichs wie der Marianne oder dem Grabmal des unbekannten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg mit der täglich gewarteten Ewigen Flamme nicht Halt machten, hat der anfängliche Rückhalt der Gelbwesten in der Bevölkerung deutlich gelitten.“ – Wissen wir wirklich, daß die Gelbwesten dafür verantwortlich sind?
Aber wer Macron, den aus dem Hut gezauberten Wundertäter von den alten Eliten, tatsächlich immer noch für einen Hoffnungsträger hält, sollte sich fragen lassen: Wessen Hoffnungsträger soll der von den Sorgen und Nöten der Normalbevölkerung entrückte Steuersenker der Reichen denn wohl sein? Und für welche europäische Idee mag Macron als Schützling der Großwirtschaft vermutlich eintreten?