Nerven hat sie, die Angela Merkel. Das muss man ihr lassen. So leicht kriegt sie niemand aus dem Amt. Der Seehofer und die CSU schon gar nicht. Sie lässt sich einiges gefallen, manches an den Kopf werfen- und bleibt Kanzlerin. Wie es scheint, unbeeindruckt. Zumindest zeigt sie nicht öffentlich, dass sie der Umgang der CSU mit ihr empört hat. Und mancher fragt sich, wo eigentlich die politischen Freunde von Merkel geblieben sind? Warum wurde die CSU nicht von führenden CDU-Leuten unter Feuer genommen. Sie habe kapituliert, meint der eine vorwurfsvoll, Merkel gehe geschwächt aus dem Machtkampf hervor. Denn darum ging es: „Wir gegen Merkel“, auf diese Formel brachte es die Süddeutsche Zeitung, Wir, also die CSU gegen die Kanzlerin. Es ging nicht um Politik. Das mit dem Asyl und den Flüchtlingen war doch nur vorgeschoben. Die Zahlen sind ja längst zurückgegangen, auch an den bayerischen Grenzen geht es ruhig zu.
Kapitulation kann man das nennen, aber das war es nicht. Merkel blieb einfach ruhig, ließ die Gegner sich austoben. Sie weiß ja, dass sie fest im Sattel sitzt, solange sie keine Vertrauensfrage stellt. Geschwächt ist sie schon seit der letzten Bundestagswahl, bei der die Union gerade mal 32,9 Prozent der Stimmen gewonnen hat. Also 8,6 Prozentpunkte weniger als beim Votum 2013. Eine Klatsche für die Merkel-CDU. Der CSU erging es nicht besser, sie erreichte in Bayern- und nur dort tritt sie an- 38,8 Prozent der Stimmen, damit das schlechteste Ergebnis nach dem Krieg. Bundesweit kommt die Bayern-Partei gerade noch auf 6,2 Prozent. Das also war und ist die Ausgangslage. Damals hatte man im Vorfeld lange gerätselt, ob Angela Merkel noch einmal antritt. Und wie so oft hatten sich viele Journalisten verschätzt und die Kanzlerin unterschätzt.
2005 wurde sie das erste Mal gewählt, da hatte sie ganz knapp gegen den Amtsinhaber Gerhard Schröder(SPD) gewonnen. Der plusterte sich am Wahlabend in der sogenannten Elefanten-Fernseh-Runde u.a. mit Merkel, Fischer, Stoiber und Westerwelle geradezu auf und erweckte den Eindruck, als wollte er weiterregieren. Dabei hatte die CDU-Chefin die Nase vorn, wenn auch ganz knapp. Schröder sprach Merkel die Chance ab, Kanzlerin zu werden. „Niemand außer mir ist in der Lage, eine stabile Regierung zu bilden.“ So Schröder, der sich mit den Fernseh-Journalisten Nikolaus Brender und Hartmut von der Tann anlegte. „Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel einginge, bei dieser Sachlage. Sie müssen die Kirche mal im Dorf lassen.“ Und : „Frau Merkel wird keine Regierung mit meiner Partei, der Sozialdemokratie, hinkriegen.“ Am Ende kam eine große Koalition dabei heraus mit Merkel als Kanzlerin. Und Schröder hatte am Zustandekommen dieses Bündnisses sehr mitgewirkt.
Sie hat von Kohl vieles gelernt
Richtig war, dass das Ergebnis für Merkel, gemessen an den früheren Umfragen, enttäuschend war. Und ihre parteiinternen Kritiker hatten auf ein Stolpern der CDU-Herausforderin gelauert. Sie stand am Wahlabend geschwächt da. Erst Schröders verbale Attacken ließen die Gegner Merkels in der Union verstummen. Wenn man so will, half Schröder dabei, die Reihen der Union hinter Merkel zu schließen. Und damit hatten sich die politischen Ambitionen der CDU-Politiker wie Koch und Wulff erledigt und auch der sogenannte Anden-Pakt, mit dem sich Christdemokraten gegenseitig beim Aufstieg unterstützen wollten. Merkel, die zunächst so unscheinbare Frau aus dem Osten, der Uckermark, ohne nennenswerte Hausmacht, war oben angelangt. Sie hatte, so hat es der Kohl-Intimus Eduard Ackermann gern formuliert, von ihrem Meister vieles abgeguckt. Helmut Kohl hatte auch viele Gegenspieler, Möchtegern-Gegenspieler, die er alle der Reihe nach kalt stellte. Dieses Machtspiel erlebte seine Spitze im Umgang Kohls mit Franz-Josef Strauß, dem CSU-Chef, der immer zur Macht drängte, der dem Oggersheimer CDU-Mann alle Fähigkeiten fürs Kanzleramt absprach.(„Total unfähig“) Kohl ließ ihn gewähren, machte ihn sogar zum Kanzler-Kandidaten bei der Wahl 1980 gegen Helmut Schmidt, weil er davon ausging, dass es Strauß nicht gelingen werde, die absolute Mehrheit zu erringen. Und ein Koalitionspartner namens FDP-andere Parteien gab es nicht damals- hatte sich zuvor zur Fortsetzung der sozialliberalen Koalition festgelegt.
Ähnlich hat es Merkel mit Edmund Stoiber gemacht, dem ehrgeizigen CSU-Mann aus dem Freistaat. Sie hatte es nicht leicht mit dem bayerischen Ministerpräsidenten, der seine Möglichkeiten oft genug überschätzt hatte und der der irrigen Ansicht war, er könnte seine Werte in Bayern bundesweit nutzen. Bei einem Frühstück in Stoibers Heimat Wolfratshausen servierte Merkel dem CSU-Chef die Kanzlerkandidatur auf dem Silber-Tablett. Stoiber nahm an und verlor gegen Schröder 2002- ausgesprochen knapp. Eine Zeitlang konnte er am Wahlabend sogar glauben, das Rennen gewonnen zu haben, also hob er zu einem seiner berühmten Sprüche an: „Ich will noch kein Glas Champagner öffnen“. Am Ende fehlten dem CSU-Mann ein paar Tausend Stimmen, genug, um seine bundespolitischen Ziele aufzugeben. Merkel war einen weiteren Konkurrenten um die Macht im Bund los.
Nicht vergessen sollte man, wie sie die Ära von Helmut Kohl, ihrem Lehrmeister, beendete. Die Parteispenden-Affäre, in die Kohl verwickelt war, wie er nach langem Leugnen einräumen musste, bedrohte die Existenz der ganzen CDU. Merkel schrieb einen Beitrag für die FAZ, Kohls Leib- und Magen-Blatt. In diesem Beitrag erklärte sie die Kohl-Ära und seine führende Rolle in der CDU für beendet. Es war der Aufmacher der Zeitung, eine Sensation. Merkel hatte den Alten aus der Pfalz, der ihr den Weg in die Politik und damit zur Macht geebnet hatte, abgeschüttelt.
Als die Welt La Merkel feierte
Sie stand oben, ganz oben. Die Welt feierte sie. La Merkel, hieß es anerkennend in Frankreich, sie stieg zur mächtigsten Frau in der Welt auf. Europa ohne Merkel, nicht denkbar. Dabei übersah und überhörte sie kritische Stimmen aus dem Ausland, die ihr heute schwer zu schaffen machen. Denn die Flüchtlingsprobleme kamen nicht über Nacht, sie deuteten sich schon Jahre vorher an, u.a. in Italien. Aber als Rom beklagte, dass man Hilfe anderer Europäer benötige, um der vielen Flüchtlingen Herr zu werden, zeigte auch Berlin, zeigte auch Merkel den italienischen Kollegen die kalte Schulter. Von Solidarität wollte sie damals nichts wissen. Ein paar Jahre später, als viele Zehntausende Menschen aus Afrika, Syrien, Afghanistan über die deutsch-österreichische Grenze nach Deutschland kamen und die Kanzlerin die Solidarität der anderen Europäer einklagen wollte, ließ man die deutsche Politikerin allein. Das war, wenn man so will, die Retourkutsche.
Geschwächt ist sie seit dem. Im Hintergrund wurde und wird immer wieder ihr Abschied gefordert, ihr Sturz vorausgesehen. Doch sie überstand alle Krisen. So auch die aktuelle. Sie muss ein dickes Fell haben. Wie anders ist zu erklären, dass sie Horst Seehofer zwar mit der Richtlinien-Kompetenz der Kanzlerin drohte, falls er gegen ihren Willen einseitig ohne Absprache mit den anderen Europäer Flüchtlinge an der Grenzen zurückweisen lasse. Seehofer, der sie schon des öfteren herablassend behandelt und sie mal am Ende des CSU-Parteitages am Rednerpult abgekanzelt hatte, weiß natürlich um die Begrenztheit der Amts-Autorität der Kanzlerin. Und sagte: „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“ Weil der Horst sich allzu gnädig erweist und Innenminister bleibt, woran ihn keine Kanzlerin hindern kann. Das könnte sie wohl. Aber dann wäre die Fraktionsgemeinschaft aus CDU und CSU man Ende und damit auch die große Koalition. Denn Seehofer ist Parteichef der CSU, die allein über die Besetzung der ihr zugewiesenen Minister entscheidet. Merkel müsste den Bruch mit der CSU riskieren, dann könnte sie vielleicht die Grünen ins Boot holen und hätte zusammen mit der SPD eine noch breitere Mehrheit, als sie sie mit der bayerischen Schwesterpartei hat. Aber das macht die CDU nicht mit. Sie drohte schon 1976 mit dem Einmarsch in Bayern und der Gründung eines CDU-Landesverbandes. Ähnlich wäre es heute, wenn der Bruch vollzogen würde. Dann müsste sich die CSU bundesweit aufstellen, eine Mammutaufgabe. Und das Ende aller Träume von der absoluten Mehrheit.
Geschwächt ist sie
Geschwächt ist sie, aber sie hat auch starke Nerven. Sonst würde sie sich nicht ständig von einem wie Seehofer auf der Nase herumtanzen lassen. Auch seine damalige Rüge an die Kanzlerin, als er ihr wegen der Flüchtlingskrise eine „Herrschaft des Unrechts“ vorwarf, die er vors Verfassungsgericht bringen wollte, entsprach sicher nicht den Sitten und Gebräuchen frei nach Knigge. Aber wie immer macht Merkel einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Und so traf sich jetzt auch die Fraktion aus CDU und CSU zu einer gemeinsamen Sitzung. Dabei haben sie kaum noch etwas, was sie eint. Die CSU schaut mit ängstlichen Blicken auf die Landtagswahl im Oktober, bei der es für sie darum geht, die absolute Mehrheit zu verteidigen. Was ihr nach allen vorliegenden Umfragen kaum gelingen dürfte. Und es dürfte ihr auch nicht gelingen, den Einzug der Rechtspopulisten von der AfD in den bayerischen Landtag zu verhindern. Darüber sollte sich die CSU aber nicht wundern. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zeigt sich gern mit einem Nationalisten und Rechten wie Ungarns Organ, er zeigt sich gern mit einem Rechten wie dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz, aber er will die Merkel nicht im bayerischen Landtagswahlkampf sehen. Dabei ist Merkel selbst in Bayern beliebter als Söder.
Man darf gespannt sein, wie lange diese Koalition in Berlin regieren wird, wie lange der Frieden zwischen CDU und CSU hält, einer regionalen Partei, die zwar bundespolitisch großkotzig auftritt, die aber die Republik, ja halb Europa in Geiselhaft nimmt, weil sie Angst hat um ihre Pfründe in Bayern. Und die selbst vor einem Sturz der Kanzlerin und CDU-Chefin nicht zurückschreckt, was sie natürlich längst dementiert hat. Darüber kann man nicht mehr lachen, wenn eine Partei, die sich Staatspartei nennt, aus dem Ruder läuft und ihr Parteichef die Kontrolle über sich verloren hat. Angela Merkel mag geschwächt sein, aber sie ist stark genug, um Seehofer und Konsorten zu überleben. „Wir stehen am Abgrund“, hat Wolfgang Schäuble die Lage beschrieben. Es ist schlimm, verantwortungsvoll- und gewissenlos, wenn Parteien sich so gerieren.
Bildquelle: Wikipedia, Armin Linnartz, CC BY-SA 3.0