Angela Merkel hat mit ihrer überraschenden Ankündigung, auf dem Parteitag der CDU Anfang Dezember nicht wieder für das Amt des Parteichefs zu kandidieren, vieles in Bewegung gebracht. Sofort hat sich Jens Spahn(38) gemeldet, der ehrgeizige CDU-Politiker, den die Kanzlerin zum Gesundheitsminister gemacht hatte. Ein Mann aus NRW, der sich für modern hält. Dass die Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ihre Ansprüche für die Merkel-Nachfolge offen anmeldete, ist normal, sie sitzt schon an einer Schaltstelle, von Merkel dort platziert. Einer hielt sich zurück: Armin Laschet, der einflussreiche Ministerpräsident von NRW und Vorsitzende des stärksten Landesverbandes der CDU. Gefragt äußerte sich der Rheinländer sehr zurückhaltend, er überlegte. Man spürte, Laschet lag nicht auf der Lauer, weder nach dem Desaster von Bayern noch nach der Klatsche von Hessen für die CDU. Es komme nicht darauf an, sagte er in ruhigem Ton, wer als erster die Hand hebe, wenn man um 9 Uhr in der Früh von einer solchen Nachricht über den Rückzug der Kanzlerin erfahre.
Armin Laschet(57) ist ein loyaler Mann, loyal auch und gerade gegenüber Angela Merkel. Nie würde er öffentlich über deren Schwächen räsonieren oder Anspielungen in dieser Hinsicht von sich geben. Man hat sich in der Vergangenheit mehrfach wundern können über die Zurückhaltung des Mannes aus Aachen, der immerhin auch Stellvertreter der Parteivorsitzenden Merkel ist. Natürlich haben Journalisten ihn sofort um seine Meinung gefragt, als die Rückzugsabsichten der Langzeit-Kanzlerin jetzt bekannt geworden waren. Laschet weiß um seine Bedeutung, um die Größe seines Landesverbandes, um seine Beliebtheit in vielen Parteikreisen. Er ist kein Mann, der nach Ämtern greift, sondern eher wartet, dass sie auf ihn zukommen.
Also zählte er auf, was von einem Parteivorsitzenden erwartet werden müsse: Nämlich die Flügel der CDU zusammenbinden, also den Wirtschaftsflügel-und den sozialen Flügel. Letzterer hat schon in der Geschichte der CDU gerade in NRW eine große Rolle gespielt, da fällt einem der Name Karl Arnold ein und das Ahlener Programm der CDU nach dem Krieg. Eine christliche Partei erwartet selbstverständlich auch von ihrem neuen Chef Antworten auf die Probleme und Herausforderungen der Zeit, auch was das Zusammenleben mit Ausländern angeht, zum Beispiel mit Moslems. Laschet hat sich immer schon für Fragen der Integration engagiert. Er war mal ein solcher Minister. Nein, er drückt sich nicht vor sachlichen Auseinandersetzungen, Laschet sind die Probleme der modernen Gesellschaft im Zusammenhang mit der Digitalisierung ebenso geläufig wie die des Klimaschutzes. Selbstverständlich hat er sich zum Hambacher Forst und den Demonstrationen geäußert, nimmt er Stellung zu der Frage, was passiert im Falle eines Ausstiegs aus der Braunkohle eigentlich mit den Arbeitern. Und dazu passt, dass sein Innenminister Herbert Reul die Polizei einsetzte, um dort im und um das Braunkohlerevier irgendwie für Recht und Ordnung zu sorgen. Einfach war das nicht und es gelang ja auch nicht immer. Und nicht immer hat es jedem gefallen. Der Klimaschutz ist wichtig, der heiße Sommer hat das Problem verdeutlicht: Wir dürfen uns den Ast, auf dem wir sitzen, nicht selber absägen. Es gilt aber auch der Satz: Der Strom kommt aus der Steckdose, aber wie gelangt er da rein? Die Antworten sind nicht einfach.
Der Sohn eines ehemaligen Bergmanns
Um auf die Merkel-Nachfolger zurückzukommen: Laschet erwähnte mit keiner Silbe eigene Pläne, wenn er sie denn hätte. Einer wie er prescht nicht gern vor, es macht sich auch nicht so gut, wenn man zu früh seine Wünsche oder gar Forderungen nennt. Besser sie ergeben sich aus der Lage, noch besser, man wird gerufen. Laschet hat schon in der Vergangenheit eher in Ruhe Dinge reifen lassen. Das machte ihn beliebt in der Partei, weil er die Ellenbogen nicht gegen potentielle Konkurrenten einsetzte.
Wer den Weg von Laschet verfolgt hat, des Sohnes eines ehemaligen Bergmanns, kann verfolgen, wie bodenständig der Mann immer geblieben ist. Nach Abitur und Jura-Examen wurde er zunächst Journalist, er arbeitete für das bayerische Fernsehen und später für eine Kirchenzeitung. Typisch für ihn, dass seine politische Karriere im Stadtrat von Aachen begann, ehe er den Sprung in den Bundestag in Bonn schaffte, Laschet wechselte für ein paar Jahre ins Europa-Parlament. 2005 wurde er Integrations-Minister im Kabinett von Jürgen Rüttgers. Und nach dessen Scheitern musste er zunächst Norbert Röttgen an sich vorbeiziehen lassen, der aber gegen Hannelore Kraft den Kürzeren zog. Kaum jemand traute ihm zu, diese Ministerpräsidentin Kraft(SPD) besiegen zu können, auch weil er sich oft genug vornehm zurückhielt und nicht den Clinch mit der SPD-Chefin suchte. Junge Unionisten forderten ihn im Wahlkampf auf: „Grätsch doch mal dazwischen.“ Das war die Zeit nach dem Silvester Skandal von Köln, als Tausende von Frauen vor allem von Ausländern belästigt worden waren und die Polizei nicht in der Lage war, ihnen zu helfen. Es kam ihm in der Folge zugute, dass Hannelore Kraft ihren umstrittenen Innenminister Jäger im Amt beließ, es half ihm, dass die Regierungschefin den Grünen komplett die Schulpolitik überließ. Laschet konnte davon profitieren, dass die SPD in NRW die Meinungsführerschaft verlor, auch weil die Ministerpräsidentin teils lustlos agierte.
Aber wie auch immer: Plötzlich, kurz vor der Wahl 2017, hatte die CDU die SPD in allen Meinungsumfragen überholt. Und Armin Laschet hatte das geschafft, was ihm viele, mich eingeschlossen, nicht zugetraut hatten: er gewann die Wahl.
Er ist wie Johannes Rau- nur auf katholisch
Heute ist er ein ziemlich unumstrittener Ministerpräsident, der relativ schnell auch den richtigen Ton fand im Umgang mit den Menschen im Land. Laschet spricht nicht mehr als CDU-Politiker, er redet als Ministerpräsident für alle Bürgerinnen und Bürger. Oder wie es ein ehemaliger SPD-Minister aus dem Kabinett von Kraft anerkennend gesagt hat: „Der Laschet ist wie Johannes Rau- nur auf katholisch.“ Da ist was dran, er sucht oft genug die überparteiliche Linie, wenn er etwas erreichten will. Er ist nicht der Mann des kleinlichen Parteistreits mit der SPD, aber er hält klare Distanz zur AfD. Und als die furchtbaren Bilder von Chemnitz über den Bildschirm liefen, zitierte er den katholischen Reichskanzler Joseph Wirth, der 1922 angesichts des Treibens der Deutschnationalen formulierte hatte: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden des Volkes träufelt. Und es ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts.“ Wie wahr.
Man weiß nicht, wie sich Laschet entscheiden wird, aber klar dürfte sein: der CDU-Chef von NRW spielt bei der Nachfolge von Merkel als Parteichef eine herausragende Rolle. Und wenn Laschet es will, wird er der Favorit sein, hinter ihm steht der stärkste Landesverband der CDU. Es müsste ihm und seinen Freunden gelingen, die nötigen Mehrheiten zu organisieren. Er hat die Arbeitnehmer hinter sich und er kann mit dem Mittelstand, er kennt die Kirchen und sie ihn, Ausländer sind ihm nicht fremd, er ist versöhnlich wie einst Johannes Rau es für die SPD war. Laschet wird die Flügel der Partei zusammenbinden, als früherer Europa-Politiker weiß er um die Bedeutung der EU und die anstehenden Probleme mit den Nationalisten in vielen Staaten der europäischen Union, er weiß als einstiger Integrationsminister um die Dringlichkeit einer Politik, die die Einwanderung regelt und die Integration erleichtert. Und Umweltschutz war ihm immer schon ein wichtiges Thema, er kann auch mit den Grünen wie mit den Liberalen. Mit FDP-Chef Lindner hat er nach der gewonnenen Landtagswahl die Konditionen für eine liberal-konservative Koalition ausgearbeitet.
Man darf gespannt sein, wie einer wie Jens Spahn reagiert, wenn Laschet seine Ansprüche anmelden würde. Oder ob der Gesundheitsminister dann lieber verzichtet? Man fragt sich ohnehin, was Spahn denn bisher geleistet hat, dass er schon jetzt CDU-Parteichef werden will. Weiß er, dass mit diesem Amt auch die Nachfolge der Kanzlerin in Verbindung gebracht wird, das mächtigste Amt in der Republik?
Als wenn alle auf die Rückkehr von Merz gewartet hätten
Zu fragen ist auch, ob einer wie Friedrich Merz(im November wird er 63 Jahre alt), der zwar die Steuererklärung auf einem Bierdeckel machen wollte, so vereinfacht sollten mal nach seinem Gusto die Steuern werden, ob dieser Merz mehrheitsfähig wäre in der Volkspartei CDU? Vor rund zehn Jahren hat er frustriert der Politik den Rücken gekehrt. Mag sein, dass er sauer auf Merkel ist. So was kommt vor, wenn jemand einem bei der Karriere in die Quere kommt . Aber es ist kaum vorstellbar, dass alle in der Union auf die Rückkehr von Friedrich Merz gewartet haben. Zumal man befürchten muss, dass ein Parteichef Merz den Konflikt mit der amtierenden Kanzlerin Merkel auf die Spitze treiben würde. Mit allen Folgen. Und nur nochmal zur Klärung: der Fraktionschef der Union Friedrich Merz hatte damals, als Merkel ihren Anspruch auf eben diesen Fraktionsvorsitz anmeldete, freiwillig auf dieses Amt verzichtet, er hat auf gut deutsch gekniffen, als es daraus angekommen wäre, um dieses Amt zu kämpfen. Merz hat ein zusätzliches Problem, falls Laschet auch antreten sollte: auch er kommt aus dem Landesverband NRW. Dreimal können Sie raten, wem wohl die Sympathien der Delegierten auf dem Parteitag gehören.
Auch wenn er das selbst nie sagen würde, der Favorit für die Merkel-Nachfolge heißt Armin Laschet. Und der CDU-Chef Laschet hätte dann auch die größten Chancen auf die Kanzlerkandidatur der Union. Übrigens könnte sich die Frage der Kanzlerkandidatur viel früher stellen, als Merkel sich das ausgedacht hat. Angela Merkel ist bei allem Respekt für ihre politische Lebensleistung seit ihrer Ankündigung, nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren und überhaupt 2021 komplett mit der Politik aufzuhören, eine „lame duck“, wie die Amerikaner sagen. Der Anfang vom Ende ihrer großen Karriere hat begonnen.
Bildquelle: Blog der Republik, UP