Während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Berlin die Vorsitzenden der im neu gewählten Bundestag vertretenen Parteien ins Gebet nimmt und auch das Gespräch mit den Präsidenten von Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht sucht, fällt in den Überlegungen immer häufiger das Stichwort Minderheitsregierung. Auch in der SPD mehren sich die Stimmen derer, die einer Alternative zur Großen Koalition und zu Neuwahlen etwas abgewinnen können. Der Dortmunder Abgeordnete Marco Bülow meldete sich nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen mit der bislang wenig geliebten Variante zu Wort.
Schon in der ersten Woche nach der Wahl haben wir im Blog der Republik die Minderheitsregierung ins Gespräch gebracht. Angesichts der schlechten Aussichten für die Koalitionsbemühungen von Union, FDP und Grünen auf der einen Seite sowie der verständlichen und begründeten Absage der SPD an eine Neuauflage der großen Koalition erschien die Minderheitsregierung allemal besser als Neuwahlen.
Nicht als Notlösung, sondern als demokratische Reifeprüfung, durch die der Bundestag aufgewertet und der parlamentarische Streit um die besseren Lösungen neubelebt wird. Als Chefin einer unionsgeführten Minderheitsregierung müsste Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Mehrheiten von Fall zu Fall suchen. Sie müsste transparent werben, verhandeln und überzeugen, statt durchzuregieren.
Bislang hat die mit der Regierungsbildung beauftragte Kanzlerin das strikt abgelehnt. Es entspricht nicht ihrem Regierungsstil. Sie will stabile Verhältnisse. Doch die bekommt sie weder mit Jamaika, noch mit einer großen Koalition. Selbst dann nicht, wenn die Parteichefs Christian Lindner (FDP) oder Martin Schulz (SPD) ihr Nein überdenken. Beide Koalitionsvarianten hätten wohl ein kurzes Verfallsdatum.
Der Druck auf Martin Schulz zum Umdenken wächst auch in der eigenen Partei. Seine Absage an eine große Koalition unter Führung von Angela Merkel war am Wahlabend von der SPD mit Begeisterung aufgenommen worden. Die Notwendigkeit der eigenen Erneuerung, aber auch die einer starken Opposition im Bundestag waren schlüssige Lehren aus dem niederschmetternden Wahlergebnis. Eine große Koalition sollte die Ausnahme, nicht die Regel sein. Dass Schulz sein Nein dazu unmittelbar nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen bekräftigte und dass er zu sehr auf Neuwahlen drängte, wird ihm zunehmend vorgeworfen.
Die Tolerierung einer Minderheitsregierung durch die SPD könnte ein Ausweg sein. Sie eröffnet die Chance, eigene Anliegen durchzusetzen, sich auch in der Opposition zu profilieren und Neuwahlen zu vermeiden. Die wären nicht nur Ausdruck von Geringschätzung des Wählers, sondern in ihrem Ausgang auch unberechenbar. Bei unveränderten Personen und Programmen ist ein komfortableres Ergebnis ohnehin nicht zu erwarten.
Die Sozialdemokraten führen die Debatte. Sie könnten sich mit der Duldung Merkels auch noch eine Weile um die Frage herumdrücken, mit welchem Spitzenkandidaten sie in die nächste Bundestagswahl ziehen würden. Aber natürlich müsste zuerst einmal die Kanzlerin über ihren Schatten springen und Ja zu einer Minderheitsregierung in ihrer vierten Amtszeit sagen.
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