Der 20. Juli ist vorbei. Und die Diskussion über die Beweggründe und Ziele der Verschwörer, die am 20. Juli Hitler umbringen wollten, ist bereits wieder abgeflaut. Diskussionsstille. Aber der Streit kommt wieder. Seit Jahren läuft eine intellektuell laue und graue Diskussion über Beweggründe von Verschwörern des 20.Juli. Diese Diskussion habe ich nicht begriffen. Da schrieb Armin Fuhrer stellvertretend für andere zum 72. Gedenktag an das Attentat auf Hitler: „Warum die Hitler-Attentäter keine Heiligen waren.“ Als ob das irgendjemand behauptet hätte. Da Krieg und Verfolgung und Auslöschung zuallererst und zuletzt an der Person Hitler hingen, war das erste Ziel, diesen Hitler umzubringen.
Das wollte Georg Elser. Ich folge der Darstellung Johannes Tuchels in der Zeit „Bundeskanzler Helmut Kohl war es, der Georg Elser 1984 in seiner Berliner Gedenkrede zum 20. Juli 1944 erstmals staatsoffiziell würdigte. Damit war ein Bewusstseinswandel markiert. Endlich erschienen nun auch Biografien Elsers, und Brandauer fasste den Entschluss, seinen Film zu realisieren. Im Februar 1998 schließlich eröffnete die Elser-Gedenkstätte in Königsbronn, wo er aufgewachsen war. Bewegt lauschten die Menschen in der überfüllten Turnhalle des Dorfes den Worten des Stuttgarter Staatssekretärs Christoph Palmer: „Das Land Baden-Württemberg ist stolz auf einen seiner größten Söhne.“ Zuvor war Elser missachtet, denunziert, posthum gedemütigt worden, weil eine solche Tat, wie er sie beging nicht sein konnte, weil sie nicht sein durfte. Eine immerwährende Schande, die in der andauernden Missachtung von Opfergruppen der Nazis weiterlebt.
Der 20 Juli ist der Tag des „großen Widerstands“, des Widerstands der durch Namen, soziale Herkunft und Bedeutung in der Hierarchie der Hitler- Wehrmacht und in der damaligen Gesellschaft prominenten Menschen. Michael Schmid- Ospach, der frühere Geschäftsführer der NRW- Filmstiftung schrieb in einer Broschüre mit dem Titel „Es gab nicht nur den 20.Juli…“(Jugenddienst-Verlag Wuppertal 1980) vom „kleinen Widerstand“. So nannte er die „0pposition der Namenlosen in ihrer unterschiedlichen Intensität.“
Es ist rund 40 Jahre her, seitdem das geschrieben worden ist. Seitdem ist viel erforscht und dokumentiert worden. Viele Tausende haben sich um die Geschichte und die Geschichten lokalen Widerstands gekümmert, Es sind Dokumentationen und Gedenktafeln entstanden. Vor allem hat sich kritisches Bewusstsein und auch antifaschistisches Denken gebildet, das heute hilft. Aber vieles fehlt noch in der Darstellung und im Wissen über den „kleinen Widerstand“. Manches ist unwiederbringlich verloren.
Diesen sogenannten „kleinen Widerstand“ finden wir an vielen Orten. In meiner Heimatgemeinde am Nordrand der Eifel gab es einen Bäckermeister namens Andreas Girkens. Ein einfacher Mann, wie man so sagt, ein auch unbeugsamer Bürger, Katholik, der sich die Freundschaft zu einer Familie jüdischen Glaubens nicht nehmen ließ. Er wurde beobachtet und drangsaliert, 1944 in das SS- Gefängnis in den Kölner Messehallen transportiert und so misshandelt, dass er an den Folgen starb. Auch das gehört zum Widerstand.
Heinz Kühn, der frühere NRW- Ministerpräsident, hat festgehalten, was er als Widerstand auch verstand, nämlich „Informationen darüber (zu) liefern, dass da immer noch Leute sind, die die Fahne hoch halten ….auch unter schier aussichtslos erscheinenden Umständen.“ Widerstand gegen Alleinsein in der Nazi-Welt.
Kühn, der von den Nazis verfolgt wurde, der emigrierte, dessen Mutter Elisabeth von Nazi-Verbrechern schwerstens misshandelt worden ist, der all das überlebte, beschrieb auch, was mit seinen Kameraden geschehen war: 17 Gruppen zu fünf Kameraden habe es in Köln allein als Organisation seiner sozialistischen Denkrichtung gegen die Nazis gegeben. Aus seiner Fünfer-Gruppe sei Ernst Hirsch enthauptet worden, Georg Reiter im Krieg gefallen, dessen Vater sei erhängt worden, Peter Keller sei ins Gefängnis geworfen worden: „Das war alleine das Erlebnis einer der 17 Gruppen.“
Wenn man sich in Köln in den ICE nach Berlin setzt,
– nachdem man auf dem Kölner Messegelände die Gedenken an die verfolgten und misshandelten sowie nach Buchenwald abtransportierten Juden, Sinti, Roma, an die „Politischen“ und die Christen (die Jenische fehlen leider) besichtigt hat und
– in Spandau aussteigt, findet man dort rasch Gedenken an den „kleinen Widerstand“, um noch mal an Schmid-Ospach zu erinnern.
Dort lebte und litt der sozialdemokratische Polizeimajor Karl Heinrich. Der hat als Revierchef den Reichstag frei von äußeren Bedrängnissen gehalten, was ihm bei den Kommunisten den Namen „Knüppelheinrich“ einbrachte; ein Spitzname, den Goebbels als NS-Gauleiter Berlins begierig aufgriff. Karl Heinrich zog mit anderen zusammen im Norden Berlins eine Widerstandsgruppe auf, die mehr als 100 Nazi- Gegnerinnen und Gegner umfasste. Er wurde verraten. Er kam zusammen mit anderen ins „Zuchthaus Brandenburg“, dann ins KZ. Schwer krank wurde er entlassen, nach dem Krieg zum Kripochef Berlins ernannt; er wurde als „Verräter im KZ“ von 150-prozentigen Kommunisten an die russische Militäradministration denunziert, gefangen gesetzt, Er starb im KZ der Kommunisten in Hohenschönhausen, in deren Lager 5, weil man ihm überlebensnotwendige Medikamente verweigerte.
Einzelne wie die Historiker Siegfried Heimann und Peter Erler haben sich mit ihm beschäftigt (Erler, Peter: Polizeimajor Karl Heinrich – NS-Gegner und Antikommunist. Eine biographische Skizze. Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Jaron Verlag, Berlin 2007).
Sehr oft hängt es an einzelnen Wissenschaftlern wie Heimann oder in Köln an der Lehrbeauftragten und stellvertretenden Leiterin des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Karola Fings, dass der „kleine Widerstand“ größere Beachtung erhält. Manchmal aber auch am Nachbarn, den etwas nicht ruhig bleiben ließ. Wir sollten aufpassen, dass es auf diesem Weg voran geht. Nichtvergessen ist das Fundament, auf dem in Deutschland alle politische Bildung gründet.
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