Coronavirus Welt

Solidarität wird zur Probe aufs Exempel

Es war Samstag der 15. März 2003. In Frankfurt landete eins der vielen Flugzeuge aus New York. Das Robert- Koch- Institut in Berlin  war vorgewarnt worden: An Bord des Fliegers befinde sich ein Arzt aus Singapur, der möglicherweise die neue, gefährliche, ansteckende  Infektionskrankheit Sars in sich trage. Das Flugzeug landete, alle Passagiere sollten zusammengehalten werden, damit sie untersucht werden könnten. Das geschah nicht. Ein Teil blieb abgesondert im Flughafen, ein Teil verkrümelte sich, reiste nach Hause. 

Es entstand eine dramatische Situation. Offenkundig brach in Frankfurt so etwa wie Chaos aus. Wer wusste Bescheid, wo ein Teil, der Passagiere verblieben war? Was unternahm das örtliche Gesundheitsamt? Das zuständige Landesministerium? War Hilfe angefordert worden? Waren Krankenhäuser in der Lage, Dutzende Menschen zu isolieren, die mit dem erwähnten Arzt Kontakt hatten? Was konnte das Robert- Koch-Institut tun? Geholfen haben mir damals Kollegen der Agentur „Associated Press“ aus der Nähe von Frankfurt. Sie sahen die schwierige Lage, boten Informationen an, die mir gestatteten, eine vorsichtige Einschätzung des Geschehens zu erarbeiten. 

An diesem Samstag hatte ich Bereitschaftsdienst in „meinem“ Ministerium, dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung. In diesem „Superministerium“ für die Krankenversicherung, das Behindertenrecht, die Rentenversicherung, Pflege und Sozialhilfe war auch der Infektionsschutz angesiedelt. Der alte Seuchenschutz war 2001 durch ein modernes Infektionsschutz- Gesetz mit geordneten Kompetenzen und Abläufen ersetzt worden. Einen Ernstfall hatte es noch nicht gegeben. Meine Hilfsmittel damals: Telefon und ein kleines gelbes, gut vierzigseitiges Büchlein im Format 15 mal 10 Zentimeter mit den dienstlichen und privaten Telefon- und Handynummern von einem ganzen Haufen von Leuten von der Ministerin bis zur Pressesprecherin  des Robert- Koch-Instituts. Mailadressen: Fehlanzeige. Das „Gemaile“ steckte noch in den Kinderschuhen. Aufgestellt, aber nicht vorbereitet.

Heute hat das Land es mit einer Infektionskrankheit zu tun, die viel ansteckender ist als damals Sars. Und das Land ist wesentlich besser aufgestellt als damals. Aufgestellt – nicht vorbereitet. Von den Virologen über die niedergelassenen Mediziner und – innen bis hin zu den Krankenhäusern. Es war übrigens typisch deutsch, was in Blogs und anderswo zu lesen war: Hab drei Anläufe unternehmen müssen, um das Ergebnis meines Tests zu erfahren. Das mag es ja gegeben haben, ohne Zweifel, aber die Regel war das nicht.   

Gesellschaften wie die der Bundesrepublik sind in einem  außerordentlichen Maß interdependente, von unglaublich vielen gegenseitigen, individuellen und kollektiven Abhängigkeiten geprägte Gesellschaften. Ausgenommen sind jene, die die deutsche Sprache nicht sprechen  und die bereits isoliert leben, überwiegend Alte und die Einsamen. 

Weil Covid 19 in Teilen des Landes um sich greift, lösen sich soziale und ökonomische Ketten auf, in denen Abhängigkeiten jedweder Art stecken. Und in dem Maße, in dem das geschieht, tritt hervor, was auf der politischen Ebene heute immerzu „Zusammenhalt“ genannt wird. Das ist das eigentliche Problem neben denen von Ansteckung,  Kontrolle und persönlichem Verhalten. Die Krankheit legt frei, was an Kitt noch da ist. Ich hoffe sehr, dass noch viel Kitt vorhanden ist. 

Das bedeutet auch: Hört auf Euren ganz normalen Menschenverstand. Der sagt mir nicht: Probier doch mal, ob dir ein Bad in der gedrängten Menge bekommt. Der sagt: Bleib daheim („Bliev zohus un spill mit dinge Fründe Mau-Mau“) Der sagt auch: Kommt die alte Nachbarin noch aus? Braucht die etwas?  Und: Heute geht’s nicht zu den Enkelchen, heute und die kommenden  Tage nicht! Das halten die aus. Und du auch! 

Die Ressource medizinische Versorgung ist die Grundlage. Da gäbe es auch noch eine Menge zu tun, denn im kommunalen Gesundheitswesen ist während der vergangenen Jahrzehnte gespart worden. Darauf baut sich auf, was in der Gesellschaft an Verbundenheit vorhanden ist. Da mitten hinein hat der Charité- Virologe Christian Drosten getroffen, weil er forderte, dass die Jüngeren die Älteren nun „beschützen“, weil die einem höheren Ansteckungsrisiko unterliegen.

Da wartet jetzt eine Aufgabe. Versuchen wir, die zu lösen.

Bildquelle: Pixabay, Bild von Alexandra_Koch, Pixabay License

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Über  

Redakteur 1972 und bis 89 in wechselnden Redakteursaufgaben. 90 bis 99 wiss. Mitarbeiter der SPD-Bundestagsfraktion, Büroleiter Dreßler, 2000 Sprecher Bundesarbeitsministerium, dann des Bundesgesundheitsministeriums, stellv. Regierungssprecher; heute: Publizist, Krimiautor, Lese-Pate.


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