Der Kern der heutigen Renten: Der Rechtsanspruch. Durch Gesetz und Verfassungsgericht definiert und gehärtet. Das Ergebnis: Altersrente folgt den Beiträgen, die Mensch während seines Arbeitslebens geleistet hat. In bestimmten Fällen sagt der Gesetzgeber: Rente wird jenseits der persönlichen Arbeitsleistung aufgebessert: bei vorzeitiger Arbeitsunfähigkeit, wenn Kinder erzogen, Verwandte gepflegt wurden und künftig bei definierten geringeren Rentenansprüchen. Für diese Fälle werden Mittel aus dem Steueraufkommen mobilisiert. Jedenfalls weitgehend. Denn diese Fälle sind versicherungsfremd.
Derzeit reicht die Deutsche Rentenversicherung 302 Milliarden € an Rentenempfänger und – innen weiter. Etwa acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Von den 302 Milliarden stammen 69,5 Milliarden oder 22,7 Prozent aus Steuermitteln.
Es erhalten also so viele Bürgerinnen und Bürger Rente, wie die Niederlande und die Slowakei Einwohner haben – rund 21 Millionen. Die Zahl der ausgezahlten Renten liegt mit rund 25 Millionen noch um einiges höher. Die Rente kommt pünktlich, sie folgt klaren gesetzlichen Vorgaben, ist überprüfbar, dem betreffenden Sozialrecht unterworfen. Das ist ein gewaltiges, beeindruckendes, funktionierendes System. Für mich gilt: Wenn´s um so etwas wie „Nationaleigenschaften“ in einer Diskussion gehen würde (Konjunktiv), dann gehörte das „am Funktionieren halten“ dieses beeindruckenden Systems dazu. Daraus folgt dann auch, dass man bei Vorschlägen, die das Rentensystem betreffen, lange und gut überlegen sollte, bevor man sie in die Öffentlichkeit bläst.
Zurzeit wird darüber debattiert, ob man im Rentenrecht den Schweizer Regelungen folgen solle. Angestoßen wird diese Diskussion durch die Tatsache, dass ab jetzt die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, sodass sich die Proportion zwischen Beitragszahlenden hier und Rentnern und Rentnerinnen dort zu Lasten der ersten verändert. Diese Entwicklung war lange vorauszusehen; der Gesetzgeber hat ja auch in den Jahren zwischen 1989 und 2005 in vielfacher Hinsicht darauf reagiert: Generallinie: Veränderung an vielen „Stellschrauben“ bis hin zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit und Umbau der mathematischen Formel, nach der die Renten jährlich den Lohnerhöhungen folgen, Wegfall mancher Anrechnungszeiten, die nicht beitragsgedeckt waren. Diese Anpassungen und Änderungen haben der Rentenversicherung nach 2005 mittlerweile 15 Jahre relative Ruhe verschafft, nachdem sie vor allem während der achtziger und der neunziger Jahre der politische Angriffsgegenstand Nummer 1 der Konservativen war.
Die relative Ruhe scheint vorbei zu sein. Jetzt wird vorgeschlagen, um wenigstens teils den Zwängen der Baby-Boomer in Rente zu entkommen, die sogenannte Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung aufzuheben. Bis zu 6900 € Monatseinkommen (West) und 6450 € (Ost) unterliegen der Beitragspflicht von 18,6 Prozent. Was darüber hinaus verdient wird, ist frei von der Beitragspflicht. Der Hinweis auf die Schweizer AHV (die dortige Grundversicherung für Alters- und Hinterbliebenenrenten) führt allerdings in die Irre.
Wer in Deutschland 6900 € im Monat verdient, der zahlt heute mit knapp 1300 € monatlich den Höchstbetrag in die Rentenversicherung ein. Wer in der Schweiz allein in die AHV monatlich 1300 Franken einzahlt (8,7 Prozent je zur Hälfte Arbeitgeber und Arbeitnehmer), der hat ein Monatseinkommen von deutlich mehr als 14 000 Fränkli, also ein Jahreseinkommen zwischen 170 000 und 180 000. Das ist mehr als das Doppelte des deutschen Einkommensäquivalents von 82 000 €. In der Schweiz werden Alters-, Hinterbliebenenrente und Ergänzungsleistungen zusammengefasst, was einen Gesamtbeitrag von über 10 v.H. ergibt. Davon zahlt der Arbeitgeber die Hälfte, in einigen Fällen sogar 60 v.H. Hinzukommt die obligatorische Pensionskasse in Stiftungsform. Die Beiträge hierzu sind übrigens gedeckelt bei rund 80 000 Franken Jahreseinkommen.
Man rechnet in der Bundesrepublik mit rund 1,5 Millionen Einkommensbeziehenden, die ein Jahreseinkommen von mehr als 80 000 bis 90 000 € aufweisen. Viele von denen stecken bereits in berufsständischen Versorgungswerken, so dass sie für die Rentenversicherung ausfallen, weil sie nach Paragraph sechs SGB VI befreit sind. Wie viele von den 1,5 Millionen für die Rentenversicherung übrig bleiben, weiß niemand so genau. Man muss also aufpassen, darf keine falschen Erwartungen wecken.
Ferner wird vorgeschlagen, alle Einkunftsarten – Vermögenseinkünfte, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung etc. mit Rentenversicherungsbeiträgen zu belegen. All das kann man machen – einschließlich der Sprengung des Beitragsbemessungs- Deckels.
Am Ende steht freilich kein Versicherungssystem mehr, bei dem die Versicherungsleistung im Regelfall der Arbeitsleistung folgt, sondern der Ergiebigkeit des Steueraufkommens. Das ist unbestreitbar so.
Und dann beginnen sofort die konkreten Probleme:
Wer über die 6900 € hinaus Beiträge zahlt, erwirbt höhere Leistungen – die Spreizung der Renten nimmt zu. Heute liegt sie zwischen rund 850 € in der Grundsicherung und theoretisch 2900 €; bei 50 Beitragsjahren, durchgehend mit Höchstbeiträgen belegt. Ist das gewollt oder will man es so einrichten, dass die über 6900 € hinaus gezahlten Beiträge nicht rentensteigernd wirken? Das landet sofort in Karlsruhe und wird dort kassiert. Darauf kann man wetten.
Beiträge aus Vermietung und Geldvermögen müssen sich ebenfalls – wenigstens mit dem Teil, der über die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen hinausreicht – rentensteigernd auswirken. Die Rente folgt also nicht mehr der persönlichen Arbeitsleistung, sondern sie folgt – bei Aktien – der Arbeitsleistung von Beschäftigten, die selber nichts davon haben. Das so beeindruckende System von persönlicher Leistung und Gegenleistung ist weg. Will man das?
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