Der fragwürdige Asylkompromiss der Union ist auf dem Weg, gemeinsame Haltung der Großen Koalition zu werden. Sodann droht die Abwehrhaltung gegenüber Zuflucht suchenden Menschen die gesamte Europäische Union zu erfassen. Europa rüstet seine Außengrenzen auf und baut sich zur Festung aus. Unter Lagern und Stacheldraht werden die gemeinsamen Werte verscharrt. Menschenwürde und Gerechtigkeit verkommen zu Schutt.
Einsperren, abweisen, zurückschaffen: das hat nichts mehr mit dem Recht auf Asyl zu tun und auch nichts mit der Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen. Die Seele Europas, das sich nach dem Grauen von Krieg und Faschismus in der gemeinsamen Überzeugung des „Nie wieder“ einte, wird verraten und verkauft.
Insofern hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schon Recht, wenn sie sagt, dass die Zukunft der Europäischen Union eng mit der Migrationspolitik verknüpft ist. Nur warum dann besorgt sie das Geschäft der Nationalisten und Europafeinde und beschleunigt den Abbruch all dessen, was das Fundament der Einigung darstellt? Nationale Maßnahmen sind nicht nur unsolidarisch, sondern auch unwirksam, und eine Abschottung des Kontinents nach außen ist verantwortungslos.
Die globalen Fluchtbewegungen sind nicht zuletzt Folge von Klimawandel, Kriegen und Konflikten, die ihre Ursachen auch im kapitalistischen Wirtschaftssystem haben. Noch so streng bewachte Grenzen, noch so menschenverachtende Lager, noch so erbarmungslose Polizeieinsätze im Mittelmeer werden den Drang heraus aus dem Elend auf Dauer nicht stoppen können. Mehr globale Gerechtigkeit ist nötig, die Bereitschaft zu fairem Teilen. Solange der Wohlstand des Nordens auf dem Ruin der Menschen im Süden gründet, steht Europa in der moralischen Pflicht.
Diese Überzeugung einte bislang die Demokraten, und es ist unfassbar, dass sie mit den menschenfeindlichen Parolen von Rechts und den Ängsten, die da geschürt werden, über Bord gehen sollen. Wenn Europa seine Grundwerte aufgibt, wenn es Menschen vor seinen Küsten ertrinken lässt und Flüchtlingen den Schutz vor Gewalt, Vertreibung und Hunger verwehrt, verkommt es zu einer Freihandelszone, in der egoistische und nationalistische wirtschaftliche Interessen rücksichtslos verfolgt werden. Das wäre, ganz nach dem Geschmack des US-Präsidenten Donald Trump, ein anderes, ein hässliches Europa.
Diejenigen, die das menschliche Antlitz des Kontinents verteidigen könnten, ziehen sich in die Defensive zurück. Vermutete Stimmungen werden zur Triebkraft für politisches Handeln. Das von den Rechtspopulisten vergiftete Klima erweckt den Anschein einer verbreiteten Zustimmung zu rigorosen Abwehrmaßnahmen. Die Demokraten gehen den Rattenfängern auf den Leim, die bayerische CSU meint gar, sie rechts überholen zu müssen, um das befürchtete Desaster bei den Landtagswahlen im Herbst abwenden zu können. Dabei wäre der Verlust der absoluten Mehrheit beileibe kein Drama, eine Koalition keine Schande, wenn sie die Gemeinsamkeit der Demokraten bewahrt. Horst Seehofer und Markus Söder jedoch setzen genau die aufs Spiel, sie biedern sich der AfD an und treiben ihr damit die Wähler zu.
Europas Rechte hat den jüngsten Asylkompromiss bejubelt. In der Sache ist das alles vage, aber der Ton ist ganz nach ihrem Gusto. Nicht anders ist es mit der Einigung von CSU und CDU, die Bundesinnenminister Seehofer der Kanzlerin abgepresst hat. Die Sprache allein erweckt den Eindruck, dass es darum gehe, eine außerordentliche Bedrohung abzuwenden. Von steuern, sichern, Ordnung schaffen ist die Rede, nicht von Hilfe für Menschen in Not. Mit allen – auch rechtlich fragwürdigen – Mitteln sollen sie ferngehalten werden. Der Ungeist der Unmenschlichkeit beherrscht die Köpfe in den sich christlich nennenden Parteien, und er hat offensichtlich auch die neue Führung der Sozialdemokraten erfasst.
Das klare Nein zu Transitzentren, die von Unionsseite schon einmal gefordert worden waren, bröckelt. Anders als ihr Vorgänger Sigmar Gabriel hat die neue SPD-Vorsitzende Andrea Nahles keine grundsätzlichen Einwände gegen solche Lager, in denen Asylbewerber landen sollen, damit sie als nicht eingereist gelten und ihnen folglich ihre Rechte vorenthalten werden. Rückgrat zeigt das nicht. Das Profil, das die SPD schärfen wollte, verwässert zusehends weiter. Ihrer Rolle als Korrektiv in der Koalition mit den Konservativen wird sie so nicht gerecht. Ihr Bekenntnis zu Europa geht in dem schäbigen Geschacher unter.
Es fehlt an Haltung. Andrea Nahles hat schon vor Wochen Sympathien für eine härtere Gangart in der Asylpolitik erkennen lassen. „Wir können nicht alle bei uns aufnehmen“, sagte sie in einem Interview in reinster Populistenmanier, denn das ist eine blanke Selbstverständlichkeit und steht überhaupt nicht zur Debatte. Das Signal jedoch mag Seehofer zu seinem erpresserischen Vorgehen durchaus ermuntert haben. Eine Einigung auf Transitzentren innerhalb der Union allein hätte ja keinen Sinn ergeben, wenn er mit der Standhaftigkeit des Koalitionspartners hätte rechnen müssen.
So schwindet die Glaubwürdigkeit der SPD, die in der ganzen Debatte kaum noch von sich reden macht. Das Fünf-Punkte-Programm, das die alte und richtige Forderung nach einem Einwanderungsgesetz neu stellt, ist in der Diskussion untergegangen. Wie seit Jahren schon.
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