In die Erneuerungsdebatte der SPD haben sich die Alt-Sozialdemokraten Hans-Jochen Vogel und Erhard Eppler eingeschaltet. In einer gemeinsamen Initiative, die dem Blog-der-Republik als zweiseitiges Papier vorliegt, plädieren sie dafür, drei Themen ins Zentrum der Debatte zu rücken: Die drohende Zerstörung der Natur, die Verringerung der sich ständig erweiternden sozialen Kluft und die Zähmung und Kontrolle des seine Macht kontinuierlich steigernden neoliberalen Kapitalismus. In einem Begleitschreiben an den SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil machen Vogel und Eppler darauf aufmerksam, „ohne die Bedeutung dieser Initiative übertreiben zu wollen, dass es sich hier um eine Äußerung von zwei Genossen handelt, die der Partei seit Jahrzehnten angehören und wohl die letzten Lebenden sind, die noch zentrale öffentliche Verantwortung innehatten und die die Partei teils geführt, teils auf auf andere Weise beeinflusst haben.“
Vogel, wie Eppler Jahrgang 1926, war OB in München, dann Bau- und später Justizminister in den sozialliberalen Koalitionen unter Willy Brandt und Helmut Schmidt, dann Kanzlerkandidat der Partei, später Fraktions- und Parteichef der SPD. Eppler gehörte der ersten großen Koalition 1966 unter Kurt-Georg Kiesinger und danach dem Kabinett von Willy Brandt als Entwicklungshilfeminister an, er war Mitglied des Bundestags wie des Landtags in Baden-Württemberg, er war mehrfach Kirchentagspräsident und einer der führendem Mitglieder der Friedensbewegung. Er gilt als Vertreter des linken Flügels der SPD, unterstützte jedoch die umstrittenen Reformen der Agenda 2010 des Kanzlers Gerhard Schröder, bejahte den Kosovokrieg und den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Eppler wandte sich auch gegen eine „Verteufelung „von Russlands Präsident Putin.
Kernpunkte schärfen das Profil der SPD
In der gemeinsamen Initiative räumen beide Politiker ein, dass man „natürlich auch auf andere Herausforderungen konkret antworten“ müsse, wie zum Beispiel auf die „Flüchtlingsströme, die sich abzeichnenden Auswirkungen der digitalen Entwicklung, auf die Krise der EU und das Anwachsen rechtspopulistischer Protestparteien. Also bei uns der AfD, die übrigens in nicht wenigen Feldern auf Positionen zurückgreift, die bis vor einiger Zeit die CDU vertreten hat und die CSU sogar bis heute vertritt.“ Aber Vogel und Eppler betonen, dass es „Kernpunkte“ geben müsse, „die unser Profil deutlich erkennen lassen“. Und das seien die oben genannten Themen.
Als ersten Kernpunkt bezeichnen beide die Probleme der Umwelt, den „Übergang vom geologischen Erdzeitalter des Holozän in die des Anthropozän“. Trotz einiger Erfolge im Umweltschutz seien die Effekte des menschliches Handelns auf die Umwelt eskaliert. Den Naturgewalten gleich sei der Mensch zur stärksten Kraft auf unserem Planeten geworden, warnen die Alt-Sozialdemokraten. Der Mensch „gefährdet die ökologische Tragfähigkeit der Erde“. Planetarische Grenzen, die für unser Leben essentiell seien, würden bereits überschritten, der ökologische Fußabdruck belege, „dass die Menschheit auf Kosten der Substanz lebt.“ Der vom Menschen verursachte Klimawandel mache sogar die ökologische Selbstvernichtung möglich.
Soziale und ökologische Gerechtigkeit
Vogel und Eppler erinnern an die Enzyklika Laudato si‘ (Über die Sorge für das gemeinsame Haus ) von Papst Franziskus, in der eindringlich auf die Gefahren des falschen ökonomisch-technokratischen Paradigmas hingewiesen werde. Das bedeute nicht, dass sich damit andere Gefahren, insbesondere die Kritik am Kapitalismus erledigt hätten. Im Gegenteil: Sie bekämen sogar noch eine weitergehende Aktualität. Die zentrale Aufgabe der SPD sei es, „soziale und ökologische Gerechtigkeit miteinander zu verbinden. Notwendig ist ein neues Fortschrittsverständnis, das nicht auf dem Gedanken einer technisch-ökonomischen Liberalität aufbaut, sondern auf der Leitidee der Nachhaltigkeit.“
In der Sozialpolitik muss sich nach Ansicht von Vogel und Eppler manches Grundlegende ändern, weil die wachsende soziale Kluft und die damit verbundene zunehmende Ungleichheit den „Zusammenhalt unserer Gesellschaft und letzten Endes sogar die Demokratie bedroht“, weil sich ein zunehmendes Prekariat in ein gesellschaftliches Ghetto zurückziehe und schon diejenigen, die fürchteten, in dieses Prekariat abzusinken, mehr und mehr für radikale Aktivitäten missbraucht werden könnten und jetzt schon missbraucht würden. Die beiden Sozialdemokraten beklagen vor allem die wachsende Spreizung der Einkommen, die nach oben geradezu explodiert sei und dazu geführt habe, dass Vorstandsmitglieder von Dax-Unternehmen heute zweihundertmal so viel verdienten wie die normalen Arbeitnehmer. Früher hätten die Chefs maximal das Zwanzigfache erhalten. Ferner kritisierten sie die Vermögensentwicklung „mit der Konzentration des Zuwachses auf ein Prozent der Bevölkerung am obersten Ende der Skala und der wachsenden Vermögenslosigkeit von fünfzig Prozent in der unteren Hälfte.
Die soziale Kluft, die ja auch auf der globalen Ebene zu beobachten sei, sei auch eine der Ursachen des Flüchtlingsstroms.
Als letzten und wichtigen Punkt ihrer Anmerkungen für eine Erneuerung der SPD weisen Vogel und Eppler auf die Fehlentwicklungen in der Finanzpolitik hin. Große und weltweit agierende Unternehmen entzogen sich mehr und mehr der staatlichen Kontrolle und setzten Entscheidungen, die ihren Firmen dienten, gegen den Staat durch. So übertreffe das Volumen des Finanzkapitals, das ohne Bezug zur realen Wirtschaft auf dem Finanzmarkt bewegt werde, das Volumen des Wirtschaftskapitals inzwischen um das Mehrfache. Mit dieser Problematik beschäftige sich auch der Vatikan, schreiben Vogel und Eppler in ihrem zweiseitigen Papier an den SPD-Generalsekretär, und erinnern an einen Text aus Rom „Erwägungen zu einer ethischen Unterscheidung bezüglich einiger Aspekte des gegenwärtigen Finanzwirtschaftssystems“.
Kapital hat dem Allgemeinwohl zu dienen
Beispiele der Fehlentwicklungen: Die Finanzkrise, so die beiden SPD-Alten, und deren Folgen seien noch keineswegs überwunden. Vogel und Eppler erwähnen weiter die enormen Steuermanipulationen, an denen auch deutsche Banken beteiligt seien. Und sie lassen auch die jüngsten „Abgasskandale unserer Automobilproduktion“ nicht unerwähnt. Als Weltmacht zitieren sie als Beispiel das Unternehmen Google. Der marktradikalen Ideologie, die immer noch als eine marktkonforme Demokratie vertreten werde, müsse das sozialdemokratische Grundverständnis eines demokratiekonformen Marktes entgegengesetzt werden. Dazu gehöre auch, dass dem Markt für den Umgang mit Grund und Boden engere Grenzen gezogen und dieser mehr am Gemeinwohl ausgerichtet werde.
Das Kapital habe dem Allgemeinwohl zu dienen und nicht das Gemeinwesen zu beherrschen, erinnern beide Sozialdemokraten an ein altes sozialdemokratisches Prinzip . Übereinstimmungen ergäben sich mit den Soziallehren der beiden christlichen Kirchen und aktuell mit konkreten Aussagen von Papst Franziskus. Sie betonen zugleich die Wichtigkeit ihrer Forderungen, die die Menschen erreicht und emotional angesprochen hätten. Das hätte die lebhafte Debatte über die sogenannten Boni-Zahlungen bei VW und anderen Unternehmen deutlich gemacht. Und schließlich eigneten sich die Forderungen auch für die offensive Auseinandersetzung mit den nationalistisch rechtspopulistischen Kräften-also der AfD. Und diese Auseinandersetzung, da sind sich beide absolut sicher, „muss auf jeden Fall geführt werden.“
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