Eine Backpfeife, mäßig und mau: bei der Bewertung des Ergebnisses, mit dem Andrea Nahles zur ersten Frau im SPD-Vorsitz gewählt worden ist, greifen viele Kommentatoren zum Miesmacher-Vokabular. Zwei Drittel der Stimmen lassen sich, nach der heftigen Niederlage bei der Bundestagswahl und dem Streit über die neuerliche Beteiligung an der Großen Koalition, auch nüchterner einordnen. Oskar Lafontaine hatte dereinst in Mannheim, als er Rudolf Scharping aus dem Amt jagte, ein schlechteres Ergebnis.
In der Partei herrscht nicht süße Harmonie, noch setzt sie auf eine Heilsbringerin, mit der allein schon alles wieder gut wird. Die SPD kämpft gegen den Niedergang, und sie hat ihrer neuen Vorsitzenden deutlich zu verstehen gegeben, dass dazu auch nach innen Überzeugungskraft nötig ist. 66 Prozent sind ein Weckruf gegen die Behäbigkeit. Das strapazierte Wort von der Erneuerung muss mit greifbaren Inhalten gefüllt werden.
Nahles hat die Kernbereiche angesprochen, in denen sie das sozialdemokratische Profil aufpolieren will: die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Sie will Hartz IV nicht abschaffen, aber reformieren, Fehlentwicklungen korrigieren, unerwünschte Folgen beseitigen. Nun sind konkrete Schritte gefragt, ein Ende der entwürdigenden Sanktionen, Maßnahmen gegen die Kinderarmut, ein fairer zweiter Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose, das Rückkehrrecht nach Teilzeit. Die Handschrift der SPD wird erkennbar, wenn sie offensiv gegen die soziale Spaltung angeht und den Wohlstand gerechter verteilt.
Das gilt auch und gerade für Europa. Die Menschen und nicht die Märkte müssen das Maß aller Dinge sein. Neoliberalismus und Raubtierkapitalismus, Steuerbetrug und Steuervermeidung schanzen die Gewinne der Globalisierung einseitig den privatwirtschaftlichen Konzernen zu. Die Gemeinwesen werden geplündert, gesellschaftliche Fortschritte bleiben auf der Strecke. Solidarität ist ein sozialdemokratischer Markenkern und für die Akzeptanz der Europäischen Union unverzichtbar. Bei den anstehenden Reformen in deutsch-französischer Kooperation ruht auf der SPD die Last, der Solidarität mehr Geltung zu verschaffen und die Idee der europäischen Einigung nicht den Interessen der Wirtschaft und auch nicht denen der Nationalisten und Populisten zu opfern.
Die Eintrittswelle, die die SPD in jüngsten widrigen Zeiten erlebt hat, zeugt von der Bereitschaft vieler, sich gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck zu stemmen. Es war ja beileibe nicht nur die NoGroko-Kampagne, die neue Mitglieder zum Parteiantritt veranlasste, sondern es waren auch die Wahl von Donald Trump in den USA und der Einzug der AfD in den Bundestag. Die SPD steht im Kampf gegen den Rechtsextremismus in der Tradition und in der Verantwortung. Eine entschiedene Sozialpolitik ist das Fundament.
Besinnung auf die sozialdemokratischen Wurzeln tut auch in Fragen von Krieg und Frieden Not. Andrea Nahles hat angesichts der aktuellen Weltunordnung mit gutem Grund an die Entspannungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr erinnert. Zugleich gehört die SPD aber nun jener Bundesregierung an, die den völkerrechtswidrigen Militäreinsatz von Amerikanern, Briten und Franzosen in Syrien als „angemessen und erforderlich“ begrüßt, und der sozialdemokratische Außenminister Heiko Maas applaudiert dazu.
Da wird nicht nur der Spagat zwischen Parteiprofil und Regierungsbeteiligung sichtbar, sondern da zeigt sich auch die Bandbreite der Positionen innerhalb der Partei. Außenminister genießen traditionell ein hohes Ansehen in der Bevölkerung; mit einem Amtsinhaber aber, der leichtfertig auf die militärische Karte setzt und das Feindbild Russland pflegt, wird die SPD von diesem Bonus nicht profitieren.
Auf Andrea Nahles kommt jede Menge Arbeit zu. Als Fraktionsvorsitzende im Bundestag soll sie der Großen Koalition von Kanzlerin Angela Merkel dienen, als Parteivorsitzende der SPD zu einem Wiedererstarken als Volkspartei verhelfen. Sie hat auf dem Parteitag in Bonn für die Regierungsbeteiligung gekämpft, und sie hat in Wiesbaden – allen Erfahrungen der vorherigen GroKo zum Trotz – versichert, dass beides gleichzeitig möglich sei. Nun hat sie es in der Hand, den Beweis dafür anzutreten. Die erste Frau im Amt muss liefern.
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