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Die SPD hat ihren Kanzlern das Leben nie leicht gemacht – Auch die Geschichte der Kanzlerkandidaten der Partei ist eine besondere

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
10. August 2015
Wahlplakat

Mit Helmut Kohl, Franz-Josef Strauss, Edmund Stoiber und und Angela Merkel haben CDU/CSU seit 1976 nur 4 Kanzlerkandidaten. In der selben Zeit verschliss die SPD 6 Kandidaten und zwei Kanzler. Sigmar Gabriel wäre der 9.Kandidat bei der 12. Wahl.

Die SPD und ihre Kanzler sowie ihre Kanzlerkandidaten, das ist eine besondere Geschichte. Hat doch die Partei ihren jeweiligen Führungsleuten das Leben oft nicht leicht gemacht. Sicher, die Sehnsucht, zu regieren, war und ist in der ältesten deutschen Partei tief verwurzelt, aber wenn es dann passiert, wird es schwierig. Der frühere Bundesminister Jürgen Schmude, ein umsichtiger SPD-Politiker aus der Zeit von Willy Brandt und Helmut Schmidt, drückte das mal so aus: „Wenn wir nicht regieren, ist es uns nicht recht. Wenn wir aber regieren, sind wir auch nicht zufrieden.“

Die aktuelle Diskussion, von einem blassen Ministerpräsidenten namens Albig angeschoben, ist so unwichtig wie ein Kropf, wie die Bayern zu sagen pflegen. Wir schreiben das Jahr 2015, gewählt wird im Bund erst 2017, gleichwohl meinte Albig, die Öffentlichkeit mit seiner sensationellen Meinung nicht länger verschonen zu dürfen. Also sagte er, im Grunde brauche die SPD gar keinen Kanzlerkandidaten, weil Angela Merkel unschlagbar sei. Darauf reagierte kurze Zeit später der einstige Chef von Albig, Peer Steinbrück, der war immerhin Bundesfinanzminister und Albig war sein Sprecher. Und Steinbrück, der letzter Kanzlerkandidat der SPD war, der gegen Merkel unterlag, musste unbedingt seinen Senf dazugeben. Schließlich weiß er, worauf es ankommt, oder? Aber was sagte er wirklich? Ich weiß es nicht mehr, war auch nicht wichtig.

Vor ein paar Tagen hat sich NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft(SPD) zu dem Thema geäußert. Warum, weiß kein Mensch, aber sie tat es im Gespräch mit einer Illustrierten. Sie wiederholte, was sie vor Jahr und Tag schon mal gesagt hatte, dass sie nämlich nicht zur Verfügung stehen werde, weil sie in NRW bleibe und dort genügend Arbeit habe. Was ihr gutes Recht ist, aber ihre Bedeutung im Bund ein Stück weit reduziert hat. Aber anders als der resignierende Albig betonte Kraft, selbstverständlich werde die SPD einen Herausforderer von Merkel nominieren, denn auch Merkel sei nicht unschlagbar.

Juso-Chefin für Urwahl des Kandidaten

Die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann (Jahrgang 1987) hat sich dann eingeschaltet in die Debatte. Frau Uekermann stammt aus dem niederbayerischen Straubing, aus einer Region, in der die SPD auf Landesebene die Größe einer Sekte hat, spielt sie doch im Wettbewerb um den Ministerpräsidenten im Freistaat- anders als in den Städten- seit Jahrzehnten keine Rolle. Bei Landtagswahlen in Bayern gilt ein etwas abgewandelter Spruch von Willy Brandt: 20 Prozent sind auch ein schönes Ergebnis. Aber wie auch immer, die Juso-Chefin hat gefordert, die SPD solle ihren Kanzlerkandidaten in einer Urwahl wählen. Aber eine solche Wahl würde mehrere Kandidaten voraussetzen. Sigmar Gabriel, der Parteivorsitzende, dem ein Zugriff auf das Amt quasi zusteht, und dem die Politologin aus Straubing, Mitarbeiterin des SPD-Fraktions-Vize Axel Schäfer, hin und wieder gehörig auf die Nerven gehen soll, wie erzählt wird, hat auch schon zugestimmt, was aber nicht bedeutet, dass er sich als gesetzt sieht. Wer sonst, bitte?

Aber egal, das mit der Urwahl hatte die Partei schon mal gemacht und zum Ärger von Schröder und anderen hatten die Sozialdemokraten 1993 Rudolf Scharping zum Parteivorsitzenden nominiert, den Landeschef von Rheinland-Pfalz. Scharping gehörte zu den Enkeln Brandts, der ihn stets gefördert hatte. Bekannt ist der Spruch des SPD-Übervaters: „Unterschätzt mir den Mainzer nicht.“ Das taten dann die Sozialdemokraten nicht, aber die Mehrheit der übrigen Wählerinnen und Wähler sahen das anders und entschieden sich 1994 wieder einmal für Helmut Kohl. Woran er wirklich gescheitert war, der Mann aus Lahnstein? Weil er gegenüber Journalisten mal Brutto und Netto verwechselte und anschließend von den Bonner Korrespondenten gegrillt wurde? Oder weil er die Unterstützung von Schröder und Lafontaine nicht wirklich hatte? Oder an seinem eigenen Unvermögen? Ein Jahr später setzten ihn die Genossen ab auf dem Parteitag in Mannheim. Gegen den Willen von Johannes Rau und Jochen Vogel. Die Genossen – in Umfragen bei 23 Prozent angekommen – hatten es eilig mit der Abwahl Scharpings, die die Satzung nicht vorsah. Also änderten sie diese im Schnellverfahren – Gegner riefen: Putsch!- und wählten Oskar Lafontaine auf den Thron der SPD.

Gerhard Schröder, damals noch Freund des Saarländers, hatte an der Geschichte mitgestrickt, sich aber selber vornehm zurückgehalten. Schröder wollte Kanzler werden. Also überließ er Lafontaine den Parteivorsitz und erst nach der vom Hannoveraner überlegen gewonnenen Landtagswahl im Frühjahr 1998 in Niedersachsen blieb Lafontaine keine andere Wahl, als seinem „Parteifreund“ die Kanzlerkandidatur anzudienen. In einem Telefonat mit Schröder begrüßte er diesen am Wahlsonntag gegen 17 Uhr – eine Stunde vor Schließung der Wahllokale-mit den Worten: „Hallo Kanzlerkandidat.“ Beide, Schröder und Lafontaine, hatten die Wahlvorhersagen der Wahlforscher frühzeitig mitgeteilt bekommen und Schröder und der SPD in Niedersachsen ein Ergebnis von 47 Prozent, also absolute Mehrheit, prophezeit. Der Rest ist bekannt, im September wurde Kohl abgewählt, Schröder konnte die erste rot-grüne Bundesregierung bilden.

Brandt bewundert, Schmidt respektiert

Es gab schon viele Kanzlerkandidaten der SPD, die meisten scheiterten am CDU-Kanzler. Kurt Schumacher an Konrad Adenauer, der auch Erich Ollenhauer keine Chance ließ auf den Einzug ins Palais Schaumburg, so der Name des damaligen Kanzleramtes. Auch Willy Brandt konnte es im ersten Anlauf nicht schaffen, den „Alten aus Rhöndorf“ abzulösen. Erst folgte Ludwig Erhard Adenauer ins Amt, dann Kurt-Georg Kiesinger, der CDU-Politiker aus Baden-Württemberg, der die erste große Koalition in Bonn bildete, mit Willy Brandt als Außenminister. Bei der folgenden Wahl 1969 gelang Brandt die Bildung der ersten sozial-liberalen Koalition. 1974 dankte er wegen der Guillaume-Affäre ab, ihm folgte Helmut Schmidt, der 1976 die Koalition mit der FDP fortsetzen konnte, allerdings verfehlte sein Gegenkandidat von der CDU, Helmut Kohl, mit 48,6 vh der Stimmen die absolute Mehrheit nur knapp. Helmut Schmidt blieb auch nach der Wahl 1980- sein Herausforderer war Franz-Josef Strauß- Bundeskanzler, erst zwei Jahre später wurde er von Kohl durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt.

Willy Brandt wurde von großen Teilen der SPD bewundert, Helmut Schmidt haben die Genossen respektiert. Aber beide hatten ihre Probleme mit ihrer Partei. Mal waren die Gründe der Distanz in der Finanz-, Sozial- und Haushaltspolitik zu suchen oder/und auch in der Außen- und Sicherheitspolitik, was sich vor allem in den letzten Jahren der Schmidt-Regierung zeigte.

Von Schumacher bis Steinbrück

Erster Kanzlerkandidat nach dem Sturz von Schmidt war der frühere Justizminister Hans-Jochen Vogel, der sich –chancenlos gegen Kohl- in die Pflicht nehmen ließ. Allerdings von heute aus betrachtet ein Ergebnis erzielte, von dem Gabriel nur träumen kann: 38,2 Prozent. Es gab noch keine Linke, die Grünen waren noch schwach. Vier Jahre später versuchte es Johannes Rau. Ergebnis: 37 Prozent. 1990, bei der ersten gesamtdeutschen Wahl, verlor die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine, auf den wenige Monate vor der Wahl ein Attentat verübt worden war, mit 33,6 Prozent der Stimmen deutlich. Sein Nachfolger war Rudolf Scharping (36,4 Prozent). Gerhard Schröder erreichte dann die Mehrheit der Stimmen mit 40,9 Prozent, die Ära Kohl war beendet. Vier Jahre später konnte Schröder seinen Herausforderer Edmund Stoiber ganz knapp besiegen, aber drei Jahre danach- der Bundeskanzler hatte nach dem Verlust der NRW-Wahl- Neuwahlen gefordert und durchsetzen können- war es so weit: Angela Merkel gewann hauchdünn gegen den Amtsinhaber: 35,2 vh zu 34,2 vh. Folge: große Koalition mit Gabriel, Steinbrück, Steinmeier, Müntefering.

2009 trat ein neuer Mann in den SPD-Ring: Schröders früherer Kanzleramtschef, Frank-Walter Steinmeier und als solcher mehr hinter den Kulissen arbeitend, forderte vergeblich Merkel heraus und landete bei bescheidenen 23 Prozent. Sein Nachfolger Peer Steinbrück, Finanzminister der großen Koalition, in NRW gescheiterter Ministerpräsident, umstritten in der SPD, sollte es kaum besser ergehen als Steinmeier. 25,7 vh erzielte er, Merkel schraubte das Unions-Ergebnis auf 41,5 Prozent.

Wenig Beliebtheit der Führungsriege

Und was, um auf den Anfang zurückzukommen, die Beliebtheit der SPD-Führungsriege angeht: Mit Schröder und vor allem seiner Agenda 2010 hatte die Partei ihre großen Probleme, Zigtausende verließen die SPD, in Umfragen sackte sie ab und entfernte sich von ihrer Regierungsfähigkeit. Dass die Zahl der Arbeitslosen auf ein Rekordtief gesackt ist, dass die Wirtschaft brummt, all das konnte große Teile der SPD nicht zufriedenstellen. Ähnlich erging es Peer Steinbrück, der als Finanzminister in der ersten großen Koalition unter Merkel sehr erfolgreich war, aber nie das Charisma erreichte, um die SPD auf Siegeskurs zu führen. Auch dass ihn sein alter Mentor Helmut Schmidt unterstützte, half ihm nicht. Dabei darf man daran erinnern, dass die SPD gegen Ende der Kanzlerschaft Schmidts auch mit dessen Politik nicht einverstanden war.

2015: Der Kolumnist des Berliner Tagesspiegel, Harald Martenstein, schrieb in seinem Sonntagsbeitrag für das liberale Blatt der Hauptstadt von der „SPD-Kanzlerin Angela Merkel“. Sie habe es „klugerweise vermieden, in die für die Kanzler immer schwierige SPD einzutreten. Die CDU kommt sogar mit einer SPD-nahen Kanzlerin deutlich besser zurecht als die SPD selbst. Es hat eigentlich noch nie eine Legislaturperiode gegeben, in der so viel Sozialdemokratie umgesetzt wurde wie jetzt gerade. Rente mit 63, Mindestlohn, Doppelpass, Frauenquote, Mietpreisbremse, das alles hätte es unter einem Kanzler Peer Steinbrück vermutlich nie gegeben, weil ihm die eigenen Leute ständig Intrigengespinste zwischen die Beine geworfen hätten.“ Fazit für Martenstein: Angela Merkel ist, ohne das Parteibuch, die sozialdemokratischste Kanzlerin aller Zeiten.“ Aber auch klar: Es wird, so oder so, eine Kandidatin oder einen Kandidaten der SPD geben, der gegen die Kanzlerin antritt. Und irgendwann wird der Karikaturist Heiko Sakurai Recht bekommen mit seiner Zeichnung, an die wir im Blog-Der-Republik schon mehrfach erinnert haben, die den Altkanzler Schröder auf dem Sockel zeigt und dieser der vorbeiziehenden Merkel hinterherruft: „Noch sind Sie Kanzlerin, aber irgendwann is immer Ende.“ Irgendwann.

Bildquelle: Wikipedia, Bundesarchiv, B 145 Bild-F086568-0028 / Kirschner, Harald / CC-BY-SA

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Tags: Frank-Walter SteinmeierFranz MünteferingGabrielHans-Jochen VogelHelmut SchmidtJohannes RauKanzlerkandidatKurt SchumacherOskar LafontainePeer SteinbrückSPDWilly Brandt
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