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„Haut den Draghi“:  Machtkampf um die EZB

Dieter Spöri Von Dieter Spöri
25. April 2016
Deutschland ist stabil, aber die Krisen rücken näher

Die aktuell immer schrilleren Rufe deutscher Politiker nach einem „deutschen“ Nachfolger für EZB-Präsident Mario Draghi klingen europaweit so kraftmeierisch, dass sie die ohnehin angeschlagene Position Berlins innerhalb der EU weiter schwächen werden. Die Europa in den letzten Jahren immer stärker spaltende Wahrnehmung einer wachsenden deutschen Dominanz, ja „gefühlten“ Bevormundung, wird durch so pralle Parolen wie „mehr deutsche Handschrift“ in der EZB geradezu potenziert.

Angela Merkel, die zur vielstimmigen deutschen EZB-Kritik ansonsten am liebsten stoisch schweigt, konnte angesichts des anschwellenden deutschen Draghi- Bashings nicht umhin, mitten auf ihrer holländischen Kurzvisite zur Entgegennahme des „Four Freedoms Award“, die Protagonisten der permanenten Anti- EZB- Kampagne eindringlich an die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank zu erinnern.

Nullzinspolitik als Wahlkampfthema

Dies war ein überfälliger Versuch zur Schadensbegrenzung, der bisher zuhause leider wirkungslos verpufft. Denn in Wahrheit geht es den politischen Wortführern dieser Kampagne gar nicht um eine ernsthafte Diskussion über mögliche konkrete Alternativen zur aktuellen Geldpolitik der europäischen Zentralbank und schon gar nicht um den Kopf von „Super-Mario“,  sondern nur um die Erzeugung eines diffusen Eindrucks der Gegnerschaft und Unzufriedenheit mit dem Chef der EZB. Wenn sich die illustre politische Speerspitze dieses Protests schon nicht traut, einfach ganz klar einen deutlichen Zinsanstieg zu fordern, möchte man doch irgendwie durch bloße Stimmungsmache sein Unbehagen über die unpopuläre Niedrigzinspolitik artikulieren. Und das möglichst jetzt noch ganz schnell, bevor die AfD die Zinspolitik der EZB neben der Migration auch noch zu ihrem neuen Protestthema macht. Es geht dabei um nichts anderes als das „politische Urheberrecht“ für das Wahlkampfthema „Nullzinspolitik“ rechtzeitig vor Beginn des nächsten Bundestagswahlkampfes.

Kernbotschaft 2017: „Haut den Draghi“

Offensichtlich soll eine der Jahrmarktlosung „Haut den Lukas“ nachempfundene kritische Kampagne gegen die EZB schon im Vorwahlkampf zu einem zentralen Thema werden. Dabei lassen sich die verbalen Attacken in der komplizierten Geldpolitik am besten polemisch durch unsachliche Angriffe auf den Chef der Zentralbank zuspitzen. „Haut den Draghi“ scheint zu einer Kernbotschaft im Bundestagswahljahr 2017 zu werden. Wenn man dabei schon geld- und zinspolitisch keine handfesten seriösen Alternativen hat, kann man immer noch auf die genauso substanzlosen wie realitätsfernen Vorurteile setzen, der Italiener Draghi mache eine Geldpoltik speziell im Interesse der südlichen Krisenländer, opfere dabei die deutsche Stabilitätskultur und erzeuge eine latente Inflationsgefahr. Die genau umgekehrte Realität der aktuell gefährlichen Deflationsgefahr stört bei derartig schwungvollen Kampagnen nur wenig.

Wortführer der Anti-EZB-Kampagne

Das Lager der deutschen EZB-Kritiker wächst inzwischen dynamisch: Nachdem bereits als prominente Wortführer der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer und Altmeister Edmund Steuber vorsorglich für die CSU deutlich in Frontstellung zur geldpolitischen Linie der europäischen Zentralbank gingen, sprang natürlich sofort auch der bayerische Finanzminister Markus Söder aufs politische Podium und geißelte kraftvoll die Schäden der Nullzinspolitik für die Inhaber von Sparguthaben und Lebensversicherungen.

Auch die Schwesterpartei CDU besetzte parallel mit Michael Fuchs, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag diesen unbestreitbaren Zielkonflikt der aktuellen Geldpolitik, wobei ihn auch alle Unionsexperten aus den Länderparlamenten unterstützten. Fuchs fordert inzwischen eine „laute“ Debatte gegen Draghis Geldpolitik.

Doch noch haben bei den schrilleren Tönen mal wieder die Bayern innerhalb der Unionsfraktion eindeutig die Nase vorn: Hans-Peter Friedrich und Hans-Peter Uhl legten mit einer bizarren Personaldebatte einen Zahn zu und forderten nach einem „massiven Glaubwürdigkeitsverlust der EZB“ –  so Friedrich – künftig einen deutschen Chef an der Spitze der Europäischen Zentralbank. Diese brauche nach Markus Söder einfach „mehr deutsche Handschrift“.

Schwächung Berlins durch Kraftmeierei

Ganz abgesehen davon, welche Rolle die Protagonisten dieser furiosen Personalattacke auf die EZB-Spitze nach Ablauf der Amtszeit von Mario Draghi im Jahr 2019 in der Politik noch spielen mögen, ist das Ausrufen eines deutschen Nachfolgers von Mario Draghi mitten im Jahr 2016 einfach bizarr: Diese vorpreschende Kraftmeierei verstärkt nicht nur generell den europaweiten Widerstand gegen eine wachsende deutsche Dominanz in der EU und schwächt damit die ohnehin angeschlagene Position Berlins in der EU. Solche personelle Attacken verhindern auch mit Sicherheit jeden potentiellen deutschen Nachfolger Draghis im Jahr 2019, so qualifiziert er auch sein möge. Im Grunde genommen handelt es sich bei dieser Personalattacke paradoxerweise um eine perfekte Strategie, mit der man auch künftig einen deutschen Präsidenten an der Spitze der EZB verhindert.

Der verteilungspolitische Zielkonflikt der EZB

Natürlich ist die expansive Geldpolitik nichts anderes als eine Notoperation der EZB als „Ausputzer“ für das Versagen der Politik in einer immer noch anhaltenden Krise der Eurozone, die mit billigem Geld nur mühselig übertüncht wird. Aber diese geldpolitische Strategie hat mit einem für Europa einmalig niedrigen Zinsniveau einen unverhinderbaren Begleiteffekt, der bei Millionen von Kleinsparern, die weder mit Immobilien noch Aktien im großen Stil spekulieren können, völlig unpopulär ist. Der auf Null gesenkte Leitzins der EZB ist historisch gesehen eine ökonomische Anomalität, die auch von Spitzenvertretern der Finanzbranche heftig kritisiert wird. Ganz an der Spitze der ansonsten distinguiert- leise Nikolaus von Bomhard ( Munich Re), der wie ein routinierter Klassenkämpfer mit sprachlich großer Wucht die damit verbundene Umverteilung von unten nach oben zugunsten der „Reichen und Reichsten“ in die öffentliche Debatte katapultiert. Dies ist der undankbare aber unausweichliche Zielkonflikt, in den die EZB durch das jahrelange Versagen des politischen Krisenmanagements in der Eurozone hineingetrieben wurde.

Aber wahr ist gleichzeitig eben auch das Argument Draghis, dass der Rückblick auf die inzwischen abgeschmolzenen Nominalzinsen die Vergangenheit kräftig verklärt: Wenn man nämlich auf die Realzinsen schaut, d.h. die Verzinsung unter Berücksichtigung der Inflationsrate, sind heute diese Realzinsen höher als vor 20 oder 30 Jahren, weil aktuell die Inflationsraten eben nur noch an der  Nullmarke entlang kriechen.

Desaströse Folgen eines geldpolitischen Kurswechsels

Bei aller populären Stimmungsmache gegen Mario Draghi traut sich heute inmitten einer international expansiven Geldpolitik mit Niedrig-und Minuszinsen kein ernstzunehmender Experte, einen klaren Kurswechsel zu einer restriktiven Geldpolitik mit signifikant höheren Nominalzinsen zu fordern. Die unausweichliche desaströse Folge eines solchen Kurswechsels wäre ein Rückfall des ohnehin spärlichen Wirtschaftswachstums oder besser „Wirtschaftskriechtums“ der Eurozone unter die Nullmarke. Staatsdefizite und Arbeitslosigkeit in den Krisenländern würden weiter steigen und die Finanzkrise der Eurozone könnte sogar größere Player wie Frankreich oder Italien ins Schlingern bringen.

Die Wahrheit ist doch, dass die oft blitzschnell reagierende, expansive Geldpolitik der EZB in einer Art „Ausputzerrolle“ schon mehrmals den finanziellen Zusammenbruch der fragilen Eurozone verhindern musste und auch heute noch das fragile Konstrukt an den bisher nicht reparierten Schwachstellen abstützen muss: Ob mit „dicker Berta“, „Bazooka“, oder dem „quantitave easing“, dem aktuellen Anleihekaufprogramm. Der amerikanische Nobelpreisträger Paul Krugman hat jüngst in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung die fortbestehenden Konstruktionsprobleme des Eurosystems ökonomisch detailliert dargestellt und aufgezeigt, dass sie nachhaltig nur durch eine andere Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU zu lösen sind und nicht etwa durch die EZB im Alleingang.

Draghi-Bashing stärkt die AfD

Fazit: Das permanente „Draghi-Bashing“ in Deutschland versucht nicht nur absurderweise, den bisherigen Euro-Retter zum Buhmann der Eurozone abzustempeln. Noch schlimmer: Diese unfaire Kampagne gegen die EZB und die Gallionsfigur Draghi lenkt doch nur von der notwendigen nachhaltigen Sanierung des Europrojekts ab und wird überdies die hemmungslos populistische Agitation der AfD gegen die EZB im nächsten Bundestagswahlkampf  nur noch stärken.

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Tags: DeutschlandEUEUROEZBEZB-PräsidentGeldpolitikMario Draghi
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