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Mehr interkulturelle Öffnung – weniger Abschottung

Gül Keskinler Von Gül Keskinler
30. April 2017
Integration

Der Spitzenkandidat jener Partei, die vergangenes Wochenende in Köln den Steuerzahler mit ihrem Bundesparteitag 11 Millionen Euro kostete , gab am Ende der Veranstaltung die Kampfansage durch: „Dies ist unser Land! Das Land unserer Großeltern und Eltern! Wir müssen es zurückerobern!“
Wir, also alle Menschen mit einem wie auch immer gearteten Migrationshintergrund, haben die Botschaft verstanden: Die Eroberung all jener soll stattfinden, deren Eltern und Großeltern anderswo als in Deutschland geboren wurden und noch leben. Der AfD- Spitzenkandidat Alexander Gauland, der im richtigen Leben ein Pensionär ist, hat wohl nie Karneval in Köln gefeiert und bei dem Lied „unser Stammbaum“ mitgeschunkelt. Sonst wüsste er, dass der Kölner viele Vorfahren hat. Er ist ein stolzer Römer, Franzose, ein Jude oder ein Pimock. Der Kölner ist Grieche, Türke, Jude, Moslem und Buddhist, denn: „mir sin nur Minsche, vür‘m Herrjott simmer glich“.

Aufnahme von Fremden – eine ewige Herausforderung

Nach dem zweiten Weltkrieg kamen 13 Millionen Flüchtlinge oder Zuwanderer aus den deutschen Ostgebieten in den Westen. Sie wurden abwertend Pimocken benannt, was „Flüchtlinge über die Brücken“ bedeutet. Da solche Flüchtlinge oft genug auch als „schädlich“ angesehen wurden, betitelte man sie auch oft als „Kartoffelkäfer“. „Es war eine weitverbreitete Praxis, die Neuankömmlinge auszugrenzen, zu diskriminieren und sogar offen anzufeinden.“ Als „Flüchtlingsschweine“ oder „Flüchtlingspack“ wurden sie beispielsweise nicht selten beschimpft. Diese „Flüchtlinge“ sprachen alle deutsch, meist war es ihre Muttersprache. Durch ihre bloße Zahl fühlten sich die Einheimischen bedroht. 1946 lebten 65 Millionen Menschen in ganz Deutschland, 1950 in Westdeutschland etwa 50 Millionen. Auf einmal wurden Menschen aus dem früheren „großdeutschen Reich“ als bedrohliche Fremde wahrgenommen. Damals war die Not nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg wahrlich groß: Die Versorgung mit Nahrungsmitteln war miserabel, viele Wohnungen waren zerstört, ja es herrschte Mangel an Nahrungsmitteln.

Ab 1960 wurden „Gastarbeiter“ angeworben – in Spanien, Italien und Portugal, vor allem jedoch in der Türkei. Damals lebten in der Bundesrepublik Deutschland 53 Millionen Menschen. Arbeitskräfte für die prosperierenden Betriebe der Wirtschaftswunderjahre fehlten – trotz der vielen „Flüchtlinge“. Auf dem Weg von der 48- zur 40-Stunden Arbeitswoche, die die Westdeutschen anstrebten, sollten die Gastarbeiter die Lücken schließen. Schließlich ist noch festzuhalten, dass zwischen 1950 und 2014 4,5 Millionen (Spät-) Aussiedler nach Deutschland kamen, allein fast 400.000 Russlanddeutsche.

Schon in den 90’er Jahren wurde heftig diskutiert, ob Deutschland ein De-facto-Zuwanderungsland sei oder nicht. Mit dem Zuzug der Gastarbeiter seit den 1960er Jahren und der Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes im Jahr 2000 sowie mit den von 2002 bis 2005 erlassenen Richtlinien der Europäischen Union zum Ausländer- und Asylrecht trugen gesetzliche, politische und gesellschaftliche Entwicklungen dazu bei, dass Deutschland als Einwanderungsland mehr und mehr akzeptiert wurde. Die Gesetzeslage sowie gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge fördern inzwischen eine Verzahnung in der Integrationsarbeit. Allerdings wird aktuell von vielen aus der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ein besonderes Zuwanderungsgesetz mit klaren Kriterien gefordert, – etwa so, wie es Kanada praktiziert.

Die Neuzuwanderungen aus Süd-Ost und Ost-Europa seit dem Fall der Mauer 1989 sowie die Flüchtlinge aus den ex-jugoslawischen Kriegsgebieten wurden immer wieder mit unspezifischen Schlagwörtern als Bedrohung dargestellt – vor allem von einigen Politikern aus dem rechten Randlager. Das Zusammenleben und zusammenarbeiten mit fremden Kulturen macht die Diversität längst nicht zum Normalfall. Vielmehr wurden immer wieder die Gefahren von Multikulti, Durchrassung, Überfremdung usw. beschworen.

Die Flüchtlingszahlen erreichten 2016 (2015?) durch den Bürgerkrieg in Syrien einen historischen Höchststand von knapp 750.000. Zwischen Januar und März 2017 nahm das Bundesamt für Migration gut 60.000 Asylanträge entgegen.

Schafft Deutschland die Herausforderung?

Deutschland ist ein starkes Land und hat in der Vergangenheit gezeigt, dass es zu enormen Integrationsleistungen fähig ist. Wir dürfen nicht vor den Herausforderungen kapitulieren. Im Gegenteil, unser Motiv sollte sein, uns an uns selbst zu messen: Wir haben schon so vieles geschafft, wir schaffen das auch dieses Mal! Es gilt, die Herausforderungen anzunehmen, sie zu meistern und daraus Chancen für die Zukunft Deutschlands zu entwickeln.
Um das erneut Realität werden zu lassen, brauchen wir ganz Unterschiedliches: kurzfristige Aktionen, langfristige Initiativen, chancengerechte Strukturen, transparente Daten und eine partizipative Gestaltung unserer Zukunft. Konkret geht es um einen Gleichschritt von Fordern und Fördern.
Die völlig ungeplante „Willkommenskultur“ war in ihren ganz vielen unabhängigen Einzelaktivitäten solch’ eine kurzfristige Aktion. Daraus können wir zugleich lernen, dass es ebenso langfristige Initiativen mit anschlussfähigen, öffentliche Strukturen sowie insbesondere einen gemeinsamen Wertekanon braucht. Und, vor allem: eine mutige Vision! Wo wollen wir gemeinsam hin? Und wie können wir unsere Ideen, um das zu schaffen, gemeinsam umsetzen? Wie können wir schließlich mit der Integration unsere Republik gestalten und gemeinsam Zukunftsziele erreichen?

Mehr politische Bildung und Interkulturelle Kommunikation für alle!

Es gilt möglichst umgehend konkrete Antworten auf die Fragen zu finden. Vor allem ist Interkulturelle Kommunikation gefordert. Sie definiert die Wissenschaft als eine soziale zusätzliche Kompetenz von jedem. Die Vielschichtigkeit der Kulturen und Verhaltensweisen sind nur eine Interpretation der darunter fehlenden Werte. Genau diese Unterschiede in den Werten, die oftmals für den oberflächlichen Betrachter kaum ersichtlich sind, sind oft die Konfliktfelder. Diese Werte und Normen sind gesellschaftlich festgelegt. Sie werden von Kindesbeinen an erlernt und sind relativ konstant innerhalb von einer kulturellen Gruppe. Wir haben gelernt, mit diesen Werten umzugehen, ohne diese auch nur wahrzunehmen, weil es einfach so ist. Wir beurteilen die Welt, und andere Menschen unter Heranziehung dieser Werte. Wir interpretieren das Verhalten anderer als und Ausdruck unserer Werte, nämlich ob sie sich daran hakten und sie beachten – oder nicht.

Ein einfaches Alltagsbeispiel mag das verdeutlichen. In Deutschland ist es nicht üblich, Kartoffeln auf dem Teller mit dem Messer zu schneiden. Dies mag auf einer historischen Tradition beruhen, wer weiß es schon. Das Zerteilen von Kartoffeln mit der Gabel ist in Deutschland ein Zeichen „guter Kinderstube“; es zeigt, dass man weiß sich zu benehmen. Dies ist also ein gewiss profaner Ausdruck für den Wert des „Sich-Gut-Benehmens“. Wer eine Kartoffel mit dem Messer zerteilt, hat keine gute Erziehung, und weiß sich nicht zu benehmen. Einem Migranten sind dieses Verhalten, und die damit verbundene Werteinstellung natürlich nicht notwendigerweise bekannt. Schneidet der nun also seine Kartoffel in Deutschland, so kann er, unbewusst, bei seinen Tischpartnern den Eindruck einer schlechten Erziehung hervorrufen. Eben weil diese die Verhaltensweise unbewusst als Ausdruck des Wertes verstehen und interpretieren.

Wenn wir das in die gesellschaftlichen Verhaltensweise mitbedenken und den sozialen Frieden in unserem Land aufrechterhalten wollen, dann müssen wir vor allem in die Bildungsarbeit investieren. Gleichberechtigung von Mann und Frau, demokratischer Umgang, das Verstehen der dualen Berufsausbildung, die Wertschätzung des Handwerks, Umweltschutz und Mülltrennung sowie vieles mehrgehören dazu. Die Forderungen an die Migranten müssen klar definiert und ihnen vermittelt werden.
Sie müssen zudem begreifen, dass die Deutschen sie nur dann fördern und integrieren, ja sie als Zugewinn für unser Land begreifen, wenn sie dazu bereit sind, mit Respekt in diesem Staat den Menschen zu begegnen, sich an Recht und Gesetz zu halten sowie sich an den hier gelebten Werten zu orientieren. Integration ist keine Einbahnstraße! Vielmehr wird sie nur erfolgreich sein können, wenn Deutsche und Migranten gleichermaßen aufeinander zugehen –und eben nicht mit Vorbehalten operieren oder gar aufeinander losgehen. Nicht die Abschaffung, das Abschieben in Flüchtlingslager und Ghettos oder gar die Isolation sind die richtigen Schritte. Vielmehr ist eine gegenseitige interkulturelle Öffnung gefordert, um Flüchtlingen einige Zeit subsidiären Schutz vor Krieg und Verfolgung zu geben, um denen, die als Migranten eine Bereicherung für unsere Wirtschaft und Gesellschaft sein können und länger hier bleiben müssen bzw. wollen, die Probleme des deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes sogar mit lösen können, eine „neue Heimat“ zu bieten.

Deutsche Leitkultur mit ihren Werten und Regeln, mit Respekt und Humanität muss vorgelebt und praktiziert werden – vorweg von denen, die das Glück der frühen deutschen Geburt und der Heimat hierzulande haben, beispielhaft und verpflichtend für die, die als Migranten Zuflucht in Deutschland suchen und auch die, die schon früher gekommen sind, hier zu leben und zu arbeiten.

Bildquelle: pixabay, User geralt, Public Domain

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Tags: AusländerhassIntegrationInterkulturelle ÖffnungLeitkulturMigrationRechtspopulismusZuwanderung
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Comments 1

  1. R. Schmidt says:
    9 Jahren ago

    Es gibt in der Tat nichts zurückzuerobern, da wir nichts verloren haben + uns erst recht nichts weggenommen worden ist. Es wäre gut, wenn die Deutschen ihre Identität wahren + behaupten könnten, ohne dazu ein Feindbild, wie Migranten, Flüchtlinge usw., nötig zu haben. Leider wird immer nur polarisiert – bis dahin, dass man mit jedem kritische Wort in die rechte Ecke gedrängt wird. Nur: AfD-Parolen brauchen wir ganz + gar nicht!

    Antworten

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