„Krieg, Folter, Ausbeutung, Ungerechtigkeit, sind keine Wettereignisse wie Tsunami oder Blitz“, so ist es in dem neuen Buch des früheren Arbeits- und Sozialministers, Norbert Blüm zu lesen. Deshalb kommt er zu dem Schluss: „Sie sind nicht gottgegeben. Also können sie auch von Menschen abgeschafft werden.“
Der ehemalige Sozialpolitiker, von manchen Kritikern als Herz-Jesu-Marxist verächtlich gemacht, hat sich stets auf vielen Feldern engagiert. Inzwischen hat er 82 Jahre auf dem Buckel – Jahre mit bitteren Erlebnissen, mit guten Erfahrungen und mit vielen aktiven Einsätzen. Nicht zuletzt verdanken wir ihm die Pflegeversicherung, ohne die es bereits heute für viele Menschen im Lande einen Pflegenotstand gäbe.
Einsatz für Frieden überall
Sein neues Werk trägt den Titel „Verändert die Welt, aber zerstört sie nicht.“ Blüm schildert darin seine An- und Einsichten, die er als „linker Konservativer“ seit seiner Kindheit gewonnen hat. Dabei erinnert er recht bewegt an die Generationen unserer Eltern und Großeltern, die innerhalb einer Zeitspanne von sieben Jahrzehnten gleich dreimal schreckliche Kriege erleben oder gar mitmachen mussten. Dagegen haben die Generationen, die nach 1945 in Deutschland geboren wurden, inzwischen ein mehr als siebzigjähriges Friedenserlebnis. „Es soll nie zu Ende gehen“, so mahnt Blüm bereits in der Einstimmung zur Lektüre seines Buches und mahnt sogleich den Einsatz für Frieden überall auf der Welt an – in Syrien und anderswo.
Es liest sich wie seine Autobiografie, denn die ganz persönlichen Erlebnisse und Empfindungen schimmern immer wieder durch – in den Erinnerungen an sein Elternhaus in Rüsselsheim, ebenso aber auch im Nachklang mit Blüms Brief an seine Enkel, denen er bereits Lebenshilfe zu geben versucht. Norbert Blüm schöpft dabei aus dem überreichen Vorrat dessen, was er selbst gesehen, gestaltet und gefühlt hat. Mit größter Betroffenheit schildert er seine Begegnungen mit den Kriegsflüchtlingen, die er in den Zelten in Idomeni besucht hat. Er geißelt die 28 Staats- und Regierungschefs der EU sogleich als „die europäischen Kleinkrämer“, die mit geradezu inhumaner Kaltschnäuzigkeit hinnahmen, dass Tausende von Menschen als Flüchtlinge im Mittelmeer ertranken. Ebenso schildert der Autor eindrucksvoll seine Tage in Katar, wo die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 stattfinden soll. „Katar ist ein Sklavenhalter-Staat“ so beurteilt Blüm das, was er dort auf den Baustellen der Stadien gesehen und gehört hat, und schießt mit voller Erregung gegen die „Fifa, das trojanische Pferd.“
Erde als Heimat für Humanität
Das leidenschaftliche Engagement für die Menschenrechte ist ein großes Thema dieses neuen Blüm-Buches. Seine Vorstellung von der „Erde als eine wirkliche Heimat für Humanität“ ist in der Tat nicht nur mit Parteien, sondern nur mit allen Menschen zu realisieren. Blüms Ausführungen in dem Kapitel mit dem Titel „Die neue Religion: Gott Mammon“ ist besonders zu empfehlen: Der einstige Meßdiener, der sein Leben lang die Prinzipien der Katholischen Soziallehre predigte, macht massiv Front gegen die totale Kommerzialisierung in nahezu allen Bereichen vom Sport über die Kultur bis hin zur Religion.
Dass diese „pekuniäre Dämonie“ inzwischen auch die Liebe erreicht hat, wird von Blüm mit dem letzten „Schrei auf dem Heiratsmarkt“, mit Selbstheirat, die in den USA bereits Zulauf hat, gegeißelt.
Der Autor bekennt, dass er in seiner Jugendzeit ein Revolutionär werden wollte, doch „spät zum Konservativen konvertiert“ ist. Denn – so ist in dem Buch zu erfahren – der Konservative bleibt „skeptisch und überlässt sich lieber den vorläufigen Lösungen als den Endlösungen… Das Vorläufige erlaubt dem Konservativen leichter die Selbstkorrektur.“ Geradezu fanatisch klingt Blüms Bekenntnis zu Europa; er fordert große Projekte mit dem Ziel, „einen europäischen Bundesstaat mit Gewaltenteilung und föderalem Aufbau zu schaffen.“ Zu den Großprojekten zählt für Blüm auch eine europäische Verteidigungsgemeinschaft: „Die nationalen Militärs unter europäisches Kommando zu stellen ist der härteste Frontalangriff gegen den neuen Nationalismus.“
Barmherzigkeit, Gerechtigkeit
Blüm wäre nicht Blüm, würde er sich nicht auch in seinem Buch quasi wie in einer Art eines ganz persönlichen Vermächtnisses ausführlich mit unserem Sozialstaat befassen. In diesem Kapitel schildert er die Grundregeln der Sozialpolitik, die Prinzipien Barmherzigkeit und Gerechtigkeit und den Unterschied zwischen Fürsorge und Sozialversicherung. Dazu gibt es einen breiten Exkurs zur Rente, die für ihn „nicht nur eine materielle, quantitative Dimension, sondern auch eine ideelle, qualitative“ hat. Gegen die Riester-Rente plädiert Blüm ebenso wie gegen das bedingungslose Grundeinkommen. Wer Details zur Pflegeversicherung sucht, sollte unbedingt die Ausführungen des Mannes lesen, der sich dafür wie kaum ein anderer politisch stark gemacht hat.
Ja, die Lektüre des neuen Blüm-Werkes lohnt sich. Sie ist kurzweilig, vermittelt viele Daten und Fakten, gibt Einblicke in ein bewegtes und erlebnisreiches Leben des Autors und vermittelt die fundamentale Botschaft: Wir können unseren Enkeln eine menschliche Zukunft nur bewahren, wenn wir für eine bessere Welt kämpfen und sie auch verwirklichen.
Norbert Blüm: Verändert die Welt, aber zerstört sie nicht. Verlag Herder, Freiburg. 2017. 288 Seiten. 20 Euro
Bildquelle: Buchcover Herder Verlag
Wir können unseren Enkeln eine menschliche Zukunft nur bewahren, wenn wir für eine bessere Welt kämpfen und sie auch verwirklichen. (Norbert Blüm)
Die Frage ist: „Aber wie?“. Mit einer Verbesserung der Pflegeversicherung und ähnlichen Pfennig-Fuchsereien wird man nachhaltig keine Welt verbessern.
Das Einzige, was wir brauchen, ist eine neue Wirtschaftsordnung, die verhindert, dass im Laufe eines relativ kurzen Zeitraums weniger Menschen immer reicher werden und dabei astronomische Höhen erreichen, während immer mehr Menschen arm werden und dabei sogar immer zahlreicher verhungern.
Unter https://www.economy4mankind.org/de/startseite/ kann man sich ein Modell anschauen, das – in die Wirklichkeit gesetzt – ein nachhaltiger Wegweiser in eine bessere Welt ist.