Merz, Kramp-Karrenbauer, Spahn, wer folgt auf Merkel? Die Antwort fällt schwer, es gibt keinen Favoriten für die Wahl einer/eines neuen Vorsitzenden der Christdemokraten. Doch es geht hinter den Kulissen um viel mehr: Um den künftigen Kanzler. Und einer mischt seit Wochen kräftig mit, einer, der alles hätte werden wollen und es bisher nicht wurde, dessen Ehrgeiz aber nicht gestillt ist: Wolfgang Schäuble, der Mann, der seit einem Attentat im Schwarzwald im Rollstuhl sitzt, den erst Helmut Kohl als Kanzler verhinderte, dann Angela Merkel als CDU-Chef stürzte-wegen der Spendenaffäre, in die Schäuble verwickelt war, Stichwort Baumeister- und ihn später als Bundespräsidenten nicht ins Schloss Bellevue ließ, sondern den damals ziemlich unbekannten Horst Köhler aus dem Ärmel zog. Schäuble hat das nicht vergessen.
Rückblick: Am 12. Oktober 1990 wurde der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble während einer Wahlkampfveranstaltung im badischen Oppenau durch einen Revolverschuss lebensgefährlich verletzt. Der CDU-Politiker ist seit dem Tag vom dritten Brustwirbel an abwärts gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Tagelang kämpften die Ärzte in Freiburg um das Leben von Schäuble, seine politische Karriere schien vorzeitig am Ende. Aber der Sportler Schäuble- er spielte u.a. Tennis- kämpfte sich im Rollstuhl zurück.
Als Schröder am Tor zum Amt rüttelte
„Ein Krüppel als Kanzler?“ titelte damals der „Stern“, dessen Reporter Schütz beim Attentat direkt hinter Schäuble gestanden und der alles miterlebt hatte. Eine brutale Überschrift, selbst für ein Magazin. Der Titel war als Frage gestellt, die im Text nicht klar beantwortet wurde, aber der Inhalt des Textes ließ keinen Zweifel: Auch im Rollstuhl wollte dieser Mann aus dem Schwarzwald ganz nach oben, er wollte Kanzler werden. Die Kanzlerschaft wäre eine „Versuchung“, vertraute Schäuble dem „Stern“ an, der er wahrscheinlich nicht widerstehen würde. Er traue sich „im Grunde jedes Amt zu“. Danach gab es verdeckte Diskussionen, wie der „Spiegel“ räsonierte, Schäuble zögerte mit einem offenen Wort, das nur als Angriff auf den Kanzler Kohl gewertet werden könnte. Er wartete darauf, dass Kohl ihm das Kanzleramt frei Haus servierte. Wir schreiben das Jahr 1997, Kohl wirkt amtsmüde, sein potentieller Herausforderer für die Wahl 1998, Gerhard Schröder von der SPD, kommt jünger, angriffslustig daher und dieser Schröder will nach oben, er rüttelt am Tor zum Kanzleramt in Bonn.
Schäuble wollte gegen Schröder kandidieren im Jahr 1998, doch er konnte Kohl keine entsprechenden Hinweise oder gar Ratschläge geben. Das würde der brüsk zurückweisen. Es wurde viel spekuliert in den Medien. Die SZ rätselte: „Tritt Helmut Kohl im Herbst zurück?“ Gesundheitliche Spekulationen traten hinzu, Kohl sei gestresst vom Amt, hieß es, er könne nicht mehr wie einst Entscheidungen treffen, am Rande dieser Spekulationen erschien immer wieder Wolfgang Schäuble, der sich aber den Mund verbot. Es war auch ein Ringen zweier Generationen, Kohl noch ein Mann des Krieges, der das Elend der Nachkriegszeit im Blut hatte und deshalb die Leistungen des Kohlebergbaus an der Ruhr nicht vergass und festhielt an den sehr hohen Subventionen. Schäuble gab sich bedeckt. Und alle warteten ab.
Kronprinz von Kohls Gnaden
Das Ansehen Kohls in der Öffentlichkeit sank, man hatte den Altkanzler über, er war zu lang im Amt, schien das aber nicht zu merken. Auf dem CDU-Parteitag in Leipzig Mitte Oktober trieb die Stimmung gegen Kohl nach oben, Schäuble wurde zum Liebling der Delegierten der CDU, der mit einer Rede den Parteitag begeisterte: „Wir sollten das Nachdenken nicht verbieten wollen.“ Schäuble wollte Veränderungen. Kohl spürte, wie sich die Dinge gegen ihn wendeten und am Ende des Parteitags- ich war schon im Zug auf der Rückfahrt nach Essen- erklärte er in einem Fernseh-Interview, der Fraktionschef, also Schäuble solle sein Nachfolger werden. Die Sensation war plötzlich da, doch Kohl wäre nicht Kohl, wenn er alle seine Bedenken gegen Schäuble nicht nochmal in Erinnerung gerufen hätte. Und drei Stunden nach dem Interview liess der Kanzler und CDU-Chef Kohl durch seinen Generalsekretär Peter Hintze klarstellen, die CDU habe einen Kanzler, und der wolle bis 2002 regieren. Kohl zeigte erneut, wer in der Union das Zepter schwang. Er hielt die Zügel in der Hand, Schäuble musste wieder mal warten, er fühlte sich gedemütigt, Kronprinz von Kohls Gnaden, warten bis 2002, fünf lange Jahre.
Auch im Laufe des Jahres 1998 schien Kohl die veränderte Stimmung nicht mitzubekommen. Vor allem auch nach Schröders glänzendem Wahlsieg in Niedersachsen- er gewann mit 47 vh die absolute Mehrheit- wurden die Umfragen für Kohl immer schlechter. Aber Kohl blockte auch Schäubles persönlichen Vorstoß- „wir schaffen es nicht mehr“- ab. Er wollte es nochmal wissen. Und das, obwohl Schäuble in Umfragen vor dem SPD-Herausforderer lag. Der Rest ist bekannt. Kohl verlor glatt. Schäuble wurde CDU-Chef, Merkel seine Generalsekretärin. Und das wurde Schäuble später, nach der Spendenaffäre, in die auch Schäuble verwickelt war, noch zum Verhängnis. Kurz vor Weihnachten 1999 forderte die Generalsekretärin Merkel in einem Gastbeitrag für die „FAZ“, die CDU müsse sich von ihrem Übervater und Ehrenvorsitzenden Kohl emanzipieren. Die Ära des aktiven Politikers Kohl sei unwiederbringlich vorbei, schrieb Merkel in der Zeitung. Aber Kohl war politisch noch nicht ganz erledigt, sein Netzwerk arbeitete wie immer. Und er riss mit seinem eigenen unrühmlichen Abgang Schäuble mit. Der musste den Vorsitz der Fraktion wie der Partei abgeben. Den tiefen Riss zwischen. Schäuble und Kohl verdeutlichte der Bruder von Wolfgang Schäuble, Thomas mit seiner Äußerung: „Ich verabscheue Herrn Kohl und da kann ich für die ganze Familie sprechen.“
Nach einem langen politischen Leben
Kommen wir zu Angela Merkel und ihrem Artikel in der FAZ. Dort war im Dezember 1999- wie oben berichtet- ferner zu lesen: „Wir kommen nicht umhin, unsere Zukunft selbst in die Hand zu nehmen“, schrieb sie damals, es könnte nicht aktueller sein heute. Und weiter: „‚Vielleicht ist es nach einem so langen politischen Leben wirklich zu viel verlangt, von heute auf morgen alle politischen Ämter niederzulegen. Und deshalb liegt es an uns, wie wir die neue Zeit angehen.“ Damit das nicht missverstanden wird: Es waren Merkels Worte zum Abschied von Kohl und nicht zu ihrem eigenen Abschied, und es war ein bewusster Affront damals gegen Schäuble, den Chef der CDU. Sie war schließlich nur seine Generalsekretärin, die aber den Text in der FAZ nicht mit ihm abgestimmt hatte. So macht man das, wenn man zeigen will, wer das Sagen haben will. Und das hatte Merkel bald, denn Schäuble stürzte wie bekannt. Und damit begann die Ära Merkel als CDU-Chefin, die sie nun schon 19 Jahre lang ist.
Und jetzt kommt wieder Wolfgang Schäuble ins Spiel, der Bundestagspräsident, über den gemunkelt wurde, er habe die Kandidatur von Friedrich Merz betrieben. Und der spricht jetzt Klartext: „Wie es auch schon bei Helmut Kohl war, so werden selbst erfolgreiche Kanzlerschaften nach langer Zeit irgendwann zäh.“ Sagt der Mann wiederum in der FAZ . Und er fügt hinzu: „Es wäre das Beste für das Land, wenn Friedrich Merz eine Mehrheit auf dem Parteitag erhielte.“ Schäuble ist nicht irgendwer in der Partei, er ist sehr einflussreich in der ganzen CDU, hinter ihm steht einer der mächtigsten Landesverbände, der aus Baden-Württemberg. Und einer wie Schäuble sagt so was ja nicht ohne Grund in einer so wichtigen Zeitung wie der „Frankfurter Allgemeinen“. Er will das Ende der Kanzlerin einläuten. Das Beste für das Land wäre das, folgt man Schäuble. Aber er meint natürlich nicht gleich den Kanzler Merz, der soll ja erst mal CDU-Chef werden. Merkel könnte zurücktreten und Schäuble würde dann ihr Nachfolger- also eine Art Übergangskanzler. Einer wie Merz könnte damit leben, Merz ist 63, Schäuble 76 Jahre alt. Aber Vorsicht Herr Merz: Konrad Adenauer war 73 Jahre alt, als er das erste Mal Bundeskanzler wurde. Und der Alte aus Rhöndorf regierte dann 14 Jahre. Wolfgang Schäuble ist ein ehrgeiziger Mann.
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