Mit der 23. Regionalkonferenz im Münchner Löwenbräukeller hat die SPD ihre Kandidatenkür für die Parteispitze am Samstag beendet. Obwohl dieses Casting bereits seit September andauerte, ist die Partei bei der Suche nach einem neuen Vorsitzenden(duo) nur einen Schritt weiter. Jetzt stimmen die 426 000 Mitglieder online oder per Brief über die (noch verbliebenen) sechs Paare ab, die sich in den vergangenen Wochen quer durch die Republik präsentiert haben. Sollte bei dieser Wahl kein Tandem mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten, gibt es eine Stichwahl zwischen den beiden erstplatzierten gemischten Doppeln. Beim Nikolausparteitag Anfang Dezember in Berlin fällt der Bundesparteitag die endgültige Entscheidung, wer künftig die Partei führen soll.
Ja, die SPD macht sich das Leben wieder mal selbst schwer. Das Verfahren, an dessen Ende die neue Parteispitze stehen wird, ist langwierig und kompliziert, zudem ein statuarisches Novum für die Sozialdemokraten, denn noch nie in ihren 156 Jahren seit Gründung wurden sie von mehr als einer Person angeführt. Bevor es in Kürze dazu kommen wird, ist deshalb erst einmal eine Satzungsänderung auf dem Parteitag fällig. Auch die ist unter den Genossen keineswegs unumstritten, denn die Idee, es den Grünen wie der Linkspartei nachzumachen und die SPD fortan einem Führungstandem anzuvertrauen, halten viele Sozis für eine Notlösung, die bei den beiden Wettbewerbern ja auch nicht durchweg erfolgreich war und ist. Mehr Verzweiflung als Mut also.
Nun hat der Reigen der Regionalkonferenzen immerhin gezeigt, dass die gute alte SPD doch noch lebt. Immerhin sind über 20 000 Mitglieder bei den Veranstaltungen vor Ort dabei gewesen, den Livestream des großen Castings verfolgten im Internet Zehntausende. Die Partei durfte in dieser Phase über 3500 neue Mitglieder begrüßen, was freilich weit unter jener Summe blieb, die der verflossene SPD-Chef Martin Schulz während seiner kurzen Amtszeit verbuchen konnte – damals waren es 25 000 Eintritte. Es soll in den Wochen seit dem Start der Kandidatenkür auch viele Mitglieder gegeben haben, die sich reaktivieren ließen und nicht mehr darüber nachdenken, der Partei kurzfristig das Mitgliedsbuch vor die Füße zu werfen.
Was aber bringt die für manche quälend lange Mitgliederbefragung wirklich? Ist sie mehr als die Selbstbeschäftigung einer zutiefst verunsicherten Partei, eine Art Gruppentherapie vor den Augen einer Wählerschaft, die sich in den letzten Jahren zu Millionen von der SPD abgewandt hat? Bringt das Votum der Genossen am Ende doch den erhofften Ausbruch aus dem Jammertal – personell, programmatisch, organisatorisch? Stärkt dieser basisdemokratische Prozess das Selbstvertrauen der Partei und die Glaubwürdigkeit ihrer Repräsentanten auf allen Ebenen der Politik? Erlangt die SPD als älteste deutsche Volkspartei auf diesem Weg ihren Stolz zurück und ihre Überzeugung, dass sie dringend gebraucht wird in dieser Republik? Ist sie bereit und entschlossen, dazu alle Konflikte, Verletzungen und Animositäten hinter sich zu lassen?
Da sind Zweifel angebracht. Wer mehr als nur eine der Regionalkonferenzen besucht oder verfolgt hat, musste den Eindruck gewinnen, dass keines der sieben Paare eine deutliche Mehrheit der Anwesenden hinter sich bringen konnte. Mal gelang dem einen Tandem ein besserer Auftritt, mal einem anderen, zuweilen stachen auch nur Einzelpersonen hervor, während die jeweiligen Partner blass blieben. Selbst aus Sicht der Protagonisten eignete sich die äußerst begrenzte Redezeit nur für oberflächliche Statements, nicht aber für eine detaillierte Diskussion. So verlegte sich ein junges Duo lieber auf die Verbreitung guter Laune als auf die Beantwortung problematischer Fragen. Am Ende des wochenlangen Castings scheinen mindestens drei der zur Wahl stehenden Paare dichtauf, daher ist die Prognose nicht gewagt, dass die SPD-Mitglieder zu einer Stichwahl zwischen Platz 1 und Platz 2 aufgerufen werden müssen.
Das alles bedeutet nichts Gutes. Die Parteibasis ist hin- und hergerissen, ihr Votum wird aufgefächert ausfallen, zu guter Letzt gespalten. Das Tandem, das sich schließlich durchsetzt, wird bloß von einer knappen Mehrheit getragen werden. Dann aber steht der Parteitag vom 6. bis 8. Dezember vor einer schweren Zerreißprobe. Es droht ein Richtungsstreit der dreifachen Art, denn es geht bei der Wahl nicht nur um Personen, sondern zugleich um zukunftstaugliche Konzepte der SPD und nicht zuletzt um das Schicksal der bei zahlreichen Sozis herzlich unbeliebten Großen Koalition in Berlin. Nur eine neue Führung, der die Herzen der Mitglieder zufliegen und die Hoffnungen auf bessere Wahlergebnisse weckt, wäre wohl stark genug, die auseinanderstrebenden Kräfte zusammenzubinden und jene Solidarität einzufordern, die im Umgang mit den Spitzenleuten der SPD (und untereinander) in den vergangenen Jahrzehnten auf dramatische Weise abhanden gekommen ist.
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