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Die Lehren aus der NSA- und Spionageaffäre:  Führungsanspruch funktioniert nicht ohne Wertbindung

Uwe Pöhls Von Uwe Pöhls
13. Juli 2014
US-Präsident Obama in West Point.

US-Präsident Obama in West Point.

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind auf einem Tiefpunkt. Die Schuldfrage wurde hierzulande schnell geklärt. Aber so einfach ist das nicht. Die Bundesregierung hat jahrelang tatenlos zugesehen, wie rechtsstaatliche Grundprinzipien mit Füssen getreten werden. Vielleicht hat sie es sogar ausdrücklich gebilligt. Die jüngsten Spionagefälle sind dagegen nahezu unbedeutend, zumindest allenfalls „erwartungsgemäß“.  Die Scheinheiligkeit und Realitätsferne auf der Seite der Regierung wird eigentlich nur von der Skrupellosigkeit übertroffen, mit der die US-Regierung und ihre Dienste Freundschaft und Partnerschaft als einseitige Dienstleistung definieren.

Alles nicht so schlimm?

Die US-Spionage schlägt nun etwas zeitverzögert auch bei der Regierung hohe Wellen. Mühte man sich in den ersten Tagen noch darum, die Angelegenheit wie ja schon den NSA-Überwachungswahn klein zu reden. Zuerst wurde das Ausmaß relativiert, dann der Doppelagent als behindert und Hilfskraft „downgegraded“ und schließlich mit der Behauptung verharmlost, dass es sich bei den an die CIA gelieferten Unterlagen auch um keine Dokumente aus dem NSA-Ausschuss gehandelt habe.

Das hat nicht funktioniert, das Maß des Erträglichen ist in Gesellschaft und Medien dieses Mal ganz offensichtlich überschritten. Und unser Bundespräsident schaltete sich am letzten Wochenende gar mit einem energischen „Jetzt reicht’s auch einmal“ ein.

Typisch für Merkel, sich dann – da das Aussitzen dieses Mal nicht funktioniert hat – etwas indirekt über Ihre wenigen Getreuen, hier de Maizière, an die Spitze der Bewegung zu setzen und erst einmal die USA in Angst und Schrecken zu versetzen durch die Ankündigung, dass jetzt zurückspioniert würde. Wer noch einen Beleg für die Realitätsferne unserer Kanzlerin und Bundesregierung gebraucht hat, weiß es ab jetzt besser. Auch die SPD erwachte kurze Zeit später. Justizminister Heiko Maas und SPD Generalsekretärin Yasmin Fahimi fordern drastische Konsequenzen. Und dann folgte der “Wutanfall“ der Bundesregierung, wie es der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, Mike Rogers, nannte.

Pofalla. Alles auf eigene Rechnung?

Warum erst jetzt? Vor einem Jahr konnte noch Ronald Pofalla Bundesbürger und Parlament ungestraft an der Nase herumführen und behaupten, die Sache sei erledigt. Wider besseren Wissens. Die zahllosen Belege von Edward Snowden wurden vom Tisch gewischt. Der NSA-Ausschuss lahmt seit Wochen vor sich hin und hält das Bundesvolk mit Possen über die Art und den Ort der Befragung von Snowden und ob man ihn überhaupt als Zeugen befragen könne zum Narren.

Pofalla ist nicht nur ungestraft davon gekommen, er ist bald Einkommensmillionär dank eines extra für ihn geschaffenen anstrengungslosen „Jobs“ bei der Deutschen Bahn. Er war und ist immer noch berühmt für seinen kurzen Draht zur Kanzlerin. Er hat mit seinem ungeschickten Krisenmanagement und dem erbärmlichen Versuch, die aus Sicht der CDU leidige Affäre quasi ex cathedra zu beenden, weil es eben ja gar keine millionenfache Ausspähung bundesdeutscher Bürger gegeben habe, lange Erfolg gehabt.

Mit ein bisschen mehr Distanz und Konfliktbereitschaft der bundesdeutschen Meinungsführer gegenüber der Kanzlerin hätte man sich viel eher der Frage widmen können, was die Affäre tatsächlich ist und welche Folgen sie haben kann.

Die rote Linie wurde überschritten

Ob und wie das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin abgehört wurde, ist eigentlich eher unbedeutend. Es ist davon auszugehen, dass das im Bundeskanzleramt bekannt war und umgangen wurde. Auch der Umstand, dass jetzt ein BND-Agent als Doppelagent enttarnt wurde, ist eher wenig überraschend. Doppelagenten wird es viele geben. Und zwar in vielen Ministerien und Organisationen. Zudem sind CIA, NSA und die vielen anderen konkurrierenden Geheimdienste, die in Deutschland ungehindert ihren Kerngeschäften nachgehen können, doch auch so bestens versorgt mit Informationen aus dem Zentrum der Macht und versehen mit allen wichtigen Informationen der deutschen Geheimdienste. Man kennt sich und man arbeitet seit Jahrzehnten eng zusammen. Das ist innen- wie außenpolitisch brisant.

Der eigentliche Skandal bleibt doch die millionenfache Ausspähung unbescholtener Bundesbürger durch den eigenen Geheimdienst und die Freifahrkarte für die US-amerikanischen Geheimdienste, grenzen- und schrankenlos die elektronische Kommunikation in Deutschland in einer Totalität zu überwachen, zu kontrollieren und aufzuzeichnen, wie es das in der bisherigen Geschichte Deutschlands noch nicht gegeben hat.  Die Regierung Merkel und insbesondere ihre Kanzleramtsminister de Maizière, Pofalla und nun Altmaier haben es zugelassen, dass die individuellen Grund- und Freiheitsrechte der 80 Millionen Bundesbürger massiv und permanent verletzt wurden. Das ist der Kernpunkt der Krise und die Erschütterung des transatlantischen Bündnisses, das für die Bundesrepublik ja erst die Chance zur Demokratie und zum Überleben in den Jahren des kalten Krieges ermöglicht hat.

Vertrauen mit dem Hammer?

Das, was das tiefe Vertrauen zu den USA als den Garanten der Freiheit und der Demokratie in Deutschland und in Westeuropa begründet hat, wird seit spätestens 2001 in einer Weise unterminiert, wie wir es ansonsten nur von Unrechtsstaaten kennen.  Es erschüttert das Vertrauen in den Rechtsstaat, das Vertrauen in den wichtigsten Verbündeten und natürlich das Vertrauen in die bundesdeutsche Politik, weil sie tatenlos zusieht bzw., noch schlimmer, diese fundamentale Verletzung unserer Verfassung geduldet und durch den BND sogar massenhaft unterstützt hat. Und ausgerechnet unter der Bundeskanzlerin Merkel. Mit ihrer gelebten Erfahrung eines Unrechtssystems hätte man ein Mindestmaß an Sensibilität erwarten können. Ebenso der Bundespräsident. Sein Wort zum Sonntag „Jetzt reicht’s auch einmal“  wird der Sache in keiner Weise gerecht. Das ist vergleichbar mit der Bitte eines Sportfunktionärs oder Trainers, ab jetzt doch bei der Fußball-WM wieder „fair“ zu spielen. Es handelt sich bei den Grund- und Freiheitsrechten nicht um ein Spiel.

US-Präsident Obama hatte noch jüngst in einer Rede vor Kadetten der Elite-Militärakademie West Point stolz seine Doktrin vorgetragen: „Just because we have the best hammer does not mean that every problem is a nail“. Im Falle der Massenüberwachung deutscher Bürger und der – vermutlich umfassenden – Spionage bei deutschen Regierungsstellen, Wirtschaftsunternehmen und sicher auch gesellschaftlichen Organisationen ist das wohl völlig aus dem Ruder gelaufen. Seit dem Trauma des 11. September haben die USA keine Antwort darauf gefunden, wie das Streben nach Sicherheit und Demokratie vereinbar ist. Die Geheimdienste in den USA als auch ihr Einsatz in befreundeten Partnerstaaten sind völlig aus dem Ruder gelaufen. Und die politische Kontrolle des Apparates, der über Budgets und technische Möglichkeiten verfügt, die man sich kaum vorstellen kann, hat völlig versagt. Jeder Bundesbürger, der z.B. seine Internetkommunikation schützen will, wird automatisch von der NSA erfasst und gelistet. Oder anders ausgedrückt: Wer das Verfassungsrecht in Anspruch nimmt, das Briefgeheimnis sowie die Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnisses zu schützen, indem er seine Mails oder seine Internetnutzung verschlüsselt oder anonymisiert, ist ein Feind der USA. Big Brother lässt grüßen!

Wertegemeinschaft in der Krise

Die Basis des transatlantischen Bündnisses war über Jahrzehnte die Wertegemeinschaft im Hinblick auf die fundamentalen Freiheits- und Menschenrechte. Der Bruch des Völkerrechts (Irakkrieg), die Missachtung der Menschenrechte (Guantanamo und Folterpraxis), die gezielten Tötungen unter Einbezug der Ermordung vieler Unschuldiger und nun die massenhafte Ausspähung friedfertiger und völlig harmloser Bundesbürger sind damit nicht vereinbar. So lange die USA sich nicht an das Pflichtenheft der Demokratie halten, können sie nicht erwarten, dass der Westen Amerika vertraut.

Das nährt gerade die Zweifel an weitgehenden Vereinbarungen wie TTIP. Wer nicht vor der Verletzung von Völker- und Menschenrecht zurückschreckt, wird kaum bei Verbraucherschutz, Industriestandardisierung, Regulierung von Wirtschaftsbereichen etc. zum „fair play“ finden.

TTIP  wäre eine wichtige Antwort auf die Veränderungen der weltweiten Machtverschiebung gewesen. Dieses gewaltige Vorhaben könnte mehr als 1/3 des globalen Welthandels umfassen, sogar 50% der globalen Wertschöpfung und weit über 60% des globalen Investitionsbestandes. Aber so ein Vorhaben geht nur in einer Partnerschaft und einem grundsätzlichem Klima des Vertrauens.

Das „Partner in Leadership“-Angebot von Bush Senior aus dem Jahr 1989 und die Erneuerung des Angebots von Bush Junior im Jahre 2006, ist kein Thema mehr, war vermutlich auch nie ein ernsthaftes Ansinnen. Die Bundesrepublik Deutschland und die EU werden als vom US-Hammer abhängige Satelliten und keinesfalls als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen. Das „Fuck the EU“ war ganz offensichtlich kein Ausrutscher, es war die, zwar wenig diplomatische, aber ehrliche Sichtweise der US-amerikanischen Politik. Leider.

Das Fundament für die so erfolgreiche transatlantische Freundschaft, das Vertrauen, wurde grundlegend beschädigt. Wer den besten Hammer, um Obama zu zitieren, gegen Freunde und Partner einsetzt, hat ein erhebliches Problem. Um das zu reparieren, braucht es wahrscheinlich eine gewisse Zeit. Für Obama dürfte das zu knapp werden. Vermutlich ist er auch angesichts der ungeheuren Polarisierung in der amerikanischen Politik dazu zu schwach. Die Bindungen der Bundesrepublik und der EU an die USA sind aber alternativlos. Wer sonst sollte die Führungsrolle in der Welt übernehmen?

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Tags: BNDGrundrechteMerkelNo SpyNSANSA- AffäreSnowdenSpionageUSA
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