Dass die alte SPD sich auf ihre Wurzeln besinnen würde, damit hatte ich schon nicht mehr gerechnet. Irgendwie schien die SPD abhanden gekommen zu sein, in Berlin und im Willy-Brandt-Haus genauso wie in den Regionen von Flensburg bis Garmisch, vom Niederrhein bis zum Oderbruch. Die älteste deutsche Partei mit ihrer ruhmreichen Geschichte fand, obwohl oder gerade weil in der Regierung, kaum noch statt in der öffentlichen Diskussion, oder soll man besser sagen Aufgeregtheit. Abgestürzt in Umfragen, in Bayern sogar im Grenzbereich um etwas über 5 Prozent gelandet. Doch jetzt scheint sie wieder da zu sein. Sie hat ein Konzept zur Reform des Sozialstaats präsentiert, das es in sich hat. Die SPD will den Weg in die digitale Arbeitswelt gehen, sie will ihn gestalten. Dafür bricht sie mit Hartz IV, will einen höheren Mindestlohn von rund 12 Euro, ein längeres Arbeitslosengeld, weniger Härten und mehr Hilfen für Arbeitslose, Kinder sollen aus dem Hartz-IV-System gelöst werden, mehr Home-Office und: Wer länger gearbeitet hat, soll auch deutlich länger Arbeitslosengeld beziehen, Vermögen und Wohnungen sollen länger geschützt werden. Die Reaktionen zeigen, dass Nahles und Co. einen Aufschlag gelandet haben, einen Treffer, vielleicht sogar einen Masterplan geschaffen haben.
Dass Kritik geäußert wird, beweist, dass man den Plan ernst nimmt. Erstaunlich, wie geschlossen die sonst so zerstrittene SPD auftritt. Sogar einer wie Sigmar Gabriel, sonst immer für einen Alleingang und Querschuss gut, stellt sich hinter den Vorschlag des Vorstands, eine Grund- oder Respektrente für Geringverdiener einzuführen. Es wird Kritik geübt, weil die SPD-Spitze es versäumt habe, eine Finanzierung ihres Reformpaketes vorzulegen. Das stimmt so, aber nicht ganz, was man merkt, wenn man es Punkt für Punkt liest. Oder wenn man dem Arbeitsminister Hubertus Heil bei der TV-Sendung „Hart aber fair“ zugehört hat. So betont die SPD, dass alle „angemessen“ an der Finanzierung der Reformen beteiligt werden sollen, was nur bedeuten kann, dass die SPD auch die Unternehmen zur Kasse bitten will. Warum eigentlich nicht, wenn man bedenkt, dass in der Zukunft die Wertschöpfung mehr und mehr durch Maschinen erworben, dass also menschliche Arbeit eben durch diese Maschinen ersetzt wird.
Gute Leute fallen nicht von Bäumen
Noch mehr als es heute schon geschieht, werden Arbeitnehmer umschulen müssen, um mithalten zu können im Rennen um einen neuen Job. Dafür steht ein Recht auf Weiterbildung. Denn gute, sehr gute, weitergebildete Facharbeiter fallen nicht von den Bäumen, wie ich das gerade in einem Beitrag für die Friedrich-Ebert-Stiftung las. Was wir noch brauchen, ist ein schnelles Internet, überall in Deutschland, es darf keine Funklöcher mehr geben, der ländliche Raum muss genauso erschlossen werden wie der in München und in Hamburg und Berlin. Es kann doch nicht sein, dass wir im Netz-Ranking noch hinter Albanien liegen. Eine erstklassige digitale Infrastruktur ist Voraussetzung für vieles andere. Das muss der Staat leisten und zwar schnell.
Umdenken heißt das für alle, für die Politik, die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer, die Gewerkschaften, die Industrieverbände. Es kann sich keiner davon stehlen, weil diese mehr stille Revolution bereits im Gange ist, sie wird vieles und viele verändern. Jobs werden wegfallen, neue kommen hinzu. Umdenken heißt auch, wir müssen für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen. Es kann nicht weiter angehen, dass Reichtum und Vermögen weiter so einseitig verteilt bleiben, wie das heute der Fall ist. Und wenn nicht gegengesteuert wird, wird diese Schere noch weiter auseinanderklaffen. Der Gedanke einer Vermögensteuer missfällt manchem Zeitgenossen, man kann dem Kind auch einen anderen Namen geben, doch eine wie immer geartete Mitfinanzierung scheint überfällig. Es muss niemanden schrecken, wenn -typisch für Deutschland- schon jetzt wieder jemand davon spricht oder damit droht, dass solche Politik in Karlsruhe landen werde. Als wenn das Bundesverfassungsgericht unsere Probleme lösen könnte!
Gegen die Spaltung der Gesellschaft
Worum es auch geht, hat Arbeitsminister Hubertus Heil klar gemacht: Dafür zu sorgen, dass dieses Land und diese Gesellschaft nicht weiter gespalten wird, dass man zusammenhält oder -fügt, was zusammengehört. Gerade das ist wichtig in einer Zeit, da die Egoismen in der ganzen Welt um sich greifen, da das Nationale betont wird selbst da, wo gemeinsames Handeln angebracht wäre. Solidarität ist gefragt. In Deutschland, in Europa. Allein ist jede Nation überfordert, gemeinsam kann die Europäische Union sich behaupten gegen Asien, Amerika, Russland.
Zum Konzept der SPD gehört eine Grundrente, der Minister sprach von einer Respektrente. Damit will er erreichen, dass auch Geringverdiener im Alter ein würdiges Leben führen können. Es ist nicht Gleichmacherei, wie Kritiker schnell angemerkt haben. Wer länger arbeitet und mehr eingezahlt hat, soll weiter mehr bekommen als jene, denen man mit der Grundrente helfen will, dass sie nicht zu Bettlern werden. In einem reichen Land wie Deutschland eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wenn man solidarisch denkt und fühlt. Dass für die Finanzierung dieser Grundrente auch die Unternehmen herangezogen werden sollen, ist angesichts der digitalen Revolution ein Gebot der Stunde. Jahrelang haben viele Firmen von niedrigen Löhnen profitiert, während viele Arbeitnehmer von diesem Boom so gut wie nichts hatten. 40 Prozent der Lohnabhängigen, so stand es im Leitartikel der Süddeutschen Zeitung, hätten nichts gespürt von der glänzenden Lage der Wirtschaft. Die Zeitung zitiert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung.
Wir sollten uns die übliche Auseinandersetzung über diese Reformvorschläge der SPD ersparen. Es bringt doch nichts, wenn einer wie Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier(CDU), der seit Jahr und Tag erfolgreich mit den Grünen regiert, im Stile alter Klassenkampfdebatten lospoltert, die SPD plane „die Beerdigung der sozialen Marktwirtschaft.“ Mit diesem „strammen Linkskurs“ wolle die SPD wieder Wähler zurückgewinnen. Bouffier warf der SPD vor, „mehr Bürokratie, mehr Staat und Steuererhöhungen“ zu wollen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder(CSU) reagierte ähnlich, es dürfe „keinen ideologischen Linksruck“ geben. Ziemlich billig diese Antworten angesichts der vor uns liegenden Herausforderungen.
Hartz IV als Stigma empfunden
Dass die SPD mit Hartz IV bricht, wie es Medien schreiben, hat gute Gründe. Die Zeiten haben sich geändert. Die Agenda 2010, von Bundeskanzler Gerhard Schröder durchgesetzt, hat die Arbeitslosigkeit von mehr als fünf Millionen Menschen bis heute halbieren helfen. Der Agenda fehlte jedoch die soziale Flankierung, wie sie zum Beispiel ein Mindestlohn hätte liefern können. Und mehr noch hat diese Reform auch viele Beschäftigte in Niedriglohnsektoren hervorgerufen, mit deren Problemen wir heute noch zu tun haben. Wer ohne Job ist, wird schnell als „Hartzer“ hingestellt, keine angenehme Ansprache, weil diese Zeitgenossen oft genug ausgeschlossen sind vom übrigen gesellschaftlichen Leben. Hartz IV war ein Wahlkampf-Thema. Ich erinnere mich noch, als ich 2005 über den Wahlkampf in Brandenburg schrieb. Die Linke attackierte Schröders Agenda mit der Parole. „Hartz IV, das ist Armut per Gesetz.“ Und dieses Bild haftet der SPD immer noch an. Hartz IV wird als Stigma empfunden, vor dem viele Angst haben und diese Angst vor dem Abstieg ist längst in der Mittelschicht angekommen.
Auch deshalb müssen Sanktionen abgemildert werden, müssen Menschen besser betreut werden, braucht es eine Art Weiterbildung als Recht für jeden Beschäftigten, damit er vorsorgen kann, ehe es zu spät ist. Die Beratung in den Arbeitsmarkt-Agenturen lässt oft zu wünschen übrig. Da findet nicht selten Beratung nur auf dem Papier statt, die keinem hilft. Und mancher Berater hat nur einen Job auf Zeit, also kümmert er sich selber auch um seine eigene Zukunft. Da sollte man mal genauer hinschauen.
Die SPD war früher die Partei der Arbeiter, der Malocher in den Zechen und Hütten, auf dem Bau, der Leute mit den eher dünnen Portemonnaies, ja auch der Aufsteiger, weil die SPD mit ihrer Bildungspolitik dafür sorgte, dass auch die Kinder von Arbeitern und Geringverdienern das Abitur machten, ja sogar studieren konnten. Sie war eine Art Betriebsrat der Nation, der sich um die vielen Sorgen der kleinen Leute kümmerte, der Schwachen, die sich keinen Anwalt leisten konnten und die oft genug keine Lobby hatten. Wie das auch heute der Fall ist. Man könnte da viele nennen, wie die Krankenschwestern, Pfleger, Polizisten, viele Tausende von Angestellten, Millionen von Alleinerziehenden, Wohnungssuchenden, die quasi ihr gesamtes Monatseinkommen einsetzen müssen, um ein ordentliches Dach über dem Kopf zu haben. Soziale Gerechtigkeit ist es, um die sich die Partei wieder kümmern muss, Gerechtigkeit, die einer Mehrheit dieser Gesellschaft nicht mehr widerfährt, weil sie nur die Minderheit der Erträge bekommt, wie es die SZ formuliert. Man kann es auch so sagen, ohne jemandem zu nahe zu treten: Die Starken können sich selbst helfen, die Millionen Schwachen bedürfen der Hilfe der anderen- ja auch und gerade der SPD. Die soziale Wende könnte ein Neuanfang der Partei sein. Wenn sie steht und Haltung zeigt und nicht einknickt, wenn der politische Gegner sie wegen des neuen Kurses aufs Korn nimmt. Übrigens: Unser System heißt soziale Marktwirtschaft und nicht Kapitalismus. Übersetzt: Der Starke hilft dem Schwachen, der Gesunde dem Kranken und der Junge dem Alten. Schon vergessen?
Bildquelle: flickr, SPD Schleswig-Holstein, CC BY 2.0