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Ein großer Deutscher, dem Europa am Herzen lag – Zum Tode von Helmut Schmidt

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
10. November 2015
Helmut Schmidt

Er war ein großer Deutscher, dem Europa am Herzen lag, der aber dabei die Interessen Deutschlands nicht vergaß und dessen Stimme in aller Welt über Jahre gehört wurde. Helmut Schmidt, der frühere Bundeskanzler der Bundesrepublik zwischen 1974 und 1982, Verteidigungsminister, Wirtschafts- und Finanzminister, Hamburger Senator, Sozialdemokrat seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den er mitmachen musste, ein Mann, der sich immer wieder einmischte in die wichtigen Themen des Lebens, dieser Hamburger, wie ihn respektvoll sein ehemaliger Regierungssprecher Klaus Bölling nannte, ist tot, gestorben im Alter von 96 Jahren.

Wer diesem Mann, den preußische Tugenden auszeichneten, je begegnet ist, hatte spätestens danach großen Respekt vor seiner Präsenz und seinem Intellekt. Mit der Bezeichnung Krisenmanager wird zwar richtig beschrieben, dass der damalige Kanzler Schmidt eine Reihe von Krisen zu managen hatte und dies mit Bravour erledigte. Aber Krisenmanager greift zu kurz für diesen Politiker und Zeugen einer Zeit, in der Europa von Kriegen und Krisen erschüttert wurde und aus diesen Trümmern der Wiederaufbau gelang. Mit Persönlichkeiten vom Format eines Helmut Schmidt, der im Zweifel nicht lange fackelte, sondern entschied, wenn Not am Mann war und zwar sofort.

Wie damals bei der Hochwasser-Katastrophe in seiner Heimatstadt, als er den Einsatz der Bundeswehr einforderte und damit Menschen rettete. Die Jahrhundertflut 1962 mit Hunderten von Toden und sein Einsatz verliehen ihm das Image eines Machers, der nicht lange nach Recht und Gesetz fragte, sondern entschied. „Es waren lauter aufgeregte Hühner. Einer musste die Sache in die Hand nehmen“. So hat er es später gesagt.

Schmidt-Schnauze war der Spitzname

Schmidt-Schnauze, das war auch sein Spitzname. Und den hat er sich redlich verdient in seinen aktiven politischen Jahren. Wenn der politische Gegner ihm quer kam, dann ging Schmidt verbal auf diesen los, Samthandschuhe hatte er dabei nie angezogen. Mit schneidiger Stimme fuhr er den Gegenüber an und trieb ihn in die Ecke, manchmal konnte sein Auftreten aber auch schneidend sein, arrogant. Später, nach seinem Rücktritt als Kanzler und dem Ende seiner politischen Arbeit im Deutschen Bundestag meldete er sich als Mitherausgeber der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“, um zu sagen, wo es langzugehen habe. Da wurde er richtig Kult, wie es neudeutsch hieß. Selbst mit Journalisten, die er oft als Wegelagerer beschimpft hatte, konnte er es plötzlich aushalten und die mit ihm.

Nein, bequem war er nie. Einfach Ja und Amen zu sagen, kam für ihn nicht infrage. Er focht eine scharfe Klinge. Reden konnte er und sich dabei darstellen am Rednerpult des Hohen Hauses in Bonn, das war schon meisterhaft, seine Auftritte glichen Hochämtern. Mancher Schauspieler wird ihn beneidet haben.

Er war ein Mann mit Ecken und Kanten, der auch manches übersah, weil es ihm nicht gefiel oder er es nicht wahrhaben wollte. So geschehen, als die Umweltfreunde auf den Plan kamen und die politische Szene bereicherten, seine Freunde waren es nicht, es waren damals auch nicht seine Themen, eher die des Parteifreundes Willy Brandt, der mehr Gespür hatte für das, was sich in den Köpfen junger Leute abspielte. Da war Schmidt dann doch mehr der Macher, auch wenn einer wie Erhard Eppler dieses Image, wie es von Schmidt vorgetragen wurde, störte, wie er kürzlich in Berlin erzählte. Vielleicht war es die Herzenswärme, die einer wie Brandt ausstrahlte, und die man bei Schmidt vermisste. Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen, beschied er mal entsprechende Vorstöße von Linken und anderen.

Führte die Republik durch Stürme

Helmut Schmidt strahlte mehr die kühle und sachliche Politik aus, er musste und wollte entscheiden. Wie zum Beispiel bei der ersten Ölkrise, als die Preise für Öl und Benzin in die Höhe schnellten. Durch diesen wirtschaftlichen Sturm, der die Republik erfasste und sie durchschüttelte, führte sie Schmidt, der Lotse, wie ihn seine Bewunderer zu Recht nannten.

Diese Führungskunst verhalft ihm auch, die vielleicht größte Krise seiner Laufbahn, den Umgang mit der Terrororganisation „RAF“ zu meisten, als diese den Arbeitgeberpräsidenten Martin Schleyer entführten, dessen Fahrer und Bodyguards kaltschnäuzig abknallten und später auch Schleyer ermordeten. Das waren schwere Stunden für den Kanzler und Macher, der sich und den Staat nicht erpressen ließ und den Forderungen der RAF-Leute nicht nachgab. Der Tod Schleyers, „an dem wir ganz gewiss mitschuldig waren“, hat ihn schwer getroffen.

Mit seiner Partei, der SPD, geriet er oft über Kreuz. Gegen Ende seiner Kanzlerschaft verweigerte sie ihm die Gefolgschaft und zwar in der Sozial- und Finanzpolitik wie auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Unvergessen die Auseinandersetzungen über den Nato-Doppelbeschluss, die geforderte Stationierung von atomaren Pershing- und Cruise-Missile-Raketen als Antwort auf die sowjetischen SS-20-Raketen. Am Ende seiner Kanzlerschaft stand er in dieser Frage mit seinem Verteidigungsminister Hans Apel so gut wie allein da in der SPD. Aber auch in der Sozial- und Finanzpolitik hatte er erkannt, „dass wir viel tiefer in Leistungsgesetze einschneiden müssten“, um wieder handlungsfähig zu werden. Schmidt wusste, dass die alte Arbeiterpartei diesen Weg nicht mitgehen würde.

Der FDP warf er Verrat vor

Dass die FDP ihm schließlich 1982 die Koalition aufkündigte und damit den Weg freimachte für ein konstruktives Misstrauensvotum, das Helmut Kohl zum Kanzler machte, hat ihn mächtig gewurmt, auch weil die FDP mit dem Wahlkampf-Slogan angetreten war: „FDP wählen, damit Helmut Schmidt Kanzler bleibt“. Seinem Zorn über die Liberalen ließ er dann im hessischen Wahlkampf Luft und warf der FDP Genschers „Verrat“ vor und setzte nach: „Die gehören weggeharkt.“ CDU-Mann Alfred Dregger verlor die Landtags-Wahl gegen Holger Börner, den SPD-Politiker. Auch dank „Schmidt-Schnauze“.

Am Ende seiner politischen Zeit hatte sich seine Partei längst mit ihm versöhnt. Man lud ihn wieder zu Parteitagen sein, hörte ihm geduldig, einige sogar andächtig zu. Der Kanzler Gerhard Schröder suchte seine Nähe und bat ihn mehrfach ins Berliner Kanzleramt, um Schmidts Rat zu hören. Dabei rauchte der Kettenraucher Schmidt eine Schachtel Menthol-Zigaretten und verließ das Amt, wenn die Schachtel leer war. Das Rauchen hat er nie aufgegeben, ja es gab Veranstaltungen, da hatte er sich das Recht auf seine geliebte Zigarette beinahe verbriefen lassen, ohne die er nicht erschienen wäre. Auf entsprechende Fragen hat er gelegentlich geantwortet, er könne nicht erkennen, dass das Rauchen Einfluss auf seine Gesundheit genommen habe.

Kissinger: Ohne ihn ist die Welt leer

Ja, er war schon zu Lebzeiten ein hochgeehrter Mann. Zu seinem 90. Geburtstag dankte die CDU-Kanzlerin Angela Merkel Helmut Schmidt „für seinen Beitrag zum Gelingen von fast 60 Jahren Demokratie in Deutschland“ und würdigte ihn als “eine der prägendsten und angesehensten Persönlichkeiten“. Für seinen Freund Giscard d´Estaing war Schmidt der „beste Kanzler neben Konrad Adenauer“. Ohne den Europäer Schmidt „hätten wir es nicht geschafft, eines der solidesten monetären Fundamente in der Welt von heute zu legen“. Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger bezeichnete den Hamburger als „Gewissen der Nation und intellektuellen Leuchtturm für die demokratische Sache“. „Eigensinnig, perfektionistisch“ sei er gewesen, „fordernd, inspirierend und verlässlich“. Ohne Schmidt wäre die Welt leer“. So Kissinger zum 90.Geburtstags eines Mannes, der wenige Wochen vor seinem 97. Geburtstag in Hamburg starb.

Bildquelle: Wikipedia, Photo courtesy of NVP User:nvpswitzerland, CC BY-SA 3.0

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