Es hat immer etwas Besonderes, wenn ein Alt-Sozialdemokrat wie Erhard Eppler sich zu Wort meldet. Eppler genießt das Vertrauen vieler in der SPD. Einer wie er versteht sich aufs Argumentieren, wirbt für das Zuhören, er kommt nicht polternd daher und ruft auch niemanden zur Räson. Mit fast leisten Worten erinnert der kluge oder besser weise Mann- er ist 91 Jahre alt- in einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ an die erste große Koalition 1966, die die SPD mit Willy Brandt einging. Der von den Nazis einst verfolgte und ins Ausland emigrierte Willy Brandt wurde Vizekanzler unter dem CDU-Kanzler Kurt-Georg Kiesender, der Mitglied der NSDAP gewesen war in jenen vergangenen braunen und schlimmen Jahren. Es gehörte einiges dazu, dass Brandt diesen Schritt tat und mit ihm Leute wie Erhard Eppler und auch einer wie Herbert Werner, dem einstigen Kommunisten. Epplers Fazit in der SZ: „Es stimmt nicht, dass die Sozialdemokraten nach jeder großen Koalition von den Wählern abgestraft worden wären. Die Regierung des CDU-Kanzlers Kurt Georg Kiesinger und seines SPD-Außenministers Willy Brandt von 1966 bis 1969, der ich angehörte, führte unmittelbar zur ersten Regierung des SPD-Kanzlers Brandt mit seinem Stellvertreter Walter Scheel, FDP.“
Die SPD wollte mit ihrer Beteiligung an dieser großen Koalition beweisen, dass sie regierungsfähig ist. Jahre vorher hatte man das alte Parteiprogramm mehr als durchgelüftet und alte Hüte über Bord geworfen, die SPD wurde durch das Godesberger Programm(1959 in der Godesberger Stadthalle beschlossen) zu einer Partei, die die von Konrad Adenauer eingegange Westbindung akzeptierte, ihren Frieden mit der Bundeswehr schloss, die soziale Marktwirtschaft gehörte fortan auch zum Programm der SPD, sie verabschiedete sich vom marxistischen Gedankengut-Herbert Wehner: „Glaubt einem Gebrannten“- und aus einer sozialistischen Arbeiterpartei wurde eine Volkspartei.
Er kämpfte einst auch für Schröder
Eppler erinnert in dem Beitrag für die SZ weiter an die Erfolge der SPD in den Folgejahren, daran, dass sie zweimal stärkste Partei in der Bundesrepublik wurde- 1972 mit Brandt und 1998 mit Gerhard Schröder- und dreimal den Kanzler stellte, neben Brandt und Schröder war ja auch Helmut Schmidt von 1974 bis 1982 Bundeskanzler. Trotz aller Leistungen der SPD-Ministerinnen und -Minister in den drei großen Koalitionen habe man nicht verhindern können, dass die SPD zuletzt „weniger als die Hälfte der Wähler anzog.“ Kein Wunder, so Eppler, dass nach der „letzten und schlimmsten Niederlage die Parole: Jetzt aber Opposition! großen Anklang fand.“ Dabei muss noch einmal ergänzt werden, dass alle Parteien der großen Koalition bei der letzten Wahl schwere Verluste erlitten, die meisten Stimmen büsste sogar die CDU ein, aber auch die CSU sackte ab und die SPD landete mit gut 20 Prozent bei ihrem schwächsten Ergebnis nach dem Krieg. Die Ankündigung von Martin Schulz, nun in die Opposition zu gehen, war also fast logisch, sie bedeutete keine Verweigerung, Verantwortung zu übernehmen, sondern Schulz und der Vorstand der Partei akzeptierten das Wählervotum. Zudem begründete er diesen Schritt ja mit dem Argument, die SPD wolle der rechtspopulistischen AfD nicht die Führungsrolle in der Opposition überlassen. Eppler hält dem Nein von Schulz nun dagegen, dass es „voreilig“ war. „Denn erst musste bewiesen werden, dass Deutschland auch ohne die SPD regierbar ist. Das ist, Christian Lindner sei Dank, misslungen.“
Sozialdemokratische Schwüre, so Eppler, man wolle unter keinen Umständen regieren, seien „etwas leichtsinnig“. Denn eine Partei, die seit mehr als 150 Jahren der deutschen Demokratie diene, könne nicht einfach zusehen, wie die Republik ohne eine regierungsfähige Koalition bleibe. Und dass Jamaika gescheitert sei, müsse niemanden überraschen, weil die beiden kleinen Parteien, die als regierungsfähig gelten, von „ihrer Entstehung, ihrem politischen Stil, ihrer menschlichen Substanz“ her „die eindeutigsten politischen Gegner“ seien.
Eppler hat schon zu Regierungszeiten von Gerhard Schröder in schwierigen Fragen Flagge gezeigt. Damals, bei der umstrittenen Agenda 2010 , setzte er sich in einer mit aller Leidenschaft vorgetragenen Rede auf einem Parteitag in Berlin für dieses Wirtschaftsprogramm ein. Ich sehe ihn noch heute am Rednerpult, ein alter, aber sehr wacher Mann, der alle seine Kräfte mobilisierte, um die Regierungsfähigkeit des SPD-Kanzlers Schröder zu unterstützen. Das hatte Gewicht. Eppler, ein Sozialdemokrat, über viele Zweifel erhaben, der sich schon mit Helmut Schmidt angelegt hatte, wenn ihm was Wesentliches an der Politik nicht gefiel. Und der sich auf die Seite
von Schröder schlug, ohne Wenn und Aber. Und der jetzt für Martin Schulz Partei ergreift und für die übrigen Befürworter einer großen Koalition, die ja im Grunde keine mehr ist, weil beide Volksparteien erheblich geschrumpft sind. Eppler räumt in der SZ ein, dass dieser Weg kein leichter sei, den eine „verunsicherte Union und eine gedemütigte SPD“ eingingen in einer gemeinsamen Koalition.
Kein Wettrüsten dank SPD
Aus den 28 Seiten Sondierungen greift der Alt-Sozialdemokrat einige heraus, die er für gut befindet. So die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung, das findet er geradezu revolutionär. Und dann würdigt er die sozialdemokratische Handschrift im Verteidigungshaushalt, der um zwei Milliarden Euro steigen soll und eben nicht um die von US-Präsident Trump geforderten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das Wettrüsten in Europa finde nicht statt. Eppler: „Allein dieser Beschluss führt mich dazu, diesen 28 Seiten zuzustimmen.“
Der Mann bekennt, er sei seit 62 Jahren Sozialdemokrat und wenn er gefragt werde nach seiner Meinung laute die Antwort: „Ich bin für das Ja. Ich übersehe einigermaßen, was das Ja bringen wird, nicht, wohin das Nein führt. Neuwahlen in den nächsten Monaten würden uns ankämpfen lassen gegen das Argument: Wozu wollt Ihr unsere Stimme?“ Wenn die SPD bereit sei, „das zu tun, wofür wir bekannt sind: dass wir Verantwortung übernehmen, auch wenn es uns nicht nützen muss, haben wir eine Chance, den Abwärtstrend zu stoppen.“
Der Union gibt der weise Mann den leisen Rat, der SPD ein wenig zu helfen. Nein, man könne nicht den ganzen Sondierungsprozess wiederholen, aber die Union könne doch, wenn die SPD noch drei Wünsche habe, „mindestens einen erfüllen“. Ein Bonbon?
Groschek wirbt für GroKo
Unterdessen geht die Debatte innerhalb der SPD über die GroKo weiter. Laut einer Umfrage ist die Mehrheit der SPD-Wähler für eine Beteiligung der Partei an einer Koalition mit der Union. Entschieden ist aber nichts. Es wird mit harten Bandagen gekämpft, SPD-Fraktionschefin Andres Nahles, einst Juso-Vorsitzende, warf ihrem Amtsnachfolger Kevin Kühnert vor, die Genossen in Sachsen-Anhalt in Sachen Rente falsch informiert zu haben. Kontrovers verläuft die Diskussion auch in NRW, dem stärksten Landesverband, der beim Sonderparteitag am Sonntag in Bonn eine wichtige Rolle spielen wird. Deren Landesvorsitzender Michael Grosckek bemühte sich in einem Interview mit dem Bonner „Generalanzeiger“ um die Beruhigung der Gemüter. Groschek wirbt für Koalitionsverhandlungen mit der Union, die ja einem Ja auf dem angesprochenen SPD-Kongress folgen würden. Er glaube, am Ende eine „überzeugte, keine überredete Mehrheit“ zu haben, Begeisterungsstürme seien dabei nicht zu erwarten. Aber die SPD werde nach dem Parteitag handlungsfähig sein.
Streit in Bayern über Obergrenze
Wichtig für den Ausgang des Parteienstreits ist auch die Haltung der Sozialdemokraten in Bayern, sie stellen immerhin 78 Delegierte (von 600). Martin Schulz hat auch im Freistaat für seinen Kurs, Ja zu Koalitionsverhandlungen, geworben und „kritisches Wohlwollen“ erzielt, wie es in einem Bericht der SZ im München/Bayern-Teil des Blattes heißt. Die Frage einer Obergrenze für Flüchtlinge, von der CSU mit rund 200000 angesetzt und einer ihrer Kernforderungen, beschäftigt die SPD-Mitglieder in Bayern. Mancher fühle sich „richtig veräppelt“, wenn man davon rede, dass die SPD keiner Obergrenze zugestimmt habe. Und ein anderer bekräftigte: „Wenn es da keine Klärung gibt, ist das nicht vermittelbar.“ Zu alledem hatte Schulz gesagt, man möge doch das Glas halb voll sehen, also die Erfolge der SPD in den Sondierungen nicht klein reden. Und im übrigen bekräftige er: „Sondierungen sind noch keine Koalitionsgespräche.“ Heißt, man werde nacharbeiten, einer wie Groschek warnt jedoch vor Illusionen.
Bildquelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F050815-0035 / Schütz, Klaus / CC-BY-SA 3.0 CC BY-SA 3.0 de, via Wikimedia Commons