„Die Häme, mit der manche Journalisten den neuen Vorsitzenden begegnen, finde ich befremdlich.“ So hat es gerade die stellvertretende SPD-Parteichefin Klara Geywitz gesagt und damit ausgedrückt, dass ihrer Meinung nach das neue SPD-Duo aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans nicht fair bewertet werde. Frau Geywitz, 43 Jahre alt, Mutter von drei Kindern, gehörte zusammen mit Olaf Scholz zu den Verlierern der SPD-internen Ausscheidung über den Vorsitz der ältesten deutschen Partei, nachdem die frühere Chefin Andrea Nahles Monate zuvor hingeworfen hatte. Mitleid ist nicht angebracht in der Politik, aber die Kritik an bestimmten Medien ist berechtigt, wir haben das im Blog-der-Republik schon vor Wochen getan, weil wir die Berichterstattung insgesamt unfair fanden, nicht ausgewogen, von Vorurteilen geprägt.
Klara Geywitz hat ihrer Kritik noch Gründe hinzugefügt, die sie als ausschlaggebend für die Meinung der Journalisten vermutet: Weil die neue SPD-Führung links sei, weil die Linie von Esken und Walter-Borjans nicht dem neoliberalen Mainstream entspräche, der den Zeitgeist präge. Die-gemeint die Journalisten- hätten eine andere SPD-Spitze gewollt. Und dann hat Frau Geywitz noch betont, Frau Esken werde deshalb noch härter als Walter-Borjans von den Journalisten angepackt, weil sie eine Frau sei. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Korrespondent des Berliner „Tagesspiegel“, Robert Birnbaum, einräumt, dass Frau Esken von einem Teil der schreibenden Zunft in der Hauptstadt härter kritisiert werde. „Kann schon sein“, habe ich in seiner Kolumne „Hauptstadtlage“ gelesen. Birnbaum, ein sehr guter Journalist, erfahren, fügt dem aber auch hinzu, man sollte andererseits auch nicht völlig ausschließen, dass Frau Esken deshalb härter kritisiert werde, weil sie härter auftrete. Dann fällt noch der Hinweis mit dem „Sozialismus-Feuerwerk“, worüber ich mich dann gewundert habe. Walter-Borjans beruft sich auf Willy Brandt und Johannes Rau, beide unverdächtige Sozialdemokraten- aus meiner bescheidenen Sicht. Er will mehr Gerechtigkeit, Steuer-Gerechtigkeit, will die Reichen, die Milliardäre stärker zur Kasse bitten. Und das soll Sozialismus sein?
Es gab Zeiten, da räumte man einer neuen Regierung, neuen Minister, neuen Parteichefs eine Schonzeit ein, ehe man sie aufs Korn nahm. Im Falle von Esken/Walter-Borjans hatte „Forsa“ schon am Tag nach dem Bekanntgeben der Wahl-Ergebnisse die erste Meinungsumfrage veröffentlicht, natürlich mit dem Pfeil Richtung Untergang der SPD. Wann eigentlich hat der Manfred Güllner diese Umfrage gestartet? Es lag noch nichts Inhaltliches vor, als das erste (Vor-?)Urteil schon gefällt wurde. Und dann folgte die Berichterstattung in den Medien. Ich nenne hier nur ein Beispiel, nein, nicht die Zeitung mit den großen Buchstaben, das wäre zu einfach. Ich nehme als Beispiel die „Süddeutsche Zeitung“, die ich seit Jahrzehnten lese, die ich seit ein paar Jahren abonniert habe, auch wegen ihrer ausgewogenen liberalen Berichterstattung, manche stufen die SZ als leicht linksliberal ein. Aber was das Blatt mir am Tag nach der Wahl von Esken/Walter-Borjans bot, war einseitig, unfair, gegen die neue SPD-Spitze gerichtet. Ich habe mit Freunden in Berlin telefoniert, ebenfalls SZ-Leser, auch sie waren mehr als irritiert, sprachen von SPD-Bashing.( Übrigens las ich einen bemerkenswerten Satz des heutigen SZ-Kolumnisten und früheren Politik-Chefs der SZ, Heribert Prantl: Man habe sich angewöhnt, die SPD als Bordstein zu behandeln, an den sich gut pinkeln lasse. Erschienen am 14. Dezember unter der Überschrift: Die Wiederauferstejhung der Sozialdemokratie. )
Später rief ich frühere Kollegen aus dem Ruhrgebiet und anderen Regionen an. Auch sie bestätigten die einseitige Berichterstattung in ihren Blättern durch ihre jeweiligen Korrespondenten. Sie fügten erklärend hinzu, die Berliner Hauptstadt-Journaille sei beleidigt gewesen wegen der Wahl von Esken/Walter-Borjans, beleidigt, weil die schreibende Zunft andere favorisiert und sich damit ziemlich vertan hatte.Die Korrespondenten waren sauer, dass die SPD-Mitglieder Leute aus der Provinz gewählt hatten, einen Rentner aus Köln, der als Landesfinanzminister dadurch aufgefallen sei, dass er mit seinem Etat für NRW mehrfach vor dem Verfassungsgericht in Münster gelandet sei. Dass dieser NRW-Finanzminister Steuer-CDs gekauft hatte und damit Milliarden Euro von Steuerhinterziehern eingetrieben hatte, wurde vermerkt. Dass er dabei große Widerstände aus der Politik zu überstehen hatte, weil man ihm vorhielt, der Staat trete mit dem Ankauf von Steuer-CDs als Hehler auf und mache sich strafbar, diese Diskussion haben sich viele erspart. Sie triefte ja auch vor Heuchelei. Und als vor Wochen der CDU–Finanzminister Lutz Lienenkämper wie damals Walter-Borjans Steuer-CDs angekauft hatte, war das eine Nachricht wert, aber das mit der Hehlerei spielte keine Rolle mehr.
Es ist mehr als auffallend, wie freundlich viele Medien dem Grünen-Duo Baerbock/Habeck begegnen. Da wird in Interviews eine richtig kuschelige Atmosphäre geschaffen, die Grünen sind halt der neue Liebling der Medien, die sauer sind, dass Jamaika vor Jahr und Tag nicht zustande kam, sondern eine erneute Groko. Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz, Allianzen, wie sie in Hessen funktionieren und in Baden-Württemberg. Und bald in Berlin, so der Wunsch der Journalisten. Sie werden sich gedulden müssen, Angela Merkel scheint entschlossen zu sein, bis zum Ende der Legislaturperiode regieren zu wollen. Was ja auch ihres Amtes ist.
Und was ist nun mit dem SPD-Führungs-Duo? Warum ist die SPD noch in der Groko und nicht längst raus aus der Regierung mit Merkel und auf der Oppositionsbank? Wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, haben Esken wie auch Walter-Borjans zwar Kritik an der Groko geübt, am Auftreten der SPD-Bundesminister, sie haben Forderungen aufgestellt, die sie in der Groko umsetzen wollen, sie haben nicht gesagt, dass ihre Wahl in jedem Fall das Ende der Groko bedeutet. Oder? Das kann noch passieren.Und ich will hier auch mit keiner Silbe die Arbeit der SPD-Minister im Kabinett schön schreiben. Nur, man vergesse bitte nicht, wie diese Groko zustande kam. Dass nämlich der Bundespräsident die Partei-Chefs von CDU, CSU und SPD in die Pflicht nahm, nachdem wochenlange Gespräche zwischen der Union, den Grünen und der FDP gescheitert warten. Vielleicht ist es möglich, mit dem Urteil über die Arbeit der neuen SPD-Führung noch ein paar Tage zu warten. Früher war es guter Brauch, einer neuen Führung von Regierung, Ministerium oder Partei 100 Tage einzuräumen. Das Ergebnis der SPD-Abstimmung über die Wahl von Esken/Walter-Borjans wurde am 30. November 2019 veröffentlicht, am 6. Dezember wurde es vom SPD-Bundesparteitag in Berlin bestätigt. Hundert Tage wären es bis Ende Februar. Am 26. Februar ist Aschermittwoch.
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