Was Recht ist, muss Recht bleiben. Diese einfache Formel gilt auch im Fall der Abschiebung des mutmaßlichen Islamisten Sami A. nach Tunesien. Dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) ist daher energisch zu widersprechen, wenn er behauptet, „im Ergebnis können wir froh sein, dass der Gefährder nicht mehr in Deutschland ist“. Nein, im Gegenteil, wir müssen tief besorgt sein, denn eine solche Auffassung bringt den Rechtsstaat in Gefahr.
Ohne Rechtsstaat keine Demokratie. Die Herrschaft des Rechts erfordert uneingeschränkten Respekt, ob einem das Ergebnis nun passt oder nicht. Laschet lässt genau diesen Respekt vermissen, wenn er die vollzogene Abschiebung begrüßt. „Hauptsache weg“ darf eben nicht die neue Haltung im Umgang mit „Schüblingen“, sprich: Menschen sein, die abgeschoben werden sollen.
Das Rechtsstaatsgebot gehört zu den grundlegenden Prinzipien unseres Staates. Es bindet Regierung und Behörden an die Gesetze und muss ausnahmslos und unterschiedslos gelten, es garantiert die Grundrechte für jedermann und erfordert eine unabhängige Gerichtsbarkeit, die staatliches Handeln überprüfen kann. Alles andere würde staatlicher Willkür Tür und Tor öffnen.
Weil sie das befürchten, haben SPD und Grüne im Landtag von Nordrhein-Westfalen eine Sondersitzung des Rechtsausschusses beantragt. „Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz“ nannten sie ihr Anliegen und fragten, ob „das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und die Öffentlichkeit im Fall Sami A. bewusst getäuscht“ wurden. Die Koalitionsfraktionen weiteten das Ganze zu einer gemeinsamen Sondersitzung mit dem Integrationsausschuss aus und ließen Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) zu den Vorwürfen Stellung nehmen, die Abschiebung sei „grob rechtswidrig“ gewesen. Das Gericht hatte dies und die Verletzung „grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien“ beklagt.
Stamp sagte der Darstellung des Landtags zufolge, von Sami A. sei eine „akute, erhebliche Gefahr“ für die öffentliche Sicherheit ausgegangen, die rechtlichen Voraussetzungen für die Abschiebung am 13. Juli 2018 hätten „vollständig“ vorgelegen und Sami A., der zur Leibgarde von Osama bin Laden gehört habe, sei zum Zeitpunkt der Abschiebung „vollziehbar ausreisepflichtig“ gewesen. Daher hätten die Behörden „rechtskonform“ gehandelt, zumal ihm in Tunesien die Gefahr von Folter nicht drohe. Die Abschiebung sei bewusst „zügig und diskret“ durchgeführt worden. Als Minister trage er dafür „die volle Verantwortung“.
Deutlich zurückhaltender äußerte sich in der Sitzung demnach NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU). Er unterstrich, in Deutschland müsse verbindlich gelten, „was unabhängige Gerichte entscheiden“. Zum Schutz des Rechtsstaates gehöre es aber auch, konsequent gegen Gefährder vorzugehen. „Hier machen wir keine Kompromisse.“ Ob die Ausweisung von Sami A. rechtmäßig gewesen sei oder nicht, werde derzeit bei Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster sowie des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen geprüft. „Die Richter werden nach Recht und Gesetz entscheiden.“ Zu den laufenden Verfahren wollte Biesenbach keine weitere Stellung nehmen.
Die Grünen warfen der Landesregierung vor, das Gericht in Gelsenkirchen nicht über den Zeitpunkt der Abschiebung informiert zu haben. Anderenfalls hätte das Gericht „frühzeitig einen unanfechtbaren Beschluss gefasst, dass Sami A. vorerst nicht nach Tunesien abgeschoben werden dürfe, sagte Stefan Engstfeld. Und: Ein solcher Beschluss habe das zuständige Ministerium erreicht, als der Flieger mit Sami A. an Bord am 13. Juli noch in der Luft gewesen sei. Der Gerichtsbeschluss sei zu diesem Zeitpunkt rechtwirksam gewesen, aber übergangen worden.
Schwere Vorwürfe gegen die Landesregierung erhob auch die SPD, für die Sven Wolf von „Rechtsbruch“ und „Selbstjustiz“ sprach. Die Landesregierung habe „hinter dem Rücken der Richter“ agiert und die Grenzen der Gewaltenteilung missachtet. Das habe zu einer „tiefen und fundamentalen Vertrauenskrise“ in Regierungshandeln geführt. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen habe im Vorfeld klar zu verstehen gegeben, dass Sami A. nur abgeschoben werden könne, wenn das Gericht einen entsprechenden Beschluss fasse.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte verlangt, Sami A. „unverzüglich“ nach Deutschland zurückzuholen. In einem weiteren Fall, einer unbestritten unrechtmäßigen Abschiebung nach Afghanistan, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) inzwischen selbst auf Rückholung entschieden. Obwohl die Zuständigkeit für Abschiebungen bei den Ländern liegt, war Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in die Kritik geraten. Er hatte sich mit 69 Abschiebungen zu seinem 69. Geburtstag gebrüstet und den Eindruck einer forcierten Abschiebepolitik erweckt, die womöglich keine Rücksicht mehr auf Recht und Gesetz nimmt.
Das Ministerium bestreitet eine Mitverantwortung Seehofers im Fall Sami A. Zwar sei ihm dessen rasche Abschiebung wichtig gewesen, gedrängt habe er aber nicht. Der Flug war bereits seit dem 9. Juli geplant, an diesem Tag bestätigte die Bundespolizei dem Land NRW den geplanten Flugtermin 13. Juli. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wurde darüber offensichtlich nicht informiert.
So ergibt sich insgesamt ein Bild, wonach die Landesregierung das Gericht missachtet, wenn nicht bewusst umgangen hat. Während das Gericht nichts von dem geplanten Abschiebedatum erfuhr, war den Behörden schließlich bekannt, dass ein Gerichtsbeschluss ausstand. In dieser Situation Fakten zu schaffen, verhöhnt den Rechtsstaat, der schon mit Hetzbegriffen wie „Abschiebeindustrie“ verunglimpft wird. Solche „Ergebnisse“, wie sie von Rechtsaußen bejubelt werden und wie sie Armin Laschet gutheißt, haben einen gefährlich hohen Preis.
Mit gutem Grund blicken wir besorgt auf Entwicklungen in Polen und Ungarn, wo Verfassungsänderungen und Justizreformen die Unabhängigkeit der Gerichte derart beschneiden, dass die Justiz zum Handlanger der Regierungen degradiert und letztlich das Prinzip der Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt wird.
Bildquelle: Screenshot Google
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