Da kommt der aktuelle Newsletter des Blog-der-Republik angeflattert und atemlos stellt der Leser fest, dass die Meinungen von Klaus Vater und Christoph Lütgert nicht übereins zu bringen sind. Und tags darauf beklagt Chefredakteur Pieper den Zustand der SPD in den kräftigsten Tönen. Wie schön! Ein Hauch von Republik und von „lasst-uns reden.“
Der eine, Vater, ist empört, weil seine Parteivorsitzende zur Unzeit durchblicken lässt, nach der Bundestagswahl auch als Kellner (Kanzler-Schröder-Begriff vom kleineren Koalitionspartner) unter einem grünen Koch (Schröder-Begriff vom größeren Koalitionspartner) tätig werden zu wollen; der andere, Lütgert, findet es nachgerade lächerlich, dass die SPD überhaupt einen Kanzlerkandidaten nominiert hat. Wohingegen Pieper – von mir sehr kurz gefasst – weiss, die falschen Chefs hätten den richtigen Kandidaten ausgerufen. Alle Autoren haben nebenbei eine Meinung gemein, die herauszufinden es keiner größeren Textexegese bedarf: sie finden Frau Eskens schrecklich. Das ist anscheinend ein mehrheitsfähiges Bauchgefühl, denn noch nie habe ich jemanden gut über die weibliche Hälfte des SPD-Vorsitzes reden hören.
Gelesen habe ich einmal in der Süddeutschen Zeitung, dass Saskia Eskens etwas richtig gemacht hätte. Das soll bei intelligenten Menschen öfter vorkommen, dass sie etwas richtig machen.Was aber das richtige Wort zur richtigen Zeit gewesen sein soll, hat sich mir nicht eingeprägt. Rücksichtslos undiplomatische Äußerungen, die falsche Zeichen setzen, gab es einige. Einmal beleidigte sie gleich sämtliche Polizistinnen und Polizisten mit dem Generalverdacht des Rechtsextremismus. Das war zwar nicht als Generalverdacht gemeint und davon abgesehen sogar insoweit zutreffend, als es mancherorts tatsächlich Probleme mit und wegen rechtsextremistischer Polizeibeamter gibt. In Hessen zum Beispiel. Wenn es einem Politiker oder Politikerin allerdings gelingt, einen zutreffenden Sachverhalt so darzustellen, dass es allseitige Empörung über die ausgedrückte Unsachlichkeit gibt, ist die Assoziation mit dem Peter-Prinzip nicht von der Hand zu weisen. So wünscht sich Alfons Pieper einen Putsch-Parteitag à la Mannheim. Genauso gut könnten die Herren Post (NRW), Post (Bayern) mit dem Landesverband Niedersachsen zusammen eine Jagd der Art veranstalten, mit der sie die um ein großes Vielfaches sympathischere und menschlichere Andrea Nahles aus ihren Ämtern vertrieben hatten. Das kann der SPD (noch; vgl. Kramp-Karrenbauer) keiner nehmen: im Wegmobben von Führungspersonal ist sie unerreicht.
Siegeszuversicht und Selbstbewusstsein
Zurück zu Gegensätzen und Unterschieden zwischen den genannten bdR-Autoren: In der Regel sind Siegeszuversicht und Selbstbewußtsein Voraussetzungen dafür, ein gesetztes Ziel erreichen zu können – erst recht wenn dazu die Unterstützung vieler anderer Menschen benötigt wird. Das spricht für die Empörung Vaters. Wird dieses Selbstbewußtsein aber unglaubwürdig, weil das Ziel unerreichbar erscheint und die Zuversicht nur noch vorgegaukelt wird, vergrößert sich am Ende der Schaden. Vielleicht hat Lütgert an Johannes Rau gedacht, der im Wahlkampf noch von einer eigenen Mehrheit sprach, als die längst außer Sicht war. Oder Lütgert ist es, wie wir älteren Bundesbürger alle, gewohnt, dass sich Spitzenkandidaten (Kandidatinnen hat es bei der FDP nie gegeben) einer kleinen Partei nicht als Kanzlerkandidaten bezeichnen. Die SPD findet laut Umfragen lange und stabil in einer Größenordnung ihr zuteil werdender Zustimmung, wie sie von der FDP bei Bundestagswahlen nur einmal in 70 Jahren erreicht wurde: etwas über 14%. Das dürfte der Erfahrungshintergrund sein, auf dem sich Lütgerts Meinung gebildet haben könnte, ein SPD Kanzlerkandidat sei lächerlich.
Es gibt aus jüngster Zeit ein Beispiel dafür, dass eine Landes-SPD ausdrücklich darauf verzichtet hat, einen Ministerpräsidenten zu nominieren. Der Landesverband begnügte sich unter Wolfgang Tiefensee angesichts zuletzt erreichter gut 12% mit einem Spitzenkandidaten. Das war mit Sicherheit nicht der einzige Grund für den Verlust eines weiteren Drittels des Wähleranteils bei den letzten Wahlen 2019, da endete man bei gut 8 %. Als Erfolgsrezept empfiehlt es sich also erst recht nicht, die eigenen Ansprüche zurück zu schrauben.
Alfons Pieper schont bei seinem Leiden an der SPD Walter-Borjans und erst recht den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Leider kolportiert er dabei die Meinung derer, die der SPD auch jetzt nur Selbstzerfleischung zutrauen. Das kann, muss sich aber nicht erweisen. Hier ein paar Überlegungen, warum die Nominierung Scholz‘ klug ist:
Köningsmacher Kevin Kühnert
Gerade weil sich Kevin Künert als „Königsmacher“ des SPD-Vorsitzenden-Duos feiern ließ, die selbsternannte Parteilinke jetzt also den Vorsitz hat, kommt von dort kaum noch Gefahr für eine geschlossene Wahlkampfstrategie. Stattdessen nimmt man links einige vermeintliche und einige tatsächliche Meinungsänderungen von Scholz, die teilweise der Pandemiebekämpfung und dem Ziel des Zusammenhaltes der EU zu verdanken sind, zum Anlass für den Zusammenschluss. Der würde wohl kaum funktionieren, wenn Olaf Scholz auch noch Parteivorsitzender wäre. Die innerparteiliche Lage ist also vielversprechender als bei den Kandidaturen von Schulz und Steinbrück.
Wenn es im nächsten Jahr an die Wahlurnen geht, wird das in einer politischen Konstellation geschehen, die heute niemand vorhersagen kann. Welche Volten und Problemlagen wird uns die Pandemie noch bescheren? Werden sich die internationalen Katastrophen und Turbulenzen doch noch auf das innenpolitische Klima auswirken? Was ist überhaupt eine CDU ohne Merkel noch wert und wen nominieren die C-Parteien für das Kanzleramt? Von einem Höhenflug der Grünen spricht im Augenblick niemand mehr; wissen die Wähler*innen in einem Jahr genauer, ob sie eine halblinke Politik machen oder lieber das Abonnement der C-Parteien auf das Kanzleramt verlängern wollen? Hält die Selbstzerfleischung der AfD an oder wird ihre Selbstverharmlosung bis dahin den aktuellen Schaden reparieren können? Ob die Ergebnisse der Partei „DieLinke“, die ohne überzeugende Mission ist, besser werden können oder nicht, ist so ungewiss, wie alles andere auch.
Wahrscheinlich ist, dass das Wahlergebnis kaum etwas mit den heutigen Umfragewerten zu tun haben wird. Dass der zur Zeit beliebteste Politiker (nach Merkel) auch wegen der Ruhe und Sicherheit, die er ausstrahlt, in die Lage kommt, eine Koalition schmieden zu können, ist also gar nicht so unwahrscheinlich. Mit einem Programm, dass einen Schwerpunkt bei der Wiedergewinnung und dem Erhalt öffentlicher Güter setzt (Kliniken, Wasserversorgung, sozialer Wohnungsbau etc.), mehr soziale, innere und äußere Sicherheit und vor allem weniger Ungleichheit verspricht, kann es auch gelingen, wieder über 20 % zu kommen. Die SPD wird keinen Bruch mit der bisherigen Entwicklung vollziehen können und dürfen, aber sie muss neue Akzente setzen, Akzente, übrigens, auf die Olaf Scholz auch ohne und vor Kevin Künert gekommen ist.
Scholz-Laschet-Habeck-Söder
Man stelle sich vor, die Spitzenkandidaten heißen Scholz, Laschet und Habeck – wen werden wir Wähler dann als Kanzler haben wollen? Den ausgewiesenen, ruhigen Pragmatiker, den irrlichternden aber netten Ministerpräsidenten oder den schönsten Mann Norddeutschlands?
Oder die Konstellation Scholz-Söder-Habeck? Söder ist zwar mit einem strotzenden Selbstbewusstsein ausgestattet, ob das außerhalb Bayerns gefällt, wenn er ernsthaft Kandidat wäre und ob es die im Vergleich zu NRW schlechtere Pandemie-Bilanz überdecken und das Misstrauen beruhigen kann, das Söders Fähigkeit über Nacht scheinbar eine andere Person werden zu können, ist eher zweifelhaft.
Fairerweise müsste ich heute noch die Konstellationen mit einer grünen Spitzenkandidatin Baerbock durchspielen. Ich glaube aber nicht, dass die Grünen schlau genug für Annalena sein werden. Auch das ist jedoch noch ungewiss. Ein Anzeichen für Olaf Scholz‘ Erfolgsaussichten möchte ich am Schluss nicht unerwähnt lassen – es sind die journalistischen Beobachter, die schon zwei – im übrigen ereignislose – Tage nach der Nominierung des SPD-Kandidaten mit dem Raunen beginnen, ob beziehungsweise wann die SPD oder doch wenigstens der ewige Kevin Scholz in den Rücken fallen werden. Die so schreiben, und reden nehmen Scholz und seine Kandidatur jedenfalls ernst sonst könnten – und würden – sie sich diese Mühe sparen.
Bildquelle: Wikipedia, Von SPD in Niedersachsen – Flickr: 2010-05-LPT_232, CC BY-SA 2.0,