Viele Monate lang dauerte die Suche der SPD nach ihrem neuen Spitzenduo. Die Endausscheidung überraschte vor allem auch viele Politastrologen, insbesondere jene Spezies von neunmalklugen Professoren, die allzu gern am Globus drehen und mit ihren politologischen Analysen das Publikum mehr verwirren denn erhellen. Nahezu alle hatten auf Olaf Scholz und Klara Geywitz getippt, nur die wenigsten auf Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Die Mehrheit der Genossen hat indessen so entschieden und damit gegen ein Weiter so in der GroKo.
Neue Genossen-Spitze
Das neue SPD-Führungsduo, das am kommenden Wochenende noch auf dem SPD-Parteitag „geweiht“ wird, steht für einen eindeutigen Linksruck. Zwar fordern Walter-Borjans und Esken nicht die sofortige Beendigung der GroKo, doch verlangen sie weitere Zugeständnisse von der Union, wenn diese das Regierungsbündnis fortsetzen will. Dazu zählen ein höherer Mindestlohn, von mindestens 12 € pro Stunde, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Aufgabe der „Schwarzen Null“ in der Haushaltspolitik, eine höhere Einkommensteuer für Topverdiener, eine Ausweitung der Tarifverbindlichkeit, höhere Kinder- und Familienleistungen einen CO2-Preis von 40 € und ein staatliches 500 Milliarden-Investitionsprogramm für die öffentliche Infrastruktur, den Klimaschutz und die Digitalisierung.
Beachtliche GroKo-Erfolge
Vor rund 20 Monaten hatten sich die CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, zur Mitte der Legislaturperiode eine Bestandsaufnahme zu machen. Die GroKo-Partner wollten überprüfen, was bislang bereits realisiert worden ist und was aufgrund aktueller Entwicklungen an neuen Vorhaben noch vereinbart werden müsste. Die Zwischenbilanz ist nicht so schlecht, wie sie häufig wahrgenommen und bewertet wurde. In der Tat wurde vieles auf den Weg gebracht – für die finanzielle Entlastung von Familien, mehr Bildung und Forschung, die Digitalisierung, den Ausgleich der Kalten Progression, die Erhöhung des Mindestlohns, die Einwanderung von Fachkräften, die weitgehende Abschaffung des Solidaritätszuschlages, die Energiewende und den Klimaschutz, die Grundrente sowie für vieles andere mehr. Ob sich dafür die Unionschristen stärker als die Sozialdemokraten die Federn an den Hut heften können, wird in den Parteien immer wieder diskutiert. Die exakte Zurechnung ist schwierig genug, doch hat die SPD in ihrer Regierungsverantwortung auf jeden Fall mehr erreicht, als wenn sie – wie zunächst geplant – auf die Bänke der Opposition gegangen wäre. Für die GroKo-Partner gilt gleichermaßen, dass sie ihre guten Entscheidungen mehr zerredet denn in ihren positiven Wirkungen für die Bürgerinnen und Bürger offensiv nach außen erklärt oder gar gefeiert haben.
SPD-Sehnsucht nach Opposition
Zwar kann sich kaum jemand in der CDU und CSU vorstellen, dass die von Norbert Walter-Borjans und insbesondere von der nassforschen Saskia Esken gestellten Forderungen erfüllt werden. Sollten diese beiden Sozialdemokraten darauf bestehen, weil sie damit insbesondere die Postulate der Jusos befriedigen wollen, würden sie das Ende der GroKo gewiss einläuten. Allerdings werden sich auf dem SPD-Parteitag viele Stimmen der Vernunft zu Wort melden. Insbesondere die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion wissen nur zu gut, wie Recht Franz Müntefering mit seinem Dogma bis heute hat: Opposition ist Mist! Denn die Anträge der Opposition werden durchweg abgeschmettert und landen im Papierkorb.
Hart an der roten Linie
Aus der Union wird Gesprächsbereitschaft signalisiert. Das ist eigentlich selbstverständlich, zumal sich im Laufe einer Legislaturperiode manche Rahmenbedingungen für politische Entscheidungen verändern. Wer jedoch den Koalitionsvertrag völlig überarbeiten oder in seinen wichtigen Grundlagen total verändern will, wird rasch an die roten Linien gelangen. Jedenfalls wird die Union nicht den Weg einer weiteren Sozialdemokratisierung mitgehen, vor allem nicht noch weiter nach links rücken. Denn CDU und CSU wollen ihre Stärke in der Mitte der Gesellschaft behaupten und wieder ausbauen. Sonst droht ihr ein weiterer Erosionsprozess: Die Union könnte noch weiter als bisher schon zwischen den Grünen und der AfD zerrieben werden – so wie es bei der SPD zwischen den Grünen und Linken bereits weitgehend erfolgte.
Neuwahl in 2020?
Die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer hat gerade sehr deutlich gemacht, dass sie die GroKo nicht um jeden Preis fortsetzen und sich schon gar nicht erpressen lassen wird. Viele Genossen und sogar der nassforsche Juso-Führer Kevin Kühnert rudern derweil etwas zurück, schließen indessen ein vorzeitiges Ende der GroKo keinesfalls aus.
Wenn die GroKo partout bis 2021 nicht zu retten sein wird, dürfte es schon im nächsten Jahr zu einer Bundestagswahl kommen. Denn eine Minderheitsregierung im Bund wäre zwar denkbar, aber kaum realistisch. Die GroKo-Parteien sind jedoch nur unzulänglich auf eine baldige Neuwahl vorbereitet. Die SPD wird zwar ein neues Duo an ihre Spitze wählen, doch weiß niemand, wer zum nächsten Kanzlerkandidaten gekürt werden sollte: Saskia Esken oder Norbert Walter-Borjans oder doch eine andere oder ein anderer oder vielleicht niemand, weil die SPD ohne Spitzenfrau/-mann in die Wahl ziehen wird. Bei den Grünen ist die Entscheidung auch noch nicht gefallen, ob auf Baerbock oder Habeck die Wahl für das Kanzleramt fallen soll. In einem schwierigen Findungsprozess würde auch die Union geraten: Annegret Kramp-Karrenbauer hat das erste Zugriffsrecht. Doch ob sie als Kanzlerkandidatin antreten würde, ist ungewiss. Armin Laschet wäre wohl die beste CDU-Alternative. Aber Friedrich Merz und Jens Spahn befinden sich in einer Lauerstellung um das Erbe von Angela Merkel. Gewiss Geschichte wiederholt sich nicht, doch könnte Annegret Kramp-Karrenbauer dem Ministerpräsidenten Bayerns, Markus Söder, den Vortritt lassen – so wie es im Jahre 2001 Angela Merkel mit Edmund Stoiber vereinbarte. Die Bundesrepublik Deutschland war in den 70 Jahren ihres Bestehens ein sehr stabiler Staat mit den großen Volksparteien CDU, CSU auf der einen, mit der SPD auf der anderen Seite. Nun droht unsere Republik ins Rutschen zu geraten. Die bunten Koalitionen in einigen Bundesländern waren dafür bereits deutliche Signale. Bei aktuellen Umfragen liegt die SPD gerade noch bei 13 bis 14 %; ein weiteres Abrutschen wäre nach dem Ausstieg aus der GroKo wohl sehr wahrscheinlich. Die Union erreicht derzeit noch 25 bis 26 %, ist also vom Status einer starken Volkspartei weit entfernt. Kenia oder Jamaika könnte die Formation einer nächsten Koalition im Bund sein.
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