Die Thüringen-Wahl hat es in sich. Wenig hilfreich ist dabei das von der CDU angestimmte Gejammer über die Niederlage der politischen Mitte. Mehr als 31 Prozent für die „Linke“ und ihren selbst in der Wählerschaft der Union beliebten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zeigen, dass die „Linke“ in Thüringen längst auch in der Mitte angekommen ist. Der mit über elf Prozent schmerzhafte Verlust der CDU zeigt zudem, dass Ramelow politisch überzeugt hat und nichts von den Untergangsszenarien übrig geblieben ist, die ihm zu Beginn seiner Amtszeit vorausgesagt wurden.
Schmerzhaft, bei einer Wahlbeteiligung von 64,9 Prozent, dass fast jeder Vierte sein Kreuz bei der AfD machte, obwohl der Landesverband von dem rechtsextremistischen Flügel beherrscht und von seinem neonazistischen Vorturner Bernd Höcke angeführt wird. Gleichzeitig fuhren die Sozialdemokraten ihr mit 8,2 Prozent schlechtestes Ergebnis ein. Auch die Grünen überwanden gerade noch die Fünf-Prozent-Hürde. Beide Parteien sorgten damit dafür, dass die Rot-Rot-Grüne Koalition ihre Mehrheit verlor.
Thüringen und Sachsen, bei beiden Wahlen für die Sozialdemokraten einstellige Ergebnisse. Nur bei ebenfalls großen Verlusten in Brandenburg, waren sie noch knapper Erster vor der AfD. Ob das Anlass wird, den eigenen politischen Standort, als immer kleiner werdender, von den Wähler/innen zunehmend verstoßener Juniorpartner der Union, und den Verbleib in der auch immer kleiner gewordenen GroKo gründlich zu überprüfen?
Es ist für die SPD notwendig, jede Ausflucht aufzugeben und endlich ernsthaft nach den Gründen zu suchen, dass von Wahl zu Wahl die Abwärtsspirale sich weiter beschleunigt? Ende oder Wende ist das die verbliebene sozialdemokratische Perspektive? Die Antwort wäre unzureichend, würde sie es dabei bewenden lassen und die dritte GroKo einfach nur verlassen. Erst recht dann nicht, wenn bei den Menschen nur der Eindruck von Panik bliebe, die das „Sozialdemokratische Zeitalter“ zu einem Ende brächte? Auch die holperige Suche nach einem neuen Führungspersonal, mit zwei verbliebenen Teams, die in die Stichwahl gekommen sind, werden der SPD aus dem tiefen Tal nicht allein den Weg nach oben weisen, um zu neuer Stärke zu geraten.
Die demokratischen Gesellschaften in Europa und den USA werden von innen ausgehöhlt, mit Folgen für den Weltfrieden und solidarischen Zusammenhalt. Statt Zusammenarbeit und internationaler Solidarität beobachten wir den Rückfall in nationalistischen Egoismus, und neue Grenzziehungen. Das personale Angebot ist dürftig und mit dem Blick auf die USA schreckerregend. Mehr denn je brauchte die Welt daher das grenzenlose Europa, das den inneren Zusammenhalt wieder findet. Dazu gehörte auch, den Raubzug der Wirtschaftseliten zu beenden und die Spaltung zwischen Arm und Reich zu überwinden.
Wo ist die sozialdemokratische Antwort auf die weiter wachsende Kluft zwischen Arm und Reich? Während die Mitte der Gesellschaft noch profitiert, haben derzeit vierzig Prozent der Haushalte geringere Einkommen als Mitte der 90-er Jahre. Dagegen kassierten die Reichen hohe Firmengewinne und Kapitaleinkommen. Die Immobilienhausse vergrößerte die Gegensätze.
Weil sich die Hauspreise in den Großstädten und die Wohnungsmieten binnen zehn Jahren verdoppelten, nahm das Vermögen der Deutschen um drei Billionen Euro zu. Mehr als die Hälfte des Wertzuwachses floss in die Taschen der reichsten zehn Prozent. Geschätzt 30.000 Menschen allein in Berlin kommen dagegen bei Freunden oder Verwandten unter, weil sie die Miete für ihre Wohnungen nicht mehr aufbringen können. Viele, die überhaupt kein Dach über dem Kopf haben, müssen im heran ziehenden Winter in Wärmehallen oder Bahnhöfen der U-Bahn unterkommen..
Nur wenn die Sozialdemokratie diese Diskussion entschieden führt und dem derzeit entfesselten Kapitalismus wieder klare Grenzen setzt, kann sie verloren gegangenes Vertrauen und den Gestaltungsraum für eine sozial gerechte Gesellschaft zurückgewinnen. Es geht auch um Unterscheidbarkeit, die in der GroKo den Volksparteien verloren gegangen ist, und es geht auch um das Ende der großen Koalition. Thüringen kann der Beginn sein, die Krise der Demokratie in Deutschland zu überwinden. Dazu gehört gewiss der Streit über den richtigen Weg, der wieder politisch und respektvoll zu führen ist, und das Vertrauen in den Rechtsstaat zu festigen. Dazu gehört auch, klare Kante gegen Rechts, um dem „Nie Wieder“ die Statur zu erhalten.
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