Lange habe ich, eine Italienerin, die in Bonn glücklich lebt, die Entwicklung in meiner alten Heimat beobachtet, verfolgt, wie die Dinge in der Zeit von Corona laufen, und absichtlich bis jetzt geschwiegen. Sacken lassen, nicht gleich ein großes Theater daraus machen, abwägen, nachdenken und nicht die Gefühle sprechen lassen: Das war bis jetzt meine persönliche Devise. Es fiel mir schwer, weil mich die Bilder, die Geschehnisse, die ich aus dem Fernsehen und den Zeitungen wie aus Telefonaten mit meinen Freunden in Florenz und Rom und anderswo bewegten, bedrückten. Die vielen Toten, die Medizin, die der Katastrophe nicht Herr wird. Das Schicksal der Alten, die uns nahestehen. Mansches machte mich sprachlos, ich war erschüttert.
So war meine Haltung schon, als ich in den Karnevalsferien in Florenz war und die ersten Fälle in Italien bekannt wurden. Bei meinem Abflug in Köln fand keinerlei Kontrolle auf deutscher Seite statt, keine bei der Heimkehr. Anders – es ist nun wohl bekannt – lief es damals schon in Italien. Viel zu wenig – zugegeben – aber immerhin. Hinterher ist man immer schlauer.
Zurück in Deutschlad wollten meine Familie und ich am 29. Februar zur Physikshow in der Bonner Uni gehen. Die Vormittagsvorstellung fand noch statt, aber nicht mehr die am Abend, für die wir Karten hatten.
Als ich den handgeschriebenen Zettel an der Parkplatzeinfahrt las, dachte ich, es ging um eine Fake-News und habe brav die Gebühren dafür bezahlt. Ich hatte mich getäuscht: die Veranstaltung wurde stante pedis vom Rektor abgesagt, nachdem der erste von Corona Infizierte positiv getestet worden war und zwar bei der OGS bei den Physikern gleich um die Ecke.
Trotzdem geschah vorerst nichts weiter.
Circa zwei Wochen danach stand ein Familientreffen in Norddeutschland auf dem Kalender. Ein Teil der Familie sagte kurzfristig ab, vom Gastgeber wurde uns zärtlich nah gelegt, dass es verständlich wäre, wenn wir nicht hinfahren würden.
Da unsere zwanzigjährige Tochter dort wohnt und studiert, haben wir uns für die Fahrt entschieden, bevor es zu spät werden konnte. Selbstverständlich sagten wir dem Gastgeber, wir würden uns auf den Besuch der Tocher beschränken, ohne die Familie zu treffen.
Wir seien aber doch selbstverständlich willkommen, war die Antwort: Aber danach, beim gemütlichen Abendbrot, mussten mein dreizehnjähriger Sohn – der mich beim Omabesuch nach Florenz begleitet hatte – und ich uns anhören, dass wir „eigentlich“ in Quarantäne hätten sein müssen. Warum denn, fragte ich? In der Zeit um Mitte März durfte man schließlich durch Deutschland nach Lust und Laune fahren und es war keine Quarantäne selbst für diejenigen vorgesehen, die aus Risiko-Ländern kamen. Oder irre ich mich dabei? Das sind nur ein paar Wahrnehmungen der ersten Phase.
Dann begann die ernste Runde, die bei manchen die Nerven blank ließ. Was sich bei Rewe zeigte, wo die Mitarbeiterin nicht ganz einverstanden mit dem Abstand, den ich zum vor mir stehenden Kunden hielt. Oder dieser Typ mit dem E-Roller, der mich beinahe überfahren hätte, weil er auf dem Fahrradweg zu schnell fuhr und mich beim Abbiegen nicht sah. Aber das kennt jeder in diesen Tagen, die einen schon mal nervös machen. Das ist der normale Alltag, der Einkauf mit beschränktem Zugang zu einigen Mitteln wie Klorollen, Mehl und Seife, was sich aber einspielt.
Die Corona-Krise, diese Epidemie, wird in die Geschichtsbücher eingehen. So oder so. Weil die Menschen in großer Zahl Solidarität übten, Respekt zeigten gegenüber dem Nächsten, wie man es lange nicht gekannt hatte oder nicht mehr gewohnt war. Ein neuer Ton hat sich in unsere Gespräche geschlichen, man darf sich plötzlich wieder Zeit nehmen für dies und das, wünscht sich Gesundheit aus der gebotenen Abstandsentfernung, wozu Anstand uns zwingt, um sich und andere nicht unnötig zu gefährden.
Schauen wir auf Europa, auf die Welt, weil das Virus ja keine Grenzen kennt und sich weder von Euros noch von US-Dollars aufhalten lässt. Alle betroffenen Länder- und es sind alle ohne Ausnahme, weil Corona den einen früher, den anderen später erwischt- haben kleine und große Fehler begangen, weil das Virus zu unbekannt und mächtig war. Der deutsche Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat bei seiner Rede im Bundestag, wo er die in Quarantäne weilende Kanzlerin Angela Merkel vertrat und ihr vom Podium des Hohen Hauses Glück und Gesundheit wünschte, davon gesprochen, dass es für die Bewältigung dieser Krise kein Drehbuch gab. So einzigartig ist diese Pandemie, die Politiker und Wissenschaftler gleichermaßen in Atem hält und sie beschäftigt. Nicht umsonst treten sie in diesen Zeiten oft gemeinsam bei Pressekonferenzen auf und vermitteln auch dort den Eindruck, dass sie nicht alles von diesem Virus wissen und nur verkünden können, was sie gerade erfahren haben. Morgen schon könnte der Wissensstand ein anderer sein. So kann man Vertrauen gewinnen und glaubwürdig bleiben.
Gestatten Sie mir zum Schluss meines Textes einen Blick über die Alpen, in die Gegend um Florenz, wo meine Mutter wohnt, mit der ich fast täglich telefoniere. Die Lage in Italien ist immer noch brenzlich. Vorgestern starben knapp tausend Menschen, darunter auch die erste Minderjährige, gestern verschieden knapp neunhundert. Und das sind nur die Zahlen aus Italien, in Spanien sieht es kaum besser aus.
Jetzt ist die Stunde der Europäischen Union gekommen. Ich, als Deutsch-Italienerin und vor allem Europäerin, bin mir wohl bewusst, dass die EU keine Euro-bzw. Coronabonds beschließen kann. Die EU, und Deutschland vor allem, können alte Fehler und Schulden der finanziell schwächeren EU-Mitglieder wohl jetzt nicht schultern. Das wäre kurzsichtig und sentimental. Das ist nicht, was ich von Profi-Politikern erwarte.
Die europäischen Grundwerte verpflichten aber die EU und zwar heute, morgen ist es vielleicht schon zu spät, ein Zeichen der Solidarität zu geben und allen Trumps klar zu machen, dass wir Eins sind. Eine europäische Union, die früher zu Recht Europäische Gemeinschaft hieß.
IO RESTO A CASA – WIR BLEIBEN ZU HAUSE
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