Wir brauchen eine gemeinsame und solidarische EU-Außenpolitik 

Als Europäerin und Europäistin sehe ich mit Sorge die jüngsten Signale, die die EU und/oder einige Mitgliedsländer nach außen und einander schicken. Zunächs hat Polen es in einem atemberaubenden Tempo geschafft, eine Justizreform zu verabschieden, die mit den elementarsten europäischen Werten nichts, aber gar nichts zu tun hat. Grundlegend für einen demokratischen Staat ist selbstverständlich die Teilung zwischen Politik und Justiz oder, wenn man will, zwischen der legislativen und judikativen Gewalt. Seit der jüngsten Reform ist diese grundlegende Machtbegrenzung in Polen nicht mehr gewährleistet, ist  die Unabhängigkeit der Justiz nicht mehr garantiert: Und das gehört wirklich nicht zur europäischen Union. Dabei sollte man sich eigentlich fragen, ob ein solches Land noch die Legitimation hat, zur EU zugehören. Ich glaube, manche europäischen Verträge sind durch diese so genannte Reform schon jetzt verletzt.

Dann hat eine wichtige EU-Ministerkonferenz am vergangenen 6. Juli in Tallin stattgefunden.
Die Innen-und Justizminister der EU-Staaten haben sich über den ansteigenden Migrantenfluß über die Mittelmeerroute – was nach der Schließung der Balkanroute und dem Beginn  der sommerlichen Wetterlage zu erwarten war –und die Hilferufe Italiens ausgetauscht. Herausgekommen ist dabei ein vages Versprechen von zusätzlicher finanzieller Unterstützung Italiens und die Bestätigung der Notwendigkeit eines Codex für die NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen), die in Mittelmeer aktiv sind. Ein mageres Ergebnis.

Der mit Frontex und der EU-Kommission am 14.07. in Brüssel vereinbarte Codex soll die Unterschrift der italienischen Regierung tragen, aber  dafür sorgen, dass die anderen europäischen Länder bitte schön nicht von der elenden Plage der Schutzsuchenden belästigt werden. So bitter das klingt, aber so bitter muss man das sagen.

EU-Kommission ist machtlos

Man hat gar kein Wort über das Thema einer gerechteren Umverteilung der Migranten verloren, vielleicht weil sogar die Kommission angesichts der  Renitenz mancher europäischer „Partner“ völlig machtlos ist oder es sein will und muss, um weitere Austritte zu verhindern.

Zuvor hatte auch Rom für Aufregung  gesorgt: der vom Ausmaß der aufgenommenen Flüchtlinge unter Druck gesetzte italienische Staat hatte die Möglichkeit in Erwägung gezogen – andere sprechen von „Drohungen“ ­­­- die eigenen Häfen für Rettungsschiffe zu schließen.

Denjenigen, die die Haltung Italiens als „Drohungen“ deuten, muss ich hier widersprechen, denn sie zeigen dadurch, dass sie nur über ungenügende Kenntnisse über das Land und seine aktuelle politische Lage verfügen.

Zunächst sei es hier in Erinnerung gebracht, dass Italien zwischen Oktober 2013 – gleich nach dem schrecklichen Unglück vor den Küsten Lampedusas – und dem selben Monat im Jahr 2014 die Operation „Mare Nostrum“ allein ins Leben gerufen und finanziell gestemmt hat.

Danach, als die Hoffnung auf Fortsetzung der Operation durch Mittel der EU leider enttäuscht wurde, haben die NGOs diese Aufgabe de facto übernommen und viele Menschenleben gerettet.

Als ob die NGOs die Schuld trügen

Heute macht man mit dem Codex die NGOs zum Sündenbock für alle von der EU verpaßten Chancen, um eine Stabilisierung der politischen Lage in Libyen zu erreichen. Zur Erinnerung:

Nachdem die Intervention von England und Frankreich zwar zum Sturz von Diktator Ghaddafi geführt hatte, stellte sich heraus, dass  man leider keinen Plan für die Zeit danach entwickelt hat. So ist Libyen im Grunde ein rechtsfreier Raum, der von Banden und Menschenhändlern beherrscht wird.

Man wirft den NGOs  vor, sie stünden mit diesen Menschenhändlern unter einer Decke. Ihr Verhalten komme einer Art Unterstützung der Menschenschlepper gleich, wenn die Freiwilligen in libysche Hoheitsgewässer eindrängen oder Scheinwerfer einschalten.

Im Moment laufen in Italien sogar verschiedene polizeiliche Voruntersuchungen, die nach Beweisen der o.g. Kontakte suchen. Schon im vergangenem Mai hatte der catanesiche Staatsanwalt Carmelo Zuccaro vor dem Verteidigungsausschuß des italienischen Senats darüber referiert und für heftige Reaktionen seitens der NGOs gesorgt.

Stattdessen wünsche ich mir eine Intervention der EU,  um die Tätigkeiten der rechten und rassistischen Organisation „Defend Europe“ zu untersagen, die zur Zeit mit einem eigenen Schiff im Mittelmeer unterwegs ist, um die Rettungsoperationen der NGOs zu ver- oder zu behindern. Ausgerechnet die NGOs,  denen es zu verdanken ist, dass  viele der ca. 85.000 Menschen, die  seit Jahresanfang in Italien gelandet sind, vor dem Ertrinken gerettet wurden.

Italien ist schon mitten im Wahlkampf

Zum Schluß noch ein Wort zur politischen Lage Italiens. Obwohl dort erst im nächsten Frühling gewählt wird, befindet sich das Land mitten in der Wahlkampagne. Die notwendige Suche nach möglichen Koalitionen nach dem Scheitern der Reform Renzis im vergangen Dezember, die demagogische Ausnutzung des Migrantenthemas seitens des rechten Lagers (Lega Nord mit Fratelli d’Italia/Alleanza Nazionale, aber auch die Bewegung Fünf Sterne des Komikers Beppe Grillos ) und die innere Aufsplitterung der Demokratischen Partei (PD) führen dazu, dass sogar die von PD geführte Regierung zu einem eklatanten Mittel wie dem Codex greift, um das Thema nicht nur in den Händen der Demagogen zu lassen, um die Stimmen der Unentschiedenen zwischen den Fronten anzuwerben.

Man sieht also auch in Italien das, was in den letzen Monaten auch hier in Deutschland in der Politik zu betrachten war: bis zur Wahl in NRW hat Frau Merkel über die „Ehe für Alle“ und die Immigration nach Deutschland strategisch geschwiegen.

Gleich danach hat sie wieder diese Themen aufgegriffen, damit sie nicht nur im Programm der SPD auftauchen.
Aber abgesehen davon: Sicherlich würden eine reifere und endlich wirklich gemeinsame Außenpolitik der EU und eine solidarischere Aufteilung der Schutzsuchenden unter den Mitgliedsstaaten viele Mißverständnisse und falsche Schritte vermeiden.

Das ist das, was ich von einer glaubwürdigen Europäischen Union erwarte.

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Caterina Massai stammt aus Florenz, sie hat dort und in München Geisteswissenschaften studiert, sie lebt seit 23 Jahren in Deutschland und wohnt mit ihrer Familie in Bonn. Sie ist VHS-Dozentin und arbeitet als freiberufliche Übersetzerin. Seit 2013 ist sie eingebürgert.


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