Selten zuvor wuchs die Zahl der Einwohner Deutschlands so stark wie im laufenden Jahrzehnt. Inzwischen leben fast 83 Millionen Menschen hier; das sind etwa 2,5 Millionen mehr als zu Beginn des Jahrzehnts. Insgesamt sind seit 2010 gut 3,8 Millionen Personen mehr zugewandert als von hier weggezogen. Die Deutsche Bank, die sich jüngst in einer Studie mit den Wanderungsbewegungen beschäftigt hat, kommt zu dem Schluss, dass der Umfang der Zuwanderung „allenfalls mit dem Migrationsboom nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vergleichbar ist“.
Flüchtlingszustrom 2015 und 2016
In den Jahren 2015 und 2016 kamen vor allem Flüchtlinge aus den Kriegs- und Krisengebieten des Nahen Ostens und Afrikas. Auf diese Regionen entfielen etwa 46 % aller Zuwanderer; allein aus Syrien kamen fast 700.000 Menschen. Nach der Schließung der Balkan-Route und dem Abkommen mit der Türkei sowie verschiedenen restriktiven asylpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung ist die Zahl der Zuwanderer aus allen Drittstaaten außerhalb der EU kräftig zurückgegangen: kamen im Jahr 2015 noch etwa 860.000, waren es 2016 nur noch rund 350.000 und 2017 um die 200.000, die insbesondere als Flüchtlinge aus Drittstaaten stammten.
2 Millionen Zuwanderer aus EU-Staaten
Eine größere Zuwanderung als aus dem Nahen Osten und Afrika wurde seit 2010 aus den Partnerstaaten der EU registriert. Seitdem kamen fast 2 Millionen Menschen vor allem aus Polen, Rumänien, Kroatien, Bulgarien sowie aus Griechenland, Italien, Portugal und Spanien. Allerdings hat sich in den beiden letzten Jahren der Zustrom aus den EU-Ländern ebenfalls deutlich verringert. Die wirtschaftliche Erholung in Spanien und Portugal sowie in Mitteleuropa trugen entscheidend zu diesem Rückgang bei. Hinzu kommt, dass in einigen dieser EU-Länder ebenfalls Fachkräfte gesucht werden.
Positive Impulse für die Wirtschaft
Wirtschaftsexperten beurteilen die Zuwanderung aus den EU-Staaten durchweg positiv:
Sie hat das Angebot an Arbeitskräften hierzulande erhöht und so trotz Engpässen bei einheimischen Arbeitnehmern zu dem Wachstum unseres Bruttoinlandsproduktes und damit unseres Wohlstandes beigetragen. Die Bundesbank weist zudem auf die lohndämpfenden Effekte hin, zumal die meisten Zuwanderer aus EU-Niedriglohnländern stammen und auch in Deutschland insbesondere in der Landwirtschaft, Gastronomie und im Baugewerbe arbeiten – also in Bereichen mit einer tendenziell unterdurchschnittlichen Lohndynamik und eher niedrigem Lohnniveau tätig sind.
Neues Beschäftigungswunder
Seit 2010 hat die deutsche Volkswirtschaft ein wahres Beschäftigungswunder erlebt: Um sage und schreibe 15 % stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten bis heute auf rund 32,3 Millionen. Diese Steigerung resultiert zu 38 % aus dem Plus bei den sozialversicherungspflichtigen beschäftigten Ausländern; ihre Zahl (3,7 Mio.) hat sich in den letzten 9 Jahren mehr als verdoppelt.
Heute sind fast 11 % aller Beschäftigten Ausländer; 2010 waren es nicht einmal 7 %. Die Zahl der Personen, die aus den Kriegs- und Krisenländern zu uns geflüchtet sind und inzwischen hier arbeiten, nimmt sich dagegen als relativ gering aus. Dabei ist zu bedenken, dass diese Gruppe zunächst einmal Schutz sucht, dass viele Kinder und Jugendliche dazu zählen und dass Asylbewerber aus diesen Ländern der Arbeitsmarktzugang grundsätzlich erst nach 6 Monaten möglich ist. In vielen Fällen ist ihre schnelle Arbeitsmarktintegration auch nicht zu erreichen, da die Qualifizierungsdefizite zu groß und die Sprachkenntnisse zu gering sind. So mag es nicht überraschen, dass die meisten Migranten aus den Kriegs- und Krisenregionen zunächst einmal Sozialleistungsempfänger sind: Fast 1 Million nehmen die Grundsicherung nach SGB II in Anspruch; darunter befinden sich 650.00 Erwerbsfähige. Ihre Integration – auch in den Arbeitsmarkt – wird längere Zeit dauern. Viele von den Flüchtlingen wollen und müssen zudem zurück in ihre Heimatländer, wenn dort endlich wieder Frieden herrschen sollte.
Deutschland wird in Zukunft vor allem Fachkräfte aus dem Ausland benötigen. Das gilt vor allem für den großen und wachsenden Dienstleistungssektor – von der Gastronomie bis hin zum Pflegebereich. Aber ebenso zeichnen sich bereits heute hohe Bedarfe an Handwerkern, Facharbeitern, Ingenieuren, IT-Experten, Medizinern und in anderen Berufen ab. Spätestens im nächsten Jahrzehnt, wenn die sogenannten Babyboomer die Altersgrenze erreichen werden, dürfte es auf dem deutschen Arbeitsmarkt trotz Digitalisierung eng werden. Das im Koalitionsvertrag der GroKo vereinbarte Facharbeiterzuwanderungsgesetz sollte deshalb bald auf den Weg gebracht werden.
Bildquelle: Wikipedia, Nifoto – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0